Igor Denissow (englische Schreibweise: Denisov)
Alter: 28 Jahre
Verein: Zenit St. Petersburg
Debüt in der Nationalmannschaft: Mit 24 (2008)
Vom zeitgemäßen Sechser wird folgendes erwartet, will er zur gehobenen Klasse gehören: Er besitzt das kühl kalkulierende Hirn eines Schachspielers und ist gleichzeitig ein Wüterich, der sich in den Gegenspieler verbeißt. Ein Ideal, dem nur wenige entsprechen.
Unter den Auserwählten findet sich aber auch Igor Denissow, ein in Westeuropa fast gänzlich Unbekannter, dessen Talent dennoch zu Größerem befähigt. Häufig wird er nur auf sein auffälligstes Verhaltensmuster reduziert: die in ihm wohnende und gelegentlich ausbrechende Aggressivität.
In den letzten Jahren liest es sich so: Denissow beschimpfte und prügelte sich nach einer Niederlage mit Spartak-Trainer Waleri Karpin. Während einer öffentlichen Trainingseinheit verfluchte und attackierte Denissow den damaligen ZSKA-Teamdirektor Wladislaw Radimow, weil dieser bei einem Testspiel als Aushilfsschiedsrichter ein Foul gegen ihn pfiff. Nur die Mitspieler konnten vereint Denissow davon abhalten, auf Radimow einzuschlagen.
Außerdem soll es zu Auseinandersetzungen mit Teamkollegen und sogar mit einem Autofahrlehrer gekommen sein.
Lästerei gegen EM-Team 2008
Augenscheinlich wurde seine impulsive oder je nach Sichtweise charakterfeste Attitüde, als er vor der EM 2008 eine Einladung vom damaligen Nationaltrainer Hiddink ablehnte. Hiddink hatte ihn ursprünglich nicht in den vorläufigen Kader berufen, nach dem UEFA-Cup-Sieg von Zenit wählte er jedoch nachträglich Denissows Nummer - und bekam eine beleidigte Absage, obwohl dieser zuvor noch nie berücksichtigt worden war.
Denissows Kommentar nach dem russischen EM-Halbfinaleinzug ohne ihn: "Es stimmt nicht, dass das Turnier ein großer Erfolg war. Wie soll es ein Erfolg sein, wenn man gegen Spanien beide Spiele mit einer Tordifferenz von 1:7 verliert? Warum werden die Spieler wie Helden behandelt? Wenn wir 2012 im Halbfinale stehen und gegen eine Mannschaft zweimal so hoch verlieren würden, wäre ich enttäuscht."
Dass die EM 2012 nicht zu einer Enttäuschung verkommt, hängt wesentlich von Denissow selbst ab. Er spielt weniger auffällig und elegant wie seine Vorderleute Schirokow und Syrjanow, dafür bringt er zu seinen unterschätzten Offensivfähigkeiten auch Zweikampfhärte ein.
"Manchmal ist es unfair. Wir haben unsere Momente im Scheinwerferlicht, weil Igor ein solch brillanter Zerstörer ist und uns die Möglichkeit gibt, uns nach vorne einzuschalten. Igor hingegen bekommt sehr wenige solcher Momente", sagt Schirokow. Zumindest fiel Denissow aber so auf, dass er zum besten Spieler der russischen Liga gewählt wurde und angeblich von Real Madrid beobachtet wird.
Begabter Schachspieler
Denissow versteht es, das russische Spiel mit einem harten, flachen und präzisen Vertikalpass zu beschleunigen oder bei Bedarf mit einem unspektakulären Querpass zu beruhigen.
Das ohnehin ulta-offensive Russland wäre ohne Denissow komplett ohne Balance und Führung.
Jenes strategische Kalkül lernte Denissow mit Hilfe seines größten Hobbys, dem Schach. So aufgeregt er beim Fußball den Gegner hinterherhetzt, weiß er, in Ruhe einen Plan zu entwerfen und auszuführen.
Gegen Zenit-Fan und Schach-Großmeister Peter Svidler, sechsmaliger russischer Meister, errang er in drei Partien immerhin ein Remis. "Igor ist im Schach ein fortgeschrittener Amateur", sagt Svidler und meint es anerkennender, als es klingt.
Roman Schirokow: Der beliebteste und meistgehasste Russe