"Alle haben sich geirrt!" Die Erkenntnisse zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris

Von Stefan Petri
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Die Olympischen Spiele 2024 sind vorbei. Zwei Wochen voll spektakulärer Bilder und unglaublicher Highlights. Wie geht die olympische Reise weiter, ist Paris überhaupt noch zu toppen? Welche Momente werden in Erinnerung bleiben? Und: Was ist von der Medaillen-Ausbeute Deutschlands zu halten - und dem größten Aufreger, den die Spiele zu bieten hatten? Eine Bilanz.

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Erkenntnisse zu den Olympischen Spielen in Paris 2024: So schön wird es so schnell nicht mehr

Paris 2024 war ein Triumphzug für die Grande Nation. Politisch hängt das Land schon lange in Schräglage, die Probleme sind groß, die Herausforderungen zahlreich. Aber vor den Augen der Welt eine große Show im Herzen Europas abzuliefern, das ist zweifelsohne gelungen. So schön war der Mix aus spektakulären Wettbewerben, wunderschönen Sportstätten, Kultur und Geschichte vielleicht noch nie. Zum dritten Mal wurden die Olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt ausgetragen, die Messlatte liegt nun hoch. Mit dem Urteil der "besten Spiele aller Zeiten" ist man schnell zur Hand, oft zu schnell. Paris reiht sich aber definitiv in die Anwärter auf diese Auszeichnung ein.

Selbstverständlich gab es auch Misstöne. Die ambitionierte Eröffnungsfeier auf der Seine funktionierte im strömenden Regen nur teilweise am Fernseher, vor Ort überhaupt nicht. Der verdreckte Fluss machte die in ihm schwimmenden Athletinnen und Athleten im wahrsten Sinne des Wortes krank, das olympische Dorf genügte höchsten Ansprüchen nicht. Darüber hinaus herrschte jedoch zwei Wochen lang Partystimmung: Das Sicherheitskonzept funktionierte, Doping war nahezu überhaupt kein Thema. Bilder wie das Olympische Feuer hoch oben am Pariser Himmel oder das Beachvolleyball-Stadion am Eiffelturm wird man so schnell nicht vergessen. Es half auch, dass die Gastgeber mit 64 Medaillen überragend performten. "Alle, die nicht an diese Spiele geglaubt haben, haben sich geirrt, sowohl in der Organisation als auch im Sport", jubelte Präsident Emmanuel Macron gegenüber L'Equipe.

Toppen wird diesen Pariser Mix so schnell niemand. Los Angeles hat große Arenen, die Starpower von Hollywood und den Strand von Malibu zu bieten, aber eben auch große Entfernungen bei gleichzeitig miserablen öffentlichen Verkehrsmitteln. Brisbane wird 2032 mit der australischen Lockerheit und guter Stimmung punkten, dürfte Sydney aber kaum toppen können. Danach scharren potenzielle Gastgeber wie Doha oder Riad mit den Hufen, doch die Erinnerungen an die WM in Katar sind noch zu frisch, um sich davon wirklich begeistern zu lassen.

Deutschland als Ausrichter der Spiele im Jahr 2036 oder 2040? Wie immer ist der Enthusiasmus dafür genau während der Spiele am größten, und so will die Bundesregierung die Pläne für eine Bewerbung bis 2027 nun mit mehreren Millionen Euro unterstützen. Sollte die jedoch an der Ablehnung der eigenen Bevölkerung scheitern, wäre es nicht das erste Mal: Irgendjemand muss den Spaß schließlich auch bezahlen. Der Gedanke, dass man ähnlich spektakuläre Bilder liefern könnte wie Paris, fällt zudem schwer.

Andererseits: Nachhaltige und etwas bodenständigere Spiele hätten durchaus auch etwas für sich. Genau wie der Gedanke, exakt 100 Jahre nach den Nazi-Spielen noch einmal nach Berlin einzuladen.

