Sport und Hype - diese beiden Dinge gehen Hand in Hand. Wenn eine Sache lange genug medial und in der Öffentlichkeit gären kann, entsteht früher oder später immer ein Hype in die eine oder andere Richtung.
Sei es das große Spiel mit wochenlangem Vorlauf, der lange herbeigesehnte Saisonstart - oder eben auch der Draft. Aus NFL-Perspektive klafft zwischen der heißen Phase der Free Agency und dem Draft ein rund vierwöchiges Loch, das nur zu häufig dazu führt, dass Spieler über alle Maßen analysiert, Rankings - obwohl keine Spiele mehr stattfanden - durcheinander gewirbelt werden, während die Gerüchteküche nur so überkocht.
Der Hype um die diesjährige Wide-Receiver-Klasse existiert bereits seit Monaten: Doch in diesem Fall lässt sich nach eingehender Betrachtung der Klasse sagen: Es wurde nicht zu viel versprochen.
Ob in der dritten Runde oder auch an Tag 3 des Drafts - in der diesjährigen Klasse wird es Receiver mit zweifellosem NFL-Starter-Potential noch in außergewöhnlichen Draft-Regionen geben. Und es werden Spieler durchs Raster fallen.
Ein Antonio Gandy-Golden von Liberty etwa, der interessantes Deep-Threat-Potenzial mitbringt und hervorragende Comeback-Routes läuft; er dürfte in diesem Jahr ein gutes Stück später gedraftet werden als in anderen Receiver-Klassen. Das könnte auch auf Ohio States Slot-Receiver K.J. Hill oder Jauan Jennings von Tennessee, der ein irrer Receiver nach dem Catch ist, zutreffen, genau wie auf Texas' physischen Slot-Receiver Devin Duvernay.
So gut ist die Klasse in der Spitze, aber auch in der Breite. Auf meinem Draft-Board haben in diesem Jahr 14 Wideouts ein Grade von der ersten bis einschließlich der dritten Runde erhalten.
Wie analysiert und bewertet man Wide Receiver?
Bevor das Ranking auf den Draft einstimmen soll, noch etwas mehr Kontext und Hilfe zur Einordnung generell. Wide Receiver zu analysieren erfordert neben den technischen Details auch eine Vorstellung der Offense: Was war die Rolle des Receivers? Welche der gezeigten Eigenschaften übertragen sich auf die NFL? Und wie, beziehungsweise in welcher Rolle?
Was von dem, was er gezeigt hat, war bedingt durch das Scheme, was war eigene Leistung? Und viele, viele weitere Fragen mehr. Um zumindest ein generelles Verständnis für die gröbsten Unterscheidungen der Position (Slot-, Z-, X-Receiver) zu entwickeln, wäre der Artikel zu genau dieser Frage aus dem Vorjahr zu empfehlen.
Einige Kernkompetenzen für Wide-Receiver-Play - auch hier gibt es im verlinkten Artikel noch mehr Details - sind:
- Route-Running
- Explosivität
- Speed
- Agilität
- Release
- Hände
- Yards nach dem Catch
- Contested Catches
- Physis und Blocking
NFL Draft 2020: Wide Receiver Ranking
12. Michael Pittman Jr., USC
Receiver-Typ: X-/Big Slot Receiver
Stärken:
- Ein sensationeller Raumdeuter. Pittman versteht es wahnsinnig konstant, Lücken in der Zone Coverage zu antizipieren und besetzt diese Räume dann. Er arbeitet permanent im Play, um offen zu sein, und arbeitet zum Quarterback und zum Ball zurück.
- Pittman fiel insbesondere im Kurzpassspiel sehr positiv auf. Comeback-Routes läuft er sehr physisch, seine kurzen In- und Out-Cuts sind effizient.
- Außerdem bringt Pittman einen enormen Catch-Radius mit, gerade in der Mitte des Feldes. Er ist groß, spielt physisch und wird am Catch Point kaum mal geschlagen. Pittman hat alle Werkzeuge, um in der NFL ein sehr guter Big-Slot- und Possession-Receiver zu werden; von der gedachten Rolle in etwa das, was Larry Fitzgerald unter Bruce Arians einst gespielt hat.
- Absolut herausragende Hände. PFF hat ihn bei fünf Drops bei 176 fangbaren Pässen in seiner College-Karriere.
- Auch wenn er alles andere als ein Speedster ist: Pittman hat dann doch überraschenden Build-Up-Speed in der Route, er findet den Ball konstant vertikal und ist auch hier mit der Mischung aus Physis und sehr guten Händen immer wieder mal für Big Plays gut.
Schwächen:
- Explosivität und Agilität sind definitiv nicht sein Trumpf. Hier hat Pittman, auch gerade im Vergleich zur diesjährigen Receiver-Klasse, doch deutlichere Limitierungen. Seine Routes kommen häufiger nicht mit der nötigen Schärfe und gegen Man Coverage hat er immer wieder Mühe, sich Platz zu verschaffen.
- Kein Receiver, der mit Speed gewinnen würde.
- Generell sind sein Route-Running und auch sein Release limitiert. Pittmans Release ist häufig zu behäbig und dauert zu lange, sodass der Cornerback einen Zugriff auf ihn bekommt und Pittman zu lange braucht, um in seine Route zu starten.
