Es stimmt ohne jeden Zweifel - die 2019er Quarterback-Klasse kann mit der 2018er nicht mithalten, zumindest nicht was die ersten fünf, sechs Prospects angeht. Die Qualität in der Spitze im Vorjahr war höher, und die Auswahl an potentiellen Franchise-Quarterbacks war definitiv größer.
Und doch gibt es auch in diesem Jahr interessante Prospects; und generell entsteht bei der Vorbereitung auf den Draft der Eindruck, dass gerade nach dem Top-Duo die Bewertungen und Prognosen weit auseinander gehen.
Draft: Stidham, Thorson und Co. - wer hat die Top-10 verpasst?
Vermutlich der Name, dessen Abwesenheit in meiner Top-10 am meisten überrascht, ist Jarrett Stidham - bei dem ich aber, nachdem ich seine Tapes gesehen hatte, nie verstanden habe, womit der in den USA doch sehr präsente Hype noch begründet wird.
Stidham kann Defenses lesen und er hat eine gute Technik in der Pocket. Aber sobald die Umstände um ihn herum wacklig werden, ist sein Tape eine Katastrophe. Dann gehen die Augen schnell runter, dann wirft er furchtbare Pässe und begeht üble Fehler - nicht selten wirkt es, als würde er gegen Druck in der Pocket in komplette Panik verfallen und als wüsste er überhaupt nicht, was er machen soll, wenn die Struktur des Plays nicht mehr da ist.
Oft kommt er generell von seinem ersten Read nicht schnell genug weg, Antizipation ist ein Fragezeichen und er kassiert zu viele Sacks, die auf sein Konto gehen. Stidham ist nach meiner Sicht ein langfristiges Projekt, das ich wenn überhaupt in der späten sechsten oder siebten Runde holen würde.
Vielleicht haben manche auch Northwesterns Clayton Thorson in der Top-10 erwartet, zumindest habe ich ihn dort in vielen Rankings gesehen. Thorson hat für mich nicht mehr als Backup-Potential in der NFL, seine Accuracy ist wahnsinnig inkonstant und sein Wind Up - also seine Ausholbewegung beim Wurf - sowie sein Release dauern viel zu lange, was in Kombination mit geringer Armstärke zu vielen zu späten Pässen und erhöhter Turnover-Gefahr führt.
Easton Stick, ehemaliger Mitspieler sowie Nachfolger von Carson Wentz bei North Dakota State, hat eine überraschende Explosivität als Runner - die in der NFL gegen deutlich bessere Defenses nicht mehr so effizient sein wird. Er gilt als toller Leader und war drei Jahre lang Team Captain, vor allem verfügt er über einen brandgefährlichen Deep Ball. Viel mehr aber zeigt sein Tape nicht, da er im Underneath- und Intermediate-Passing-Game nicht viel zu bieten hat und ihm die Offense durch RPOs, Bootlegs und Zone Reads viele simple Reads ermöglichte.
Das NFL Draft 2019 Quarterback Ranking:
10. Jordan Ta'amu, Ole Miss
In einem Satz: Ein guter Deep Ball Passer insbesondere Richtung Seitenlinie - doch Reads, Spielverständnis, Antizipation und Verhalten gegen Pressure lassen deutlich zu wünschen übrig und werfen Fragen über seine NFL-Chancen auf.
Stärken:
- Zeigt die Fähigkeit, aus sauberer Pocket alle Level des Feldes anzuspielen. Die Accuracy ist inkonstant, aber sie blitzt auf alle Distanzen zumindest auf.
- Einige seiner besten Pässe waren Deep Balls Richtung Seitenlinie. Ta'amu verfügt über eine solide Armstärke und zeigt auch Touch in seinen Pässen, genau wie die Fähigkeit, ins schnelle Kurzpassspiel überzugehen. Hier sieht man auch Timing und Rhythmus.
- Passend dazu: Ta'amus Delivery und Wurfbewegung zeigen Potential, hierauf könnte ein NFL-QB-Coach immerhin aufbauen.
- Der Hawaiianer, der aus Pearl City stammt, ist zudem ein athletischer Quarterback und solider Runner. Wurde dementsprechend auch im College eingesetzt und könnte in der NFL mit Zone Reads und dergleichen ebenfalls punkten.
Schwächen:
- Das größte Fragezeichen für mich ist das Pocket-Verhalten. Ta'amu ist hier unglaublich inkonstant, teilweise läuft er in den Druck rein und hat überhaupt kein Gefühl für die Pocket und den Pass-Rush. Seine Augen gehen häufig zu schnell runter und er läuft los, statt den Passing Designs eine Chance zu geben. Teilweise verlässt er auch eine saubere Pocket vorschnell.