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Erkenntnisse zu den Olympischen Spielen in Paris 2024: Was die deutsche Bilanz (nicht) verrät

Eine liebgewordene Tradition meinerseits setzte sich auch in Paris fort: Wie schon in Rio 2016 und in Tokio vor drei Jahren traute ich Deutschland im Medaillencheck vor dem Start deutlich mehr Edelmetall zu, als am Ende tatsächlich zu Buche stand. Zu erklären definitiv mit unerschütterlichem Optimismus meinerseits (Medaille für die Handballerinnen), aber auch mit einigen Enttäuschungen (Nullrunden bei den Sportschützen, im Tennis, Tischtennis, Ringen ...).

Platz zehn im Medaillenspiegel, der Abwärtstrend der letzten Jahrzehnte hält damit weiter an. "Wir sind mit einem anderen Ziel in diese Spiele gestartet", musste DOSB-Leistungssportvorstand Olaf Tabor zugeben. Zwölf vierte, gleich 24 fünfte Plätze seien ganz bitter: "Das schmerzt, da haben wir die eine oder andere Medaille liegen gelassen." Gäbe es den Pferdesport nicht, hätte Deutschland so viele Goldmedaillen gewonnen wie Usbekistan (8).

Ein Geständnis: Mir persönlich geht der Schwenk nach verlorenen Finals oder Duellen um Platz drei oft etwas zu schnell, der positive Spin von wegen "Nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen" und "trotzdem stolz auf das Geleistete sein". Nicht dass das falsch wäre, aber wer im Kampf um Gold so weit an der eigenen Leistungsfähigkeit vorbeischrammt wie etwa die Beachvolleyballer Ehlers/Wickler oder das DHB-Team, der muss hart mit sich ins Gericht gehen - und gehen dürfen. Die berechtigte Freude über die bis dato überragenden Leistungen folgt anschließend natürlich.

Völliger Humbug wäre an dieser Stelle das von der heimischen Couch gefällte Urteil von wegen "Die wollen es einfach nicht genug!", ein Anzweifeln der nötigen Mentalität oder dergleichen. Niemand schafft es mit einer derartigen Einstellung zu Olympischen Spielen, schon gar nicht bis zum Kampf um Medaillen. Wenn der Negativtrend im Medaillenspiegel etwas verrät, dann ganz sicher nicht über die Sportlerinnen und Sportler, die bei niedrigster Entlohnung und oft sogar in der Freizeit für ihren Traum schuften.

Vielmehr verrät er etwas über den Status des Spitzensports allgemein. Über die Trainer, die fehlen, weil sie nicht bezahlt werden. Über die fehlenden Investitionen, die im Weg stehende Bürokratie, die Entdeckung und Förderung von Talenten, wie es etwa die Niederlande (34 Medaillen) oder Neuseeland (20) vormachen. Wie sagte es Jörg Bügner, Sportvorstand des Deutschen Leichtathletik-Verbandes: "Wir schreiben Excel-Tabellen, die anderen trainieren. Und das kann nicht sein."

Chapeau deshalb an die Kajak-Olympiasieger Max Rendschmidt und Tom Liebscher-Lucz, die Bundeskanzler Olaf Scholz noch vor Ort ins Gewissen redeten. Nur zur Siegerehrung auftauchen, das reicht eben nicht. Sonst wird es die in Zukunft weiterhin immer seltener geben.

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Erkenntnisse zu den Olympischen Spielen in Paris 2024: Ein Box-Eklat mit Ansage

"Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." An diesen Spruch, der aus dem Mund von Albert Einstein stammen soll, fühle man sich bei der Debatte um Imane Khelif und Lin Yu-Ting erinnert. Der gründlich diskreditierte Weltverband IBA stieß sie an, hatte dann aber herzlich wenig Substanzielles zu bieten, um die Vorwürfe zu untermauern. Im Netz herrschte das übliche Geschrei, von hässlichen bis hanebüchenen Vorwürfen war alles dabei. Und der Direktor des Algerischen Olympischen Komitees brachte dann auch noch die "zionistische Lobby" ins Spiel.

