Jahr für Jahr sind die Receiver-Klassen einer der interessantesten Bereiche im Draft, und das aus verschiedenen Gründen. Teams brauchen immer mehr Wide Receiver, da 3-Receiver-Sets für die meisten Offenses längst der absolute Standard geworden sind. Berücksichtigt man dann noch die Kadertiefe und die Special Teams, dann kommt man schnell auf sechs bis acht Wide Receiver in nahezu jedem NFL-Kader.
Gleichzeitig gibt es im Draft auf kaum einer anderen Position so konstant auch spät noch Qualität zu entdecken. 2015 etwa fanden die Vikings Stefon Diggs in der 5. Runde, während Tyrell Williams (Chargers) und Adam Humphries (Buccaneers) gar als Undrafted Free Agents in die Liga kamen. Beide kassierten in der Free Agency dieses Jahr kräftig ab.
Ein aktuelleres Beispiel: Keelan Cole führte die Jaguars 2017 mit 748 Receiving-Yards an - nachdem ihn die Jags im Frühjahr ungedraftet verpflichtet hatten.
Die schiere Masse an Receivern, die in jedem Draft aus dem College kommt, ist ein Grund dafür, dass Spieler übersehen werden; doch auch die Tatsache, dass es so grundlegend verschiedene Spielertypen auf der Receiver-Position gibt, macht sie im Draft so spannend.
NFL Draft: Wie bewertet man Wide Receiver?
Eine Liste mit verschiedenen Charakteristika zu erstellen, wie ich es bei den Quarterbacks gemacht habe, um so einen möglichst einheitlichen Maßstab für die Bewertung der Prospects zu haben, ist dadurch nahezu unmöglich - genau wie ein alles umfassendes Positionsranking sehr schwierig ist. A.J. Brown ist für viele Experten im diesjährigen Draft etwa der "bessere" Wide Receiver als Hakeem Butler - doch wenn ein Team auf der Suche nach einem X-Receiver ist, sollte definitiv eher Butler die Wahl sein.
Während bei Quarterbacks also gewisse Aspekte einfach nicht verhandelbar sind, um in der NFL wirklich erfolgreich zu sein - Accuracy als vielleicht der zentralste Punkt -, so kann man als Wide Receiver auf ganz unterschiedliche Wege Erfolg haben. Tampa Bays Mike Evans und Indys T.Y. Hilton etwa sind komplett unterschiedliche Spielertypen, beide aber können auf ihre Art gewinnen.
Manche Receiver glänzen durch ihr fantastisches Route-Running mit explosiven Cuts und überlegten Routes, Antonio Brown, Keenan Allen oder Stefon Diggs fallen beispielsweise in diese Kategorie. Andere können sich zwar nicht wirklich gut von ihrem Gegenspieler lösen, sind physisch aber so dominant und haben so gute Hände, dass sie permanent Contested Catches gewinnen - DeAndre Hopkins ist das Paradebeispiel hierfür.
Wieder andere gewinnen mit Speed und Explosivität (Tyreek Hill, DeSean Jackson), oder mit einer Mischung aus Route-Running und Spielverständnis (Julian Edelman, Adam Thielen).
Somit gibt es weniger ein Ranking der einzelnen Eigenschaften, sondern eher die Frage: Wie gut kann ein Receiver mit seinen Stärken gewinnen - und wie sehr fallen die Schwächen ins Gewicht? In welche Rolle und welches Scheme passt er in der NFL? Oder ist er tatsächlich so gut, dass er verschiedene Rollen auf einem sehr hohen Level ausfüllen kann? Julio Jones wäre hierfür mein aktuell bestes Beispiel, A.J. Green könnte man ebenfalls nennen.
Einige dieser Eigenschaften sind:
- Route Running: Ein guter Route-Runner bringt einen großen - und logischen - Vorteil mit: Er wird vergleichsweise häufiger offen sein als Receiver, die in diesem Bereich nicht so glänzen. Kann ein Receiver Verteidiger mit scharfen Cuts abschütteln? Kann er sie mit seinen Bewegungen in der Route so manipulieren, dass sich die Seite öffnet, auf die er letztlich hinkommen will? Explosivität, Fußarbeit, Spielverständnis - hier spielen viele Faktoren mit rein.
- Explosivität und Speed: Wie schnell sind die Bewegungen des Receivers? Kann er in der Route mit seiner Geschwindigkeit spielen, um den Gegenspieler abzuschütteln? Ist er in der Lage, innerhalb weniger Schritte von 0 auf 100 zu kommen, oder ist er eher ein Long Speed Receiver? Die Fähigkeit, Defenses konstant tief zu bedrohen, ist nicht unwichtig für eine Offense; deshalb werden insbesondere die Speedster unter den Wide Receivern von einigen Teams auch gerne mal ein wenig höher gedraftet.
- Agilität: Kann der Receiver seine Cuts bei voller Geschwindigkeit machen? Wie bewegt er sich auf engem Raum? Kommt er gut in seine Breaks? Ist er beweglich genug, um sich von Gegenspielern konstant zu lösen? Wie lange braucht er, um die Richtung zu wechseln?
