Fünf Fragen zu Team USA bei Olympia 2024: Ist es der perfekte Kader?
Seit der Blamage bei den Olympischen Spielen 2004, als die US-Boys gegen Argentinien verloren und sich mit Bronze blamierten, nimmt man über dem großen Teich die Spiele wieder ernst. Das "Redeem Team" eroberte 2008 Gold zurück, seitdem ging der Titel jedes Mal an die Vereinigten Staaten. Weil man eben nicht mehr nur ein paar Superstars einsammelt, sondern ein Team aufbaut und von den Spielern mit wenigen Ausnahmen ein mehrjähriges Commitment einfordert. Außerdem haben die ganz großen Namen wieder etwas mehr Lust als noch vor 20 Jahren, die Goldmedaille ist gefühlt etwas mehr wert. Wohl auch deshalb, weil die Konkurrenz so viel besser geworden ist.
Das heißt aber nicht, dass immer alle Stars an Bord sind - und ebenfalls nicht, dass Team USA unschlagbar ist: Bei der WM 2023 in den Philippinen reiste man mit einem C-Team an, verlor gegen Deutschland und Kanada und blieb komplett ohne Medaille. Auch deshalb klopften Sportdirektor Grant Hill und Head Coach Steve Kerr bei LeBron James, Stephen Curry und Co. an - und bürgerten mal eben flugs Joel Embiid ein.
Das Resultat kann sich sehen lassen: Nicht nur sind mit LeBron, Steph und Kevin Durant die besten US-Spieler ihrer Generation an Bord, von oben bis unten ist der zwölfköpfige Kader mit waschechten Superstars bestückt. Aber gleichzeitig eben so, dass es auch Sinn ergibt. Mit dieser Truppe kann Kerr auf so ziemlich jede Spielsituation optimal reagieren.
- Shooting: Von außen kann dank der näheren FIBA-Dreierlinie fast jedes Team heiß laufen. Team USA hat aber in Curry nicht nur den besten Distanzschützen der Geschichte dabei, sondern kann problemlos ein Lineup aus fünf Shootern stellen, z.B. Curry-Booker-James-Durant-Adebayo
- Rebounding: Wo man früher auch mal unter dem Korb dominiert wurde, packte Team USA diesmal in Embiid, Bam Adebayo und Anthony Davis drei waschechte Ringbeschützer ein. Mit LeBron als Point Forward hieße das etwa: James-Edwards-Tatum-Adebayo-Davis
- Defense: Mit Jrue Holiday und Derrick White ist der defensiv überragende Backcourt der Boston Celtics vertreten. Das Duo zusammen mit Anthony Edwards, Jayson Tatum und AD unter dem Korb? Kaum zu knacken.
Da bleiben kaum Fragen offen. Kerr kann sowohl groß (LeBron als Aufbauspieler, Adebayo und Davis gemeinsam) als auch klein (LeBron oder KD als Center) spielen lassen, Tempo rausnehmen oder mit Curry/Haliburton im Backcourt auf die Tube drücken - und ganz tief in die Bank gehen, reine Olympia-Touristen hat sein großartiges Dutzend nämlich nicht zu bieten.
Der "perfekte" Kader ist es nicht, schließlich musste Kawhi Leonard kurzfristig passen und wurde durch Derrick White ersetzt. Mit dem Clippers-Star an Bord wären die Forward-Plätze noch tiefer besetzt gewesen, obendrein hätte sein Midrange-Game in engen Situationen helfen können. Außerdem wurde freiwillig auf Finals-MVP Jaylen Brown verzichtet: Sollte die Mission Titel fehlschlagen, wird diese Entscheidung sicherlich hinterfragt werden. Alles in allem kann sich Kerr aber die Hände reiben: Ein besseres Aufgebot hätte er sich vor einem Jahr wohl nicht träumen lassen.
Fünf Fragen zu Team USA bei Olympia 2024: Das beste Team USA aller Zeiten?
Widmen wir uns dieser Frage doch zuerst, bevor wir zu den (wenigen) Stolpersteinen auf dem Weg zu Gold übergehen. LeBron und KD sind noch immer dabei, zum ersten Mal überhaupt auch Steph Curry, mit Embiid ein weiterer MVP. Drei Stars von den im vergangenen Jahr überragenden Boston Celtics, die in der NBA eine "Dynastie" anstreben. Das vielleicht zukünftige Gesicht des Sports nicht zu vergessen. Wenn man dann noch die Tiefe des Kaders bedenkt, muss die Frage zumindest erlaubt sein, ob wir es mit dem besten Team USA der Geschichte zu tun haben.