- Spielverständnis und Reads sind ebenfalls noch sehr durchwachsen. Ta'amu lässt offene Receiver ungenutzt, sieht regelmäßig Blitzer Pre-Snap nicht, bewegt Verteidiger nicht mit seinen Augen und bleibt zu häufig am ersten Read kleben.
- In der Folge mangelt es seinen Pässen generell auch an Antizipation, was nicht selten dazu führt, dass seine Receiver unmittelbar nach dem Catch heftige Hits einstecken.
SPOX-Empfehlung: 7. Runde.
9. Ryan Finley, N.C. State
In einem Satz: Finley kann das ganze Feld lesen und versteht Defenses, doch ein Mangel an Armstärke, ein zu langsamer Release und größere Fragezeichen im Decision-Making lassen auf einen Career-Backup schließen.
Stärken:
- Sein Spielverständnis fällt auf Tape schnell auf. Finley weiß, wo er mit dem Ball hingehen muss, geht - zumindest teilweise - durch seine Reads und teilweise manipuliert er Verteidiger auch mit seinen Augen. Hier macht sich auch die Erfahrung von fast 3.000 College-Dropbacks bemerkbar.
- Technisch sticht seine Beinarbeit heraus. Finley hält permanent die Balance und ist so konstant in guter Wurfposition, er versteht zusammengefasst die Grundlagen der Position.
- Teilweise zeigt sein Tape fantastisches Ball Placement. Insbesondere im schnellen Underneath Passing Game fühlt sich Finley wohl.
Schwächen:
- Finleys sichtbares Spielverständnis steht in klarem Kontrast zu seinem Decision Making. Hier ist er noch immer zu inkonstant und macht zu viele leichtsinnige Fehler, teilweise klebt er schlicht auch an einem Read.
- Die mangelnde Armstärke ist ein echtes Problem. Finley hat einen eher langsamen Release und bringt dann nicht genug Power hinter den Wurf, was es Verteidigern immer wieder erlaubt, Lücken doch noch zu schließen und im schlimmsten Fall eine Einladung für Turnover ist.
- Gegen Pressure ist er eine absolute Wildcard und hat hier auch mitunter horrende Fehler auf Tape. Finley braucht ideale Umstände um sich herum sowie eine Offense, die wenig Improvisation von ihm verlangt und über ein Kurzpass-Timing-Spiel funktioniert.
SPOX-Empfehlung: 6.-7. Runde.
8. Tyree Jackson, Buffalo
In einem Satz: Die größte QB-Wildcard in diesem Draft, weil er so unheimlich roh und vergleichsweise wenig ausgebildet ist: Wahnsinnig aggressiv Downfield, sehr gute Athletik als Runner - und in puncto Accuracy, Spielverständnis, Touch und Antizipation eine Großbaustelle.
Stärken:
- Eine Big-Play-Maschine. Jackson visierte im Schnitt Receiver 14,3 Yards Downfield an, der zweithöchste Wert aller Quarterbacks im diesjährigen Draft. 114 Mal warf er 20 Yards oder weiter, zum Vergleich: Kyler Murray kommt auf 77 solcher Pässe.
- Im vertikalen Passspiel liegen auch Jacksons spektakulärste Pässe, weil er hier seine enorme Armstärke vernünftig einsetzen kann. Jackson ist ein spannender Deep Passer, sein Arm erlaubt es ihm aber auch, aus jeder Plattform und nur mit seinem Oberkörper den Ball ans Ziel zu bekommen.
- Darüber hinaus ist er physisch eindrucksvoll, wenngleich das was designte Runs angeht im College gar nicht so ausführlich genutzt wurde. Das Potential hierfür ist aber da, Jackson erinnert so an eine schlechtere und viel, viel rohere Version von Cam Newton.
Schwächen:
- Unfassbar ungenau. Accuracy ist ein riesiges Fragezeichen, und wenn man das nicht zumindest auf ein gewisses Basis-Level heben kann, ist Jackson kein NFL-Quarterback.
- Davon kommt vieles auf seine Mechanics zurück. Jackson hat eine riesige Ausholbewegung beim Wurf und braucht so auch enorm viel Zeit, um seine Würfe "aufzuladen". Dazu kommen zahlreiche Pässe vom Backfoot, generell ist die Beinarbeit noch eine Großbaustelle. All seine Bewegungen in der Pocket wirken ineffizient und viel zu ausladend.
- Auch was das Spielverständnis angeht wird er sich deutlich steigern müssen. Jackson übersieht gerne mal Underneath-Verteidiger, während er gleichzeitig Antizipation und Touch im Passspiel nahezu komplett vermissen lässt. Er ist ein riesiges Projekt, die physischen Tools werden aber den einen oder anderen NFL-Coach irgendwo in der späten dritten oder frühen vierten Runde zu sehr locken.
SPOX-Empfehlung: 5.-6. Runde.