- Release: Ein Receiver kann im College ein noch so guter Route-Runner sein; wenn er sich nicht von Press-Coverage beim Release lösen kann oder einen zu langsamen Release von der Line of Scrimmage hat, wird er in der NFL damit immer wieder vor Probleme gestellt. Neben Explosivität ist hier ganz besonders die Fußarbeit wichtig.
- Hände: Man kann darüber streiten, wie wichtig diese Eigenschaft wirklich ist und ob man gelegentliche Drops nicht hinnimmt, wenn der Receiver dafür durch sein Route-Running oder seine Explosivität permanent frei ist. Unter dem Strich aber geht es für Wide Receiver noch immer darum, Bälle zu fangen und das nicht selten auch weg vom eigenen Körper. Hat ein Prospect damit immer wieder auftretende Probleme, muss man das berücksichtigen.
- Yards nach dem Catch: Wird der Receiver mit dem Ball in der Hand zum Running Back, indem er Lücken für mögliche Laufwege findet und diese dann auch mit der notwendigen Geschwindigkeit und Aggressivität attackieren kann? Oder ist er eher der Possession-Typ, der einem weniger Yards nach dem Catch liefert?
- Physis und Blocking: Ist ein Spieler physisch so dominant, dass er damit permanent gewinnt? Lässt sich das auch auf die bessere Konkurrenz in der NFL übertragen? Was genau macht er auf dem Feld mit dieser physischen Dominanz, und sieht man sie auch, wenn er als Blocker eingesetzt wird?
Wichtig für die Einordnung der Receiver in die verschiedenen Kategorien ist, dass nichts davon in Stein gemeißelt ist. Ein vermeintlich klassischer Outside-Receiver wird sich in der NFL auch gelegentlich im Slot wiederfinden, genau wie umgekehrt. Dennoch ist es gerade bei Wide Receivern wichtig, die unterschiedlichen Anforderungen auf dem Feld zu kennen, um zu wissen, welchen Receiver-Typ man für das eigene Team überhaupt sucht.
Outside: Der "X"-Receiver
Prototypisches NFL-Beispiel: Julio Jones, DeAndre Hopkins, Davante Adams
Der "X"-Receiver ist das, was viele auch als den "klassischen Nummer 1 Receiver" oder auch als "Split End" bezeichnen würden. Er bringt die Größe und Physis mit, um sich gegen Press Coverage durchzusetzen, um Contested Catches zu liefern und um sich gegen physische Gegenspieler zu behaupten.
Das muss er auch, immerhin ist er in klassischer Receiver-Aufteilung vergleichsweise am häufigsten an der Line of Scrimmage auf sich alleine gestellt. Ein Beispiel dafür:
Natürlich gibt es unzählige Möglichkeiten, um mit Formationen und den Positionierungen der Receiver zu spielen und etwa via Pre-Snap-Motion noch Mismatches zu kreieren, Receiver aus einem unvorteilhaften Matchup raus zu bekommen und so weiter. Um die typische Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Receiver-Typen aber zu veranschaulichen, ist die hier abgebildete Grafik ein guter Startpunkt.
Der X-Receiver ist klassisch der Receiver, der am weitesten vom Tight End weg und nicht selten auch alleine auf einer Seite der Formation steht. Sieben Spieler müssen in der NFL direkt an der Line of Scrimmage stehen, nur die beiden äußersten sowie die Spieler, die mindestens ein Yard hinter der Line of Scrimmage postiert sind, sind Eligible Receiver, also dürfen angespielt werden. In der hier abgebildeten Formation wären diese beiden Spieler, die die jeweiligen Endpunkte markieren, also der Tight End und der X-Receiver.
Das bedeutet auch, dass der X-Receiver, wenn er isoliert auf einer Seite der Formation steht, nicht via Pre-Snap-Motion noch bewegt werden und dadurch einen Vorteil erhalten kann, andernfalls wäre die eben genannte Regel nicht erfüllt. Es bedeutet außerdem, dass der X-Receiver hier direkt an der Line of Scrimmage stehen muss, also ein einfaches Ziel ist, um in Press-Coverage genommen zu werden.
Deshalb ist der X-Receiver auch in den meisten Fällen der physisch eindrucksvollste Wideout auf dem Feld. Er muss sich am häufigsten in direkten Eins-gegen-Eins-Duellen beweisen, und erhält dabei vergleichsweise weniger Hilfe über das Scheme und die Play Designs.
D.K. Metcalf wäre wohl das prototypischste Beispiel für einen X-Receiver im diesjährigen Draft. Ein physischer Freak, der aber auch die Geschwindigkeit mitbringt, um Defenses tief zu attackieren, sowie die Fußarbeit, um sich zusätzlich zu seinen körperlichen Möglichkeiten auch anderweitig von Press Coverage zu lösen.
Ein X-Receiver ist noch immer in sehr vielen Offenses der dominanteste Skill Position Player. Dabei aber hat sich der physische Typ an die neue Spread-NFL angepasst - Antonio Brown etwa kann als X-Receiver mehr als nur bestehen, weil er sich mit seiner Fußarbeit problemlos von Press-Coverage löst und mit seinen Routes auch physische Deckung abschütteln kann.
Einige Beispiele im Draft dieses Jahr:
- D.K. Metcalf
- Hakeem Butler
- Kelvin Harmon
- J.J. Arcega Whiteside
- Miles Boykin