Ein Blick auf die Kader der Vergangenheit zeigt: Ein Platz unter den Top-3 ist mindestens drin. Vor drei Jahren waren in Tokio Namen wie JaVale McGee, Jerami Grant oder Keldon Johnson dabei. 2016 wirkte der Kader zwar ähnlich breit, aber in der Spitze nicht ganz so stark. 2012 und 2008 fehlte es vor allem bei den Centern an Tiefe, 2000 war fast so mittelmäßig wie 2004 - und 1996 ein bisschen schwächer und älter als das Original von Barcelona 1992.
Bleibt das "Dream Team": Jenes bis heute fast mystisch überhöhte Team, das zum ersten Mal bei Olympischen Spielen mit geballter NBA-Power aufschlagen durfte und die Gegner mit durchschnittlich 44 Punkten Unterschied aus der Halle fegte.
Wie stehen die beiden Kader im Vergleich da?
Team USA 2024 vs. Dream Team: Die Kader im Vergleich
Team USA 2024 | Dream Team 1992 |
Head Coach: Steve Kerr | Head Coach: Chuck Daly |
LeBron James (Forward, Lakers) | Michael Jordan (Guard, Bulls) |
Stephen Curry (Guard, Warriors) | Magic Johnson (Guard, Lakers) |
Kevin Durant (Forward, Suns) | Larry Bird (Forward, Celtics) |
Joel Embiid (Center, 76ers) | Charles Barkley (Forward, Suns) |
Anthony Edwards (Guard, Timberwolves) | Karl Malone (Forward, Jazz) |
Anthony Davis (Center, Lakers) | Patrick Ewing (Center, Knicks) |
Jayson Tatum (Forward, Celtics) | David Robinson (Center, Spurs) |
Devin Booker (Guard, Suns) | Scottie Pippen (Forward, Bulls) |
Bam Adebayo (Center, Heat) | Clyde Drexler (Guard, Trail Blazers) |
Jrue Holiday (Guard, Celtics) | John Stockton (Guard, Jazz) |
Tyrese Haliburton (Guard, Pacers) | Chris Mullin (Forward, Warriors) |
Derrick White (Guard, Celtics) | Christian Laettner (Guard, Duke) |
Sind wir ehrlich: Die Starpower in der rechten Spalte ist kaum zu kontern. Elf der zwölf Spieler sind heute in der Hall of Fame zu bestaunen, insgesamt kann die Mannschaft von 1992 23 NBA-Titel, 100 All-NBA-Teilnahmen und 14 MVP-Awards aufweisen. Und: Mit Ausnahme von Bird, Magic und Laettner waren alle Spieler zwischen 26 und 30 Jahre alt und damit mitten in ihrer Prime. Diese haben LeBron, Steph und KD bei aller Liebe schon hinter sich.
Aber die Ausgabe von 2024 kann ebenfalls ein paar Punkte sammeln: Bird (35, Karriereende nach den Spielen) und Magic (Rücktritt 1991, Comeback 1996) waren mehr Maskottchen als Leistungsträger, Laettner hatte als College-Star auch keinen Platz im Team "verdient". Und wo rechts elf Hall-of-Famer stehen, könnten es links in 20 Jahren womöglich sogar zwölf sein. Hätten LeBron, Steph und KD 2016 mit einem ähnlich starken Supporting Cast in Rio zusammengefunden, das Argument wäre noch einmal deutlich stärker. Umgekehrt gilt aber gleichermaßen: Man stelle sich vor, anstelle von Laettner wäre Isiah Thomas von den Detroit Pistons in Barcelona dabei gewesen ...
Fünf Fragen zu Team USA bei Olympia 2024: Wo liegen die Schwachstellen?
Spätestens seit der Zitterpartie im Test gegen den mächtigen Südsudan am Samstag sind Fragen wieder erlaubt: Wer sich gegen krasse Außenseiter derartig schwertut, der muss sich doch vor Gastgeber Frankreich, das vor Talent strotzende Kanada oder Weltmeister Deutschland fürchten - oder?
Ganz so einfach ist es nicht. Die Beinahe-Blamage war eher ein Beweis dafür, was im heutigen Basketball alles möglich ist, wenn der Gegner von der Dreierlinie brandheiß ist und man selbst so gut wie nichts trifft. Und dafür, dass "die Basketball-Welt zusammengerückt ist", wie Kerr zugab. Selbst wenn er betonte: "Wir haben das Gefühl, dass wir das Ergebnis immer noch mit unserer Performance entscheiden, so gut der Gegner auch ist." Wenn man also von "Der Gegner trifft alles, Team USA trifft nichts"-Szenarien absieht: Wo liegen die möglichen Schwachstellen in der Kerr-Truppe?
