"Wir sind nicht entschlüsselt"

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Peter Krawietz im Trainingslager in La Manga
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SPOX: Ist das früher übliche 4-2-3-1 mittlerweile nicht mehr System Nummer eins?

Krawietz: Das lässt sich so nicht sagen. Neben der Reaktion auf die Spielweise des Gegners gab es aufgrund unserer Personallage auch Überlegungen, wie wir ihn vielleicht auch überraschen können. Man sucht auch mal nach einer neuen Konstellation auf dem Feld, um dem Gegner eine taktische Denksportaufgabe im Spiel zu stellen, damit er sich nicht sieben Tage auf uns vorbereiten kann und weiß, auf was er sich einzustellen hat.

SPOX: Wissen die Gegner mittlerweile zu genau, auf was sie sich einzustellen haben? Die Diskussionen, die Dortmunder Spielweise sei decodiert, gab es ja bereits in der Vorsaison.

Krawietz: Diese Darstellungen gehen an der Sache vorbei. Wir sind nicht entschlüsselt, denn es wäre doch ein schlechtes Zeugnis für all unsere Kontrahenten, wenn sie nicht wüssten, welche Abläufe wir in unserem Spiel haben. Das ist ja auch kein Geheimnis. Es ist im Fußball unmöglich, die Gegner im Dreitagesrhythmus mit neuen taktischen Varianten zu überraschen. Es weiß auch jeder genau, wie Bayern München spielt. Wir sind jetzt gefordert, unsere Stärken wieder zu unseren Stärken zumachen. Denn je intensiver wir sie einsetzen können, desto mehr stellen wir den Gegner vor Aufgaben, die er nicht lösen kann - obwohl er sozusagen weiß, was passiert.

SPOX: Heißt also: Dortmunds Stärken lassen sich auch weiterhin gegen die oftmals destruktiven Gegner, mit denen man zuletzt häufig Probleme hatte, ausspielen?

Krawietz: Unser Portfolio an taktischen Maßnahmen hat natürlich auch dafür Lösungen. Wir sind komplett davon überzeugt, dass all unsere Maßnahmen dazu geeignet sind, auch solche Kontrahenten in enorme Schwierigkeiten zu bringen. Gerade gegen einen tief stehenden Gegner sind Gegenpressing-Maßnahmen absolut spielentscheidend. Dies wieder besser aussehen zu lassen, gehört unter anderem zu den Punkten, an denen wir arbeiten.

SPOX: Ist es Teil der Überlegungen, künftig häufiger auf ein dominantes Ballbesitzspiel zu setzen?

Krawietz: Wir haben unseren Maßnahmenkatalog, in dem Ballsicherheit natürlich ein wichtiger Aspekt ist. Es geht aber nicht um die bloßen Ballbesitzzeiten, sondern um die Qualität des Ballbesitzspiels: Wie zielstrebig kann ich sein, wenn ich den Ball habe? Man kann gegen einen tief stehenden Gegner auch so arbeiten, dass man ihn überrascht. Das ist zwar nicht so einfach, wie wenn große Räume bei einem Schnellangriff zur Verfügung stehen, aber Spielverlagerungen oder Tempovariationen sind beispielsweise ein gutes Mittel dafür.

SPOX: Ob tief stehender Gegner oder nicht - nicht selten steht der Borussia auch die verheerende Chancenverwertung im Weg. Wie sehr hadert man damit, zumal dieses Phänomen ja bereits länger zu beobachten ist?

Krawietz: Für uns geht es nicht darum, großartig damit zu hadern, sondern Wege zu finden und Situationen zu kreieren, aus denen heraus wir überhaupt erst zu Torchancen gelangen. Wenn uns zehn gute Chancen nicht ausreichen, um zwei Treffer zu erzielen, dann sehen wir es als unsere einzige Aufgabe an, uns eben 15 oder 20 solcher Situationen zu erspielen. Nur das können wir im Trainerteam systematisch bearbeiten, auch während eines Spiels. Zu erörtern, wie oft wir durchbrechen können und zu erkennen, wie der heutige Weg aussieht, um dem Gegner Probleme zu bereiten - und es dann wieder und wieder zu versuchen.

SPOX: Auffällig war auch die Diskrepanz zwischen Heim- und Auswärtsauftritten, besonders gegen Ende der Hinrunde. Wie erklären Sie sich, dass vor heimischem Publikum gute Leistungen wie gegen Gladbach oder Hoffenheim abgerufen wurden, man ein paar Tage später jedoch enttäuschende Auftritte wie in Frankfurt, Berlin oder Bremen folgen ließ?

Krawietz: Mit dem Bewusstwerden der Krise hat sich in unserem Stadion eine sehr gute Wettkampfatmosphäre entwickelt. Dortmund hat uns enorm geholfen, auf Anhieb in den richtigen Modus zu kommen. Das ist dann ein Faktor, der bei einem Heimspiel in einer solchen Situation Kräfte freisetzt und sehr viel stärker greift als sonst. Am Ende dieser langen Hinrunde kam in den Auswärtsspielen hinzu, dass uns dort körperlich wie mental die Körner gefehlt haben. Dadurch hat der letzte Tick gefehlt, um die Partien in unsere Richtung lenken zu können. Denn klar ist ja auch: Wir haben zwar die Spiele verloren, waren den Gegnern aber nicht meilenweit unterlegen.

SPOX: In den drei angesprochenen Auswärtsspielen lag man zur Pause jeweils mit 0:1 zurück. Konnte man dann in der Kabine merken, dass die Spieler grübelten und es vor allem eine psychische Herausforderung darstellte, die Partien noch zu drehen?

Krawietz: Zum Grübeln bleibt in den effektiv sieben Minuten keine Zeit. Wir haben die Spieler aufgefordert, die im Vorfeld zu Recht gelegten Aspekte noch intensiver einzusetzen und es über die Anzahl der Versuche zu regeln. Man darf es sich aber auch nicht so vorstellen, dass man in einer Halbzeit alles problemlos umwerfen und sozusagen nochmal von Neuem beginnen kann. Man tauscht personell aus oder stellt sich taktisch anders auf - das ist letztlich auch schon alles, was man in der Kürze der Zeit sozusagen handwerklich tun kann. Es ist nicht möglich, innerhalb einer Halbzeitpause die Probleme, die uns in den Wochen zuvor schon begleitet haben, zu lösen.

Seite 1: Krawietz über die Gründe für den Absturz und die System-Umstellungen

Seite 2: Krawietz über tief stehende Gegner und die schwachen Auswärtsspiele

Seite 3: Krawietz über Rücktrittsgedanken bei Klopp und Neuzugang Kampl

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