- Im College spielte er 811 seiner 886 Snaps in der vergangenen Saison Outside, nur 64 im Slot. In der NFL würde ich diese Rolle für ihn deutlich anders gestalten, um ihm aus dem Slot heraus mehr freie Releases und mehr Arbeit in der Mitte des Feldes zu ermöglichen. Hier könnte seine Physis auch noch besser zur Geltung kommen.
SPOX Draft-Runden-Empfehlung: 2.-3. Runde.
11. Tyler Johnson, Minnesota
Receiver-Typ: Slot-Receiver
Stärken:
- Ein wirklich guter Route-Runner, und das obwohl er noch vergleichsweise frisch auf der Receiver-Position ist. Hat in der High School Quarterback und Defensive Back gespielt.
- Kreiert schlicht konstant Separation. Agil, enorm gute Körperkontrolle, verschafft sich vor allem bei In-Breaking-Routes permanent Platz.
- Johnson nutzt kleine Körpertäuschungen, er arbeitet gut mit seinen Füßen in der Route und findet permanent Lücken in der Zone Coverage.
- Wirkt insgesamt wie ein spielintelligenter Receiver. Johnson weiß, wie er Verteidiger aushebeln kann und er weiß im Play, wo er sich hinbewegen muss.
- Ist mehr ein Techniker als physisch über die Maßen eindrucksvoll, doch aufgrund seiner Größe gewinnt er durchaus häufiger auch Contested Catches.
- Sehr guter Slot-Receiver, und neben einigen Routes aus einer Z-Receiver-Rolle sehe ich seinen Platz hier auch in der NFL. Hatte im Vorjahr 661 seiner 817 Snaps im Slot und verzeichnete 1.086 Slot-Receiving-Yards, die fünftmeisten in der vergangenen College-Football-Saison. War außerdem irre produktiv in der Red Zone, hier punktete er mit seinem Route-Running ganz besonders
- Aber: gewinnt auch tief. 485 Deep-Receiving-Yards (Pässe, die mindestens 20 Yards Downfield fliegen) unterstreichen seinen Value auch hier.
Schwächen:
- Release gegen Press Coverage könnte für ihn eine der größten Herausforderungen in der NFL werden. Dort hatte er bereits im College mit physischen Cornerbacks Probleme.
- Kein sonderlich explosiver Spieler und kein Receiver, der in der NFL über Speed gewinnen wird. In manchen Phasen wirkt er fast etwas behäbig.
- Mangelnder Speed macht sich auch nach dem Catch bemerkbar. Trotz vieler Underneath-Catches mit - in der Theorie - Möglichkeit für mehr ist Johnson kein Receiver, der viel Potenzial nach dem Catch mitbringt.
- Hatte einige Drops auf Tape, hier muss er noch besser werden.
SPOX Draft-Runden-Empfehlung: 2.-3. Runde.
10. Laviska Shenault, Colorado
Receiver-Typ: Allzweckwaffe
Stärken:
- Die schwierigste Receiver-Evaluierung der gesamten Klasse. Shenault ist gebaut wie ein Running Back - und kann zunächst einmal alles. Hat Outside gespielt, hat im Slot gespielt, wurde als Returner genau wie als Wildcat-Quarterback eingesetzt und lief Routes aus dem Backfield.
- Ein extrem physischer Receiver. Arbeitet durch Kontakt in der Route als wäre es nichts und gewinnt Contested Catches mitunter problemlos; kann sich mit seiner Physis absetzen und hat enormes Potenzial nach dem Catch sowie bei designten Run-Plays. Läuft nach dem Catch mit scheinbarer Leichtigkeit durch Tackling-Versuche.
- Allerdings kein Spieler, der nur Screens und kurze Dumpoffs erhalten würde - wenngleich nicht wenig seiner Production insgesamt auf diese Art zustande kam. Shenault hat vielmehr regelmäßig auch Downfield gewonnen und entschied mehrere simple Go-Routes für sich, weil seine Explosivität und seine Physis hier besonders gut zur Geltung kommen.
Schwächen:
- Route-Running ist einfach wahnsinnig roh. Seine Cuts kommen oftmals zu durchschaubar. Obwohl er eigentlich ein so explosiver Spieler ist, sind seine Cuts nicht sonderlich scharf und häufig driftet er dabei weiter vertikal, statt einen präzisen Richtungswechsel zu setzen.
- Separation ist in der Summe inkonstant, manchmal spielt er viel behäbiger als seine Explosivität in anderen Momenten nahelegen würde.
- Auch was das Gespür für die Bewegungen des Verteidigers oder das Antizipieren der Coverage angeht, wirkt Shenault noch sehr unkonstant. Gleiches gilt auch für seinen Release, und wenn er es mal mit Press Coverage zu tun hatte, ließ er sich davon - trotz seiner Physis - zu häufig aus seiner Route ablenken.
- Die Gefahr mit Shenault ist, dass er in der NFL mehr Gadget-Spieler als wirklich guter Receiver wird. Das macht gerade für ihn die Frage danach, bei welchem Team und in welcher Offense er landet, umso kritischer.
SPOX Draft-Runden-Empfehlung: Späte 2. Runde.