- Eingespieltheit: Eine Binsenweisheit, aber es stimmt eben immer noch: Wo etwa Deutschland das gleiche Team aufbietet wie beim WM-Titel vor einem Jahr und eingespielter kaum sein könnte, haben die US-Boys in dieser Besetzung gerade mal ein kurzes Training Camp und ein paar Testspiele hinter sich. In dieser Zeit lassen sich nur eine begrenzte Anzahl von Spielzügen und defensiven Schemes einstudieren, ein blindes Verständnis wird so schwer. Auch deshalb setzte Kerr in den Testspielen oft auf zwei Fünfergruppen, die sich gegenseitig ablösten. Die Frage ist zudem, ob die Hierarchie im Team auch dann noch stimmt, wenn es in den letzten Minuten mal um die Wurst geht.
- Joel Embiid: Der Sixers-Center wurde auch deshalb eingebürgert, um unter dem Korb eine echte Scoring-Waffe zu haben, und einen weiteren Big Man gegen die Nikola Jokics dieser Welt. Nach verletzungsbedingt nur 39 Spielen in der Regular Season und dem Comeback in den Playoffs wurde in den bisherigen Testspielen aber klar: In Topform ist der 30-Jährige nicht - und seine Rolle hat er im mit Stars gespickten Team, das plötzlich nicht mehr auf ihn zugeschnitten ist, noch nicht gefunden. Für Schlagzeilen sorgte zudem ein Interview in der New York Times vor wenigen Tagen, als er die älteren Stars im Team, darunter LeBron James (39), öffentlich anzweifelte: "Die Leute lassen sich von den Namen täuschen, aber jetzt sind sie älter. Sie sind nicht mehr so gut wie früher." Ob das intern wirklich gut ankam?
- Kevin Durant: Der beste Scorer der amerikanischen Olympia-Geschichte will in Paris nach seiner vierten Goldmedaille greifen, das wäre Rekord bei einer Teamsportart der Männer. Aber der Superschütze konnte nach einer Wadenverletzung erst kürzlich wieder ins Training einsteigen und schaute bei allen Tests bisher zu. Ersetzt werden wird er nicht mehr, aber mehr als ein paar Minuten gegen Deutschland wird er nicht auf dem Konto haben, wenn es endlich losgeht. Außerdem hat man in den letzten Jahren bei KD immer häufiger gesehen, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Es kann natürlich auch ohne ihn gehen, aber sein Skillset gibt es in der Form im Team nicht noch einmal.
- Steve Kerr: Zweifel an Kerr als Coach verbieten sich eigentlich, sein Resümee spricht für sich. Wenn man dem 58 Jahre alten Warriors-Übungsleiter eines vorwerfen kann: Manchmal ist er etwas zu loyal. Das gilt in erster Linie natürlich für seinen Schützling Steph: Was passiert, wenn der mal von draußen kalt ist und defensiv überfordert? Alternativen in Golden State gab es bekanntlich selten, aber hier sind die Vorzeichen andere. Gleiches gilt für KD und vielleicht sogar LeBron, wenn man dem mal seine 39 Lenze ansieht: Bringt es Kerr übers Herz, sie im Zweifelsfall in der Crunch Time mal draußen zu lassen? Oder die Rotation in einem Thriller um Gold drastisch einzukürzen? Außerdem zieht es Kerr bei den Dubs manchmal vor, in Schönheit zu sterben, wenn es auch ein simples Pick-and-Roll tun würde. Das könnte sich unter Umständen rächen.
Fünf Fragen zu Team USA bei Olympia 2024: Was ist die beste Starting Five und - wer spielt in der Crunch Time?
Eins vorweg, was die Starting Five angeht: Wo die erste Fünf in der NBA in den meisten Fällen über die Anzahl der gespielten Minuten Aufschluss gibt, ist die Starting Five bei den Olympischen Spielen bei weitem nicht so aussagekräftig. Man denke nur an Jason Kidd: Der aktuelle Mavericks-Coach war in Peking 2008 als 35-Jähriger dabei und stand in der Starting Five, spielte aber dennoch sehr wenige Minuten (elf im Finale gegen Spanien).
Für die Spiele in Lille - dort findet die Vorrunde statt - und Paris sind laut Steve Kerr bisher drei Starter gesetzt: Stephen Curry, LeBron James und Joel Embiid. "Ich mag die drei im Starting Lineup", erklärte er. "Wir haben uns mehrere Spieler um sie herum angeschaut und haben viele großartige Optionen, aber das Trio gefüllt mir." Jrue Holiday durfte neben ihnen schon mehrfach ran, auch Jayson Tatum, Anthony Edwards und Devin Booker bekamen ihre Chance.