Mit- und Feingefühl blieben in der Diskussion auf der Strecke. Gleichermaßen jedoch die Frage nach sportlicher Chancengleichheit. Klar ist: Khelif und Lin haben nichts falsch gemacht. Sie haben vom IOC die Freigabe bekommen, sie haben geboxt, sie haben den Olympiasieg errungen und es ihren Kritikern gezeigt - so sehr man es denen eben zeigen kann, wenn man nach dem Vorwurf, man habe einen unfairen Vorteil und sei deshalb zu gut, sieben Kämpfe mit 5:0 gewinnt und einen durch Aufgabe in der ersten Runde.

Aber natürlich wird sich die Konkurrenz fragen, ob wirklich gleiche Voraussetzungen geherrscht haben. Nicht aufgrund der (fraglichen) Glaubwürdigkeit des ominösen Geschlechtstests der IBA. Dass der WM-Ausschluss 2023 von Khelif und Lin widerspruchslos geschluckt worden war, obwohl man die Vorwürfe vor dem CAS leicht hätte widerlegen können, mutet allerdings seltsam an. Ebenso die hastige Korrektur der IOC-Pressestelle, nachdem Präsident Thomas Bach darauf bestanden hatte, dass es sich nicht um einen "DSD-Fall" handeln würde, sprich: um Intersexualität.

Wie man mit den sportlichen Vorteilen einer männlichen Pubertät in den Frauen-Wettbewerben umgeht, mit der Abwägung zwischen Inklusion und Fairness, darum wird in der Sportwelt heftig gerungen. Die einzelnen Weltverbände haben unterschiedliche Antworten gefunden, mit teilweise drastischen Einschränkungen wie etwa im Schwimmen oder der Leichtathletik. Das IOC, das das Boxen in Paris selbst ausrichtete, machte es sich einfach: Wir wollen es gar nicht wissen. Zeigt her eure Pässe, das war's. Der Debatte entkommen konnte man so jedoch nicht.

Gut möglich, dass diese in Los Angeles nicht mehr geführt werden muss, wenn der Boxsport komplett aus dem olympischen Programm gestrichen wird. Im IOC könnte dann auch ein anderer Wind wehen, sollte mit Sebastian Coe von World Athletics ein Hardliner Bachs Nachfolge antreten. Umgekehrt will Caster Semenya, Olympiasiegerin von London und Rio über die 800 Meter und der wohl bekannteste DSD-Fall im Sport, an die Spitze des Leichtathletik-Weltverbandes. Dann wäre wieder alles anders.

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Erkenntnisse zu den Olympischen Spielen in Paris 2024: Momente, die bleiben

Woran man sich bei Olympischen Spielen auch Jahre später noch erinnern wird, ist komplett individuell. Es mögen die großen Triumphe sein wie vom französischen Schwimmer Léon Marchand (viermal Gold) oder von Simone Biles (dreimal Gold, einmal Silber), vielleicht aber auch die ganz kleinen Momente, wie dieser. Eine persönliche Auswahl:

  • Das Sechs-Sekunden-Wunder im Handball gegen Frankreich
  • Yemisi Ogunleyes ungläubiges Staunen nach ihrem letzten Versuch auf genau 20 Meter im Kugelstoßen - Gold!
  • Novak Djokovics Weinkrampf nach dem verwandelten Matchball gegen Carlos Alcaraz und der anschließende Jubel mit seiner Tochter
  • Stephen Currys vier Dreier in der Schlussphase gegen Frankreich

Es gäbe noch so viel mehr. Ich bin gespannt, was sich so sehr ins Gedächtnis gräbt wie ein Matthias Steiner, ein Fabian Hambüchen, eine Franziska van Almsick, ein Usain Bolt. Und ich bin schon jetzt gespannt auf Los Angeles 2028.

Paris 2024: Der Endstand im Medaillenspiegel

PlatzLandGoldSilberBronzeGesamt
1.USA404443126
2.China40272491
3.Japan20121345
4.Australien18191653
5.Frankreich16262264
6.Niederlande1571234
7.Großbritannien14222965
8.Südkorea1391032
9.Italien12131540
10.Deutschland1213833