Außerdem berichtete Smith darüber, wie sich seine Beziehung zu Jordan durch das Buch veränderte, welche Mythen bis heute bestehen und wie sich der Job des Beatwriters über die Jahrzehnte entwickelt hat.
Mr. Smith, in Ermangelung von "echten" Spielen spricht derzeit alle Welt über "The Last Dance", die Dokumentation, in der Sie selbst auch zu sehen sind. Wie haben Ihnen die ersten Folgen gefallen?
Sam Smith: Es gefällt mir bisher gut, auch wenn ich es anders sehe als die meisten Menschen. Ich habe es ja miterlebt, weil ich die gesamte Jordan-Zeit für den Chicago Tribune über die Bulls berichtet habe. Ich war bei den Finals dabei, habe die Rivalitäten hautnah erlebt. Aber wenn man dabei ist, etwas Historisches zu erleben, dann hält man nicht inne und sagt: "Ich erlebe etwas Historisches." Deswegen ist es für mich eine schöne Möglichkeit, zurückzublicken. Mich freut es aber auch, dass andere Leute nun endlich die Chance erhalten, Jordan so zu sehen, wie er wirklich war. Vor allem in den 80er Jahren, als er ein offener, neugieriger und fröhlicher Typ war, der trotzdem seine scharfen Kanten hatte, aber jemand war, den man gern um sich hatte.
Denken Sie, dass es noch andere Athleten gibt oder gab, bei denen es möglich wäre, dass über 20 Jahre nach der Karriere noch so ein massives Interesse an ihnen besteht?
Smith: Momentan fällt mir da keiner ein. Wenn man hier bei uns in den USA zurückblickt, kommen mir noch Babe Ruth und Muhammad Ali in den Sinn. Das sind drei Figuren, die in Sachen Sport auf unseren Mount Rushmore des 20. Jahrhunderts gehören. Jordan fasziniert aufgrund dieser einzigartigen Kombination: Er hatte den bahnbrechenden Erfolg, er hörte dazwischen überraschenderweise auf und widmete sich einer anderen großen Sportart. Er hatte die Kontroversen mit dem Glücksspiel ... und dann hatten die Bulls auch um ihn herum noch so faszinierende Charaktere. Insbesondere Dennis Rodman, eine der schrägsten Figuren der Sportgeschichte, Phil Jackson, der die Dinge so anders gesehen hat als andere Coaches. All diese Elemente kamen zusammen und bildeten einen perfekten Sturm, den es so wahrscheinlich nie wieder geben wird.
Sam Smith: "Ihm war sein Aussehen immer peinlich"
Sie waren 1984 schon beim Tribune, als Jordan in die NBA kam. Wann und wie haben Sie ihn zum ersten Mal getroffen?
Smith: Das war noch vor dem Start seiner Rookie-Saison. Jordan galt hier nicht als großer Retter der Franchise, ich bekam als Sportreporter dennoch die Aufgabe, ein Porträt über ihn zu schreiben. Also besuchte ich ihn in seinem kleinen Townhouse und war erstmal skeptisch, weil ich eintrat und er gerade sein Bügeleisen draußen hatte. Ich dachte, er wollte mir einfach etwas Buntes für meine Story geben und habe ihn danach gefragt, worauf er dann sagte, dass er seine Klamotten immer selbst bügelt. Ihm war sein Aussehen mit seinen großen Ohren immer peinlich, er war nicht sehr beliebt bei den Frauen an der Schule und dachte, er würde wahrscheinlich nie heiraten. Deshalb belegte er in der Schule Hauswirtschaftslehre und lernte Bügeln, Kochen, Nähen und so weiter. Das war meine erste Erfahrung mit dem bescheidenen Michael Jordan.
Jordan galt später als jemand, der in einem sehr engen Kreis agierte und nicht viel von sich preisgeben wollte. Wie haben Sie ihn in den ersten Jahren wahrgenommen?