Das Festhalten an Embiid könnte sich vielleicht rächen, wenn der Center weiterhin Probleme hat (s.o.), selbst wenn sein Platz in der Starting Five wie gesagt nicht bedeuten muss, dass er viele Minuten bekommt. Kerrs Rotation dürfte mit Durants Ausfall zusammenhängen, der wäre in Bestform als Shooter wohl gesetzt. So aber dürfte KD erst einmal von der Bank kommen und sich herantasten. Sehr viel spricht für Jrue Holiday als bestem Guard-Verteidiger neben Curry, auch gegen etwas größere Gegner. Der fünfte Platz ist völlig offen: Booker brächte das meiste Shooting, Tatum oder Edwards mehr Länge und Defense - aber wie effektiv wären sie wirklich, wenn LeBron den Ball dominiert?
Wichtiger als die Starting Five ist die Frage nach der besten Fünf, wenn es um die Wurst geht, in einem K.o.-Spiel gegen Frankreich, Deutschland oder Kanada. Wie Kerrs Pläne aussehen, darüber könnte das Spiel gegen den Südsudan Auskunft gegeben haben, als man Sekunden vor dem Ende beim Stand von 99:100 unbedingt punkten musste: LeBron und Steph waren hier gesetzt, von Embiid war allerdings nichts zu sehen. Dafür befand sich Anthony Davis als einziger Big auf dem Parkett. In einer Ecke lauerte Booker, in der anderen Edwards, letzterer womöglich auch als Cutter.
Als Team USA wenig später den defensiven Stop brauchte, baute Kerr fast vollständig um: Edwards und Davis blieben als exzellente Verteidiger drauf, dazu kamen White, Holiday und und Adebayo. Hier hatte der Coach also keine Skrupel, selbst einen LeBron auszuwechseln - ein gutes Zeichen. Spannend wird es dann, wenn in den Spielen mal nicht vor jeder Ballbesitzphase gewechselt werden kann: Setzt Kerr mit Curry und Durant eher auf Offense - oder bleiben mit Holiday und Edwards Defensiv-Spezialisten auf dem Court? "Wir sind schlagbar, wenn wir nicht unsere Art Basketball spielen", sagte Steph nach dem Südsudan-Spiel: "Und das ist Defense." Das spricht eher gegen den Warriors-Star.
Fünf Fragen zu Team USA bei Olympia 2024: Wer nimmt den letzten Wurf?
Wenn es nach Kerr geht, eine überflüssige Frage: Im besten Fall führt Team USA in jeder Schlussphase schon mit 20+ Punkten und die Frage nach einem letzten angesagten Spielzug, einem letzten Wurf - und potenziell verletzten Egos - stellt sich erst gar nicht. Aber es ist nun einmal 2024 und nicht 1992. Die Zeiten, in denen ein Angola im Olympischen Turnier mit 116:48 weggefiedelt wurde, sind längst vorbei.
Wieder bietet sich der Blick zum Spiel gegen den Südsudan an. Da hatte LeBron James kurz vor Schluss den Ball in der Hand, während Curry versuchte, durch einen von Davis gestellten Pick einen freien Wurf zu bekommen. Das funktionierte nicht, also zog der King selbst zum Korb und legte zum 101:100 ein.
Lernen kann man daraus zweierlei: Erstens trifft in der entscheidenden Phase LeBron auch im Alter von 39 immer noch die Entscheidungen auf dem Court, so unglaublich das klingt. Und zweitens: Kerr setzt auf das Two-Man-Game mit ihm und Steph. "Ich mag die zwei zusammen", verriet er schon vor einigen Tagen. "Steph und LeBron lernen quasi gerade, wie sie am besten zusammen spielen." Sinn ergibt das durchaus: Curry macht das, was er am besten kann - unermüdlich nach dem freien Wurf suchen und die Defenses so in seine Richtung verzerren - und James übernimmt die Rolle des "Draymond Green 2.0". Ein Duo, das schon bei den Warriors kaum zu stoppen ist, nur kann LBJ im Gegensatz zu Green nicht nur perfekte Pässe spielen, sondern auch selbst erstklassig punkten. Diese beiden im Zusammenspiel, flankiert von Shootern und einem Big Man als Lob Threat: Viel Glück auf der Suche nach einem passenden Rezept dagegen.
Wer den letzten Wurf nimmt, ist also zweitrangig. Genauso gut würde sich ein Post-Up für Durant oder eine Isolation für Edwards oder Tatum anbieten. Nur: Wer den entscheidenden Pass dazu spielen wird, das dürfte bereits feststehen.
Basketball bei den Olympischen Spielen in Paris: Die Gruppen
Gruppe A | Gruppe B | Gruppe C |
Australien | Frankreich | Serbien |
Griechenland | Deutschland | Südsudan |
Kanada | Japan | Puerto Rico |
Spanien | Brasilien | USA |