Kerber: "Dass alle stolz sind, hat mich aufgebaut"

Von Ulrike Weinrich
Angelique Kerber
© getty

Angelique Kerber war nach dem so haarscharf verpassten Einzug ins Finale der Australian Open traurig. Doch die wiedererstarkte Kielerin ist sich sicher, die Wende zum Guten geschafft zu haben.

Cookie-Einstellungen

Von Ulrike Weinrich aus Melbourne

Angelique Kerber steckte tief im Gefühlschaos. Das Halbfinale nach großem Kampf verloren, aber Down Under so viele Dinge (zurück)gewonnen. Die Wende zum Guten nach einer Albtraumsaison 2017 geschafft, aber doch eine Riesenchance haarscharf verpasst. Die Zerrissenheit nagte sichtlich an der niedergeschlagenen Kerber, als sie ein letztes Mal in diesem Jahr durch die Katakomben "ihrer" Rod Laver Arena ging.

Der Blick auf das Display ihres Smartphones sorgte in den schwierigen Stunde nach dem verpassten Einzug ins Endspiel von Melbourne zumindest erst einmal für die ersehnte Portion Trost. "Ich habe viele Nachrichten bekommen, dass alle stolz sind, wie ich mein Herz auf den Platz gelassen habe. Das baut mich ein bisschen auf", meinte Kerber nach dem 3:6, 6:4, 7:9 in einem denkwürdigen und hochklassigen Semifinale gegen die topgesetzte Rumänin Simona Halep. Und sie fügte mit fester Stimme an: "Ich weiß, dass ich zurück bin und wieder gutes Tennis spielen kann." Einzig das I-Tüpfelchen fehlte Down Under. Der Kreis hätte sich ausgerechnet an dem Ort geschlossen, an dem "Angie" 2016 mit ihrem ersten Grand-Slam-Erfolg ihre ganz persönliche Mondlandung erlebte.

Die Aufholjagd? "Ich weiß auch nicht, wie ich das geschafft habe"

Im entscheidenden Satz hatte die Kielerin gegen Halep beim Stand von 6:5 und eigenem Aufschlag zwei Matchbälle vergeben - die irre Aufholjagd mit "wahnsinnigen Ballwechseln", wie sie selbst sagte, blieb unbelohnt. "Es war ein großer Kampf. Ich fühle nicht, dass ich die Partie verloren habe, sie hat sie am Ende gewonnen", analysierte Kerber den Schlagabtausch über 2:20 Stunden, bei dem die 30-Jährige sich nach einem verschlafenen Start (0:5 nach 13 Minuten) in einen wahren Rausch spielte. "Ich weiß auch nicht, wie ich das geschafft habe, denn meine Beine waren müder als noch in den Tagen zuvor", berichtete sie.

Bereits beim 45-minütigen Einspielen am Donnerstagmittag mit Coach Wim Fissette auf Court 16 hatte Kerber gespürt, dass sie körperlich "nicht mehr bei 100 Prozent" war. Was auch nicht sonderlich verwunderte. In den vergangenen 25 Tagen hat die frühere Nummer eins 19 Matches bestritten (15 Einzel- und 4 Mixed-Partien). Beim Hopman Cup in Perth und beim WTA-Turnier in Sydney verlor sie keines ihrer Einzelspiele. Jetzt könnte man natürlich sagen, es wäre besser gewesen, auf Sydney zu verzichten, um Kräfte zu sparen. "Aber dort", entgegnete Kerber, "habe ich mir viel Selbstvertrauen für Melbourne geholt." Klingt plausibel und macht Sinn!

Mit "positivem Gefühl" ins Flugzeug Richtung Heimat

Die Linkshänderin versuchte auf dem Centre Court alles. Auch von den 50 Gewinnschlägen Haleps ließ sie sich nicht entmutigen. Kerber war in Sachen Kampfgeist wieder die alte, die Angie von 2016 - in neuem Gewand gewissermaßen. Gereift und selbstbewusst. Die Wende ist endgültig geschafft. "Das Wichtigste für mich ist, dass ich auf dem Court wieder kämpfe und mein Herz auf dem Platz lasse. Ich glaube, dass ich das für den Rest des Jahres mitnehmen werde", kündigte sie nach der ersten Niederlage nach zuvor 14 Siegen in 14 Matches an.

Am Freitag wird Kerber ihren rund 21-stündigen Flug nach Hause antreten. Mit einer Träne im Knopfloch, aber auch mit einem "positiven Gefühl" im Gepäck. "Wenn mir jemand vor ein paar Wochen gesagt hätte, ich gewinne so viele Matches in Folge, habe schon früh 2018 einen Titel geholt und im Halbfinale von Melbourne gestanden - ich weiß nicht, ob ich es direkt geglaubt hätte", sagte sie. Als Lohn wird sie ab Montag auf Platz neun des Rankings geführt. Und damit erstmals seit September 2017 wieder zu den Top Ten gehören. Die noch junge Zusammenarbeit mit dem Belgier Fissette, sie fruchtet. "Es macht so viel Freude, Angie wieder so befreit aufspielen zu sehen", lobte Barbara Rittner, Head of Women's Tennis im DTB, im tennisnet-Gespräch.

Kerber öffnte sich für den Input von Fissette

Kerber ist endlich wieder im Genuss-Modus. Es ist ein Zustand, den sie in der vergangenen Saison mit allen Mitteln erzwingen wollte, dabei aber immer mehr verkrampfte. Ein Teufelskreislauf. Mittlerweile ist sie "zu 100 Prozent sicher", dass sie in der Off-Season zusammen mit ihrem besonnenen Manager Aljoscha Thron die "richtigen Entscheidungen" getroffen hat. Dazu gehörte unter anderem der Trainerwechsel hin zu Fissette (37). Hin zu einer neuen Ansprache, für die sie erst bereit sein musste. Kein leichtes Unterfangen, doch Kerber öffnete sich sukzessive für den Input. Und wird jetzt belohnt. "Angie ist in einer Verfassung, in der sie immer, in jeder Phase eines Spiels, unbedingt an sich glaubt", lobte Fissette.

Die Linkshänderin hat das Zutrauen in ihr Spiel wiedergefunden. Auch, weil es ihr gelingt, sich mental in der Zone zu bewegen, wie es Profisportler gerne nennen. "Ich mache mir während des Spiels nicht zu viel Gedanken und denke nicht an das, was war und was kommt", berichtete Kerber.

In den nächsten Tagen will sie in heimischen Gefilden relaxen, "den Schläger einfach mal in die Ecke legen." Und die so erfolgreichen ersten Wochen des Jahres Revue passieren lassen. Ihr nächstes Turnier beginnt am 12. Februar in Doha. Kerber wird wieder angreifen . "Ich bin wieder bereit zu kämpfen", betonte sie. Dann verließ sie den Melbourne Park. Ein bisschen traurig zwar immer noch, aber auch irgendwie stolz.

Artikel und Videos zum Thema