Smith: Als er in die NBA kam, war er einfach ein Vergnügen. Er ist mit den Jahren verschlossen geworden, aber damals hätte er nicht offener und einladender sein können. An Spieltagen hat er sich früher teilweise stundenlang mit uns Reportern unterhalten, ihm gefiel dieses Hin und Her. Es gab damals keine Restriktionen für uns, wir konnten uns im Locker Room frei bewegen und mussten diesen erst 45 Minuten vor Spielbeginn verlassen. Bis dahin saß man dann mit ihm zusammen, scherzte und redete über alles Mögliche. Er war auch dabei jemand, der gewinnen wollte, will sagen: Er musste immer das letzte Wort haben. Aber das hat Spaß gemacht und zu Beginn schloss er dabei wirklich jeden mit ein, uns Reporter und sein Team.
Und später?
Smith: Als er immer berühmter wurde, kapselte er sich vermehrt von seinen Mitspielern ab. Er reiste dann auch regelmäßig mit sechs Security-Guards und verbrachte mit ihnen die Zeit, spielte Karten, Golf und so weiter. Aber es blieb auch damals dabei, dass er nicht alleine sein wollte.
Sam Smith: "Er hat Will Perdue im Training geschlagen"
Wann begann dieser Prozess der Abkapselung vom Team?
Smith: Sein Spiel machte ihn berühmt, aber der Erfolg, die Sneaker-Reihe mit Nike und so weiter hoben ihn auf eine völlig andere Stufe. Er wurde in Talkshows eingeladen, die anderen Spielern verwehrt waren. 1992 stand dann die Reise mit dem Dream Team nach Barcelona an, doch mittendrin kamen Kontroversen hinzu. Zu einer habe ich mit meinem Buch "The Jordan Rules" beigetragen, in dem es um die Saison 1990/91 ging, als noch niemand von uns dachte, Chicago würde am Ende davon Meister werden. Das Projekt begann als unschuldiges Tagebuch einer Saison, sollte die Leser mit hinter die Kulissen nehmen und zeigen, wie so eine Spielzeit damals ablief. Dann explodierten die Bulls auf einmal und wurden Meister, das Buch kam heraus und wurde kontrovers aufgenommen, weil Michael darin erstmals in seiner Karriere nicht als blitzeblanker Saubermann dargestellt wurde. Es gab dieses mediale Image, das nicht der Realität entsprach. Er war hart im Umgang mit seinen Mitspielern, teilweise fast ein Tyrann; er hat Will Perdue im Training geschlagen, weil dieser einen Screen nicht richtig gestellt hat, er hat Scott Burrell zum Weinen gebracht und so weiter.
Dazu kam die Geschichte mit dem Weißen Haus.
Smith: Richtig. Er verzichtete 1991 auf den Trip zum Weißen Haus, was für Titelträger damals schon eine dämliche Tradition war, mit der Entschuldigung, er hätte einen Familientrip geplant. Das stimmte allerdings nicht. In Wirklichkeit hat er das Wochenende mit Glücksspiel verbracht und war dabei unwissentlich mit einem verurteilten Drogendealer und einem Kautionsagenten, der später ermordet wurde, unterwegs. Das Ganze kam erst dadurch heraus, dass bei letzterem ein Scheck von Jordan gefunden wurde. Dann behauptete jemand, Jordan habe bei ihm Wettschulden in Höhe von 1 Million Dollar ... all diese Dinge kamen zusammen. Er war auch frustriert, weil er immer so nett und zuvorkommend mit den Medien umgegangen war und mit jedem redete, und dann dachte: "So zahlt ihr mir das zurück?" Es gab sogar, als sein Vater umgebracht wurde, Berichte, die andeuteten, das wäre wegen seiner Wettschulden passiert. Das war eine Schande und unwahr, aber Sie wissen, wie manche Medien bis heute mit so etwas umgehen. Er war verletzt, wütend, und das aus gutem Grund. Als er 1995 zurückkam, war er außerdem so berühmt, dass es einfach nicht mehr möglich gewesen wäre, mit jedem zu reden. Ich glaube auch, dass er einen gewissen Groll immer behalten hat.