SPOX: Herr Krawietz, Borussia Dortmund ist in der Hinrunde in die größte sportliche Krise geschlittert, seit Sie 2008 als Co-Trainer unter Jürgen Klopp beim BVB angefangen haben. Wie erleichtert waren Sie, als das Fußballjahr 2014 vorbei war?
Peter Krawietz: Es war eine Situation, die man niemandem wünscht und die man so schnell nicht wieder braucht. Nichtsdestotrotz ist das Positive daran: Wir haben wahnsinnig wichtige Erfahrungen gesammelt. Ich glaube, irgendwo muss man so etwas einmal im Leben mitgemacht haben, um das Ausmaß einer solchen Talfahrt auch wirklich beurteilen zu können. Aber keine Frage, es war eine wirklich harte Zeit.
SPOX: Was hat das Trainerteam aus dem Verlauf der Hinrunde mitgenommen?
Krawietz: Die Situation ist sehr komplex und historisch. Bayer Leverkusen etwa ging es nach der WM 2002 ähnlich, da hatte plötzlich auch gar nichts mehr zusammengepasst. Wir können zwar nicht behaupten, jetzt Schablonen zu haben, die für alle Zeiten gelten und direkt angewendet werden könnten, sollte einem so etwas noch einmal widerfahren. Wir haben aber nun gesehen, wie negativ sich so etwas entwickeln kann.
SPOX: Es wurde wochenlang gerätselt, woran Dortmunds Absturz wirklich liegt. Zu welchem Urteil kommen Sie?
Krawietz: Die fehlende Konstanz war das größte Problem. Ein gutes Spiel gemacht zu haben, drei Tage später wieder aufs Feld zu müssen und zu wissen: Wir haben zwar gut gespielt, aber uns auch komplett verausgabt, und spielen nun gegen einen Gegner, der eine Woche lang Zeit hatte, sich auf die Partie vorzubereiten - das war richtig hart und wurde mit der Zeit immer schwerer. Wir haben es nicht geschafft, über zwei, drei, vier Spiele hinweg konstant gute Leistungen zu zeigen, um Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und Automatismen herauszuarbeiten.
SPOX: Hat das Trainerteam in dieser Phase grundsätzliche Dinge anders gemacht als gewöhnlich?
Krawietz: Das Ganze stand natürlich unter dem Eindruck, dass wir mit der Zeit festgestellt haben, das eine oder andere Problem zu haben. Wir glauben fest daran, dass sich das mit Training hätte beheben lassen - doch diese Möglichkeit hatten wir nicht. Unter dem Strich gibt es drei Mittel, die ein Trainerteam zur Verfügung hat: Training, um Dinge zu verändern. Kommunikation. Und die Analyse, wie wir uns im letzten Spiel verhalten haben und was uns der nächste Gegner abverlangen wird. Der Faktor Training ist leider mehr oder weniger komplett weggefallen. Es ging meistens nur um Regeneration, um sich für das nächste Spiel wieder irgendwie aufzustellen. Wir haben daher im Vergleich zu früheren Spielzeiten verstärkt auf die beiden anderen Aspekte Wert legen müssen.
SPOX: Jürgen Klopp erklärte, man habe mehr miteinander gesprochen als miteinander trainiert. Mit Hilfe von Videoanalysen wurden zahlreiche Theoriesitzungen abgehalten. Wie geht so etwas vonstatten?
Krawietz: In allen Varianten. Die Analyse des Gegners findet immer vor der ganzen Mannschaft statt. Macht man eine Nachbetrachtung, kann es vorkommen, dass man beispielsweise nur mit der Viererkette über spezielle Abläufe spricht. Oder aber der Cheftrainer setzt sich mit einem einzelnen Spieler zusammen und arbeitet mit ihm ausgewählte Szenen zu seinem eigenen Spielverhalten auf, um ein Bild des eigenen Spiels zu schaffen.
SPOX: Kann es überhaupt fruchten, wenn man oft nur Theorie anstatt Praxis lehren muss?
Krawietz: Es ist jedenfalls nicht einfach. Die Idee, die dann dahinter steckt, ist: Wie kann man trainieren, ohne sich körperlich zu belasten? In einer langen Woche hat man den Vorteil, dass man sich das Training auf dem Platz vorher vor Augen führen kann. Sprich: Man schaut sich an, was am letzten Wochenende gut und schlecht war, bespricht das in der Theorie und geht dann auf den Platz, um Verbesserungen umzusetzen. Doch Letzteres war wie gesagt der Punkt, der größtenteils ausfallen musste. Uns hat schlicht und ergreifend die Zeit dazu gefehlt.
SPOX: Können Sie das bitte einmal an einem Beispiel erklären: Wie sieht der Ablauf aus, wenn man Samstag und dann wieder Mittwoch spielen muss?
Krawietz: An den ersten beiden Tagen nach dem Spiel ist mehr oder weniger komplette Ruhe angesagt, die sogenannte erweiterte Regeneration. Man lässt Bewegungsmuster ablaufen, ohne zu sehr zu belasten. Dann bleibt noch das Abschlusstraining am Dienstag. Wenn es ein Mittwochabendspiel ist, reißt man Mittwochvormittag noch bestimmte taktische Dinge an. Über diesen Status sind wir quasi nie hinausgekommen.
SPOX: Der BVB veränderte in der Hinrunde mehrfach das System, spielte mal mit zwei Stürmern, mal mit lediglich einem Sechser, mal mit flacher Vier. Wieso hat man mehr getüftelt als gewöhnlich?
Krawietz: Zunächst muss man festhalten: Unsere grundsätzliche Spielidee hat sich dabei ja nicht verändert. Die maßgebenden Kriterien sind immer Fragen wie: Was bietet uns in der jeweiligen Personalsituation und angesichts der Spielweise des Gegners die größte Aussicht auf Erfolg? Wer steht uns zur Verfügung, wer ist frisch und wie kann diese Spielerkonstellation im Verhältnis zum Gegner am besten funktionieren? Das ist die Basis einer jeden Entscheidung. Die unterschiedlichen Systeme waren jeweils unsere Antworten auf diese Fragen. Wir haben versucht, den Spielern mit der Variante, mit der wie sie aufs Feld stellen, Hilfestellungen zu geben.
SPOX: Wieso entschied man sich beispielsweise nicht dafür, über einen längeren Zeitraum mit einem festen System zu spielen, um darüber die Routine zu bekommen?
Krawietz: Das war den jeweiligen Ausgangslagen vor den Partien geschuldet. Es war uns nicht möglich, in einer englischen Woche drei Mal in Folge dieselbe Startelf aufzubieten. Also mussten wir Veränderungen vornehmen und schauen, in welcher Konstellation aus unserer Sicht die größtmögliche Aussicht auf Erfolg besteht. Wir hatten dann rund um das Heimspiel gegen Mönchengladbach eine Phase, in der wir uns sagten: Wir brauchen jetzt feste Abläufe. Da hatten wir das Gefühl, dass wir eine Konstellation gefunden haben, auf die wir immer wieder zurückgreifen können - wenn sich kein weiterer Spieler verletzt. Doch dann fielen Sokratis und Sven Bender aus, wenig später kam noch Marco Reus dazu. So konnten wir dieses Vorhaben leider nicht wirklich umsetzen.
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