7. Will Grier, West Virginia
In einem Satz: Einer der inkonstantesten Quarterbacks, die ich in den letzten Jahren vor dem Draft gesehen habe - mit phasenweise tollen Deep Balls, Touch auf alle Distanzen und Timing, unmittelbar gefolgt von Harakiri-Pässen, Problemen gegen Pressure und einem schlechten Gefühl in der Pocket.
Stärken:
- Vielleicht der gefährlichste Downfield-Passer der gesamten Draft-Klasse. 1.299 Yards (Platz 3), 20 Touchdowns (1) und nur zwei Interceptions bei Pässen von 20 Yards oder mehr.
- Grier will das Big Play, und genau so spielt er auch, mit sehr vielen vertikalen Elementen, Touch und Ball Placement im Downfield Passing Game und Big Plays gerne auch gegen den Blitz.
- Kann Defenses vor dem Snap lesen und Anpassungen vornehmen, er ist zudem athletisch genug, um Plays innerhalb und außerhalb der Pocket auszudehnen. Griers beste Tapes und Momente sehen aus wie die eines absoluten Top-Prospects.
Schwächen:
- Direkt daran anknüpfend: Ich glaube nicht, dass ich über die letzten Jahre ein inkonstanteres Quarterback-Prospect gesehen habe, das eine derartige Bandbreite abdeckt. Grier wirft gerne vom Backfoot, generell ist seine Beinarbeit in der Pocket ein großes Fragezeichen. Seine Wurfbewegung und sein Release sind inkonstant, genau wie Accuracy und Antizipation
- Ganz besonders sichtbar wird das in der Pocket. Pressure ist ein echtes Problem, hier hatte er mehrere furchtbare Plays. Pressure-Awareness und generelles Pocket-Verhalten sind nicht gut, in der Folge hält er den Ball viel zu häufig viel zu lange.
- Und auch die Big Plays kommen mit einer Downside: Grier will nur zu gerne die langen Pässe - und notfalls will er sie auch erzwingen. Das führt zu teilweise grausamen Pässen klar in Coverage, die auf entschieden zu vielen seiner Tapes auftauchen.
- Gelingt es einem NFL-Team, Grier zu einem konstanten Passer zu machen und das Risiko etwas runter zu schrauben, könnte er sich als einer der Steals dieses Drafts entpuppen. Ihn dafür aber - wie in diversen Mock Drafts zu sehen - Anfang der zweiten Runde zu draften erscheint mir deutlich zu hoch.
SPOX-Empfehlung: 4.-5. Runde.
6. Daniel Jones, Duke
In einem Satz: Ich sehe den Hype überhaupt nicht: Hält den Ball regelmäßig zu lange und kassiert so unnötige Sacks, teilweise ein zu langsamer Release - in meinen Augen nicht mehr als maximal Low-Level-Starter-Potential, mit der Tendenz eher zum Career-Backup; Stil erinnert nicht selten an Ryan Tannehill.
Stärken:
- Viele Basics gefallen. Jones arbeitet meist schnell durch seine Reads, die Füße arbeiten synchron mit seinen Progressions, und so ist er permanent in Wurfposition. Generell sehen seine Bewegungen in der Pocket sehr fließend und sauber aus.
- Seine Stärke liegt im Kurzpassspiel. Hier zeigt er immer wieder auch sehr gutes Ball Placement und Timing, genau wie Antizipation. Darauf kann man aufbauen, und das hat ohne Frage einen Wert.
- Jones hatte mit absolut horrenden Drops seiner Receiver zu kämpfen, die bessere Stats verhinderten. Prozentual hatte er letztes Jahr die zweitmeisten Drops dieser Klasse mit absurden 9,2 Prozent.
Schwächen:
- Die fehlende Armstärke ist deutlich sichtbar. Jones hat eine etwas zu ausladende Wurfbewegung und dadurch einen nicht idealen Release, was ähnlich wie bei Finley gemeinsam mit der fehlenden Armstärke zu verspäteten Würfen führt.
- Womöglich ist es auch dieser Tatsache geschuldet, dass Jones konstant mögliche Wurffenster verstreichen lässt. Hier vertraut er entweder seinem Arm, oder seinen Augen nicht. In der Folge hält er den Ball gerne mal zu lange und kassiert dann vermeidbare Sacks.
- Generell ist er massiv inkonstant gegen Pressure, Pocket Awareness ist eine Achterbahnfahrt und die Accuracy ist definitiv inkonstant. Im vertikalen Passspiel ist er außerdem unglaublich ungenau, für mich ist er ein eindimensionaler Passer. Hatte zudem viele "einfache" Plays durch Rollouts, Run Pass Options und dergleichen. Auch scheinbar viele Pre-Determined-Throws.
SPOX-Empfehlung: 4.-5. Runde.