NBA

Michael Jordan-Biograph Sam Smith im Interview: "Er kauft Scottie die Migräne immer noch nicht ab"

Im Umgang mit seinen Mitspielern überschritt Michael Jordan einige Grenzen.
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Welches von den sechs Meisterteams der Bulls hat Ihnen rückblickend am besten gefallen?

Smith: Auf dem Papier war das natürlich das 95/96er Team, das 72 Siege geholt hat. Für mich waren aber die 91er und 92er Teams besser, weil Jordan, Pippen und Horace Grant so ein unglaubliches defensives Trio waren. Zu dem Zeitpunkt waren sie alle auf ihrem athletischen Höhepunkt. Das war 1995 bei Jordan bei weitem nicht mehr der Fall, als er mit einem anderen Körper vom Baseball zurückkam und älter war. Er war klüger und immer noch großartig, aber physisch war das vorher eine andere Hausnummer. Jordan war defensiv der beste Two-Guard der Geschichte, Pippen defensiv der beste Small Forward der Geschichte und auch Grant war damals der wohl beste athletische Power Forward. Diese drei Spieler in einem Team waren überwältigend für gegnerische Angreifer.

Bei all diesem Erfolg stolpere ich rückblickend immer wieder darüber, dass es so lange einen offenen Konflikt bei den Bulls gab, insbesondere zwischen Jerry Krause auf der einen Seite und Jordan, Pippen und Phil Jackson auf der anderen Seite. Heutzutage würde der GM in so einem Konstrukt nicht lange auf seinem Posten bleiben. Warum war das bei den Bulls und Krause anders?

Smith: Gegenfrage: Stellen Sie sich vor, Ihnen gehört das erfolgreichste Unternehmen der Welt. Sie stehen an der Spitze. Nun wollen aber einige Mitarbeiter, dass der CEO dieses Unternehmens gefeuert wird. Wenn Sie das erfolgreichste Unternehmen haben: Warum sollten Sie das machen? Die Bulls dominierten jedes Jahr, für Besitzer Jerry Reinsdorf gab es damit keinen Grund, etwas zu ändern. Zumal Jordan nicht immer richtig lag. Er war zu Beginn so frustriert von Pippen und Grant, dass die Bulls, wenn es nach ihm gegangen wäre, beide hätten traden müssen. Man konnte das in der vierten Episode sehen, als es um das siebte Spiel der Conference Finals 1990 mit Pippens Migräne ging - Jordan macht dazu heute noch ein komisches Gesicht! Er kauft Scottie die Migräne immer noch nicht ab. Damals machte er Stimmung dafür, dass Krause Pippen und Grant loswerden sollte. Er wollte Buck Williams und Walter Davis, zwei Spieler, gegen die er am College in der ACC gespielt hatte. Damit lag er offensichtlich falsch. Nun hat Reinsdorf über die Jahre immer wieder solche Dinge gehört. Er mag ein brillanter Spieler sein, aber er klingt nicht wie ein cleverer Executive. Und Krause war vielleicht nicht der angenehmste Typ, aber er hat dieses Team gebaut. Warum das ändern?

Jerry Krause (l.) und Phil Jackson konnten zum Ende ihrer gemeinsamen Arbeit kaum noch im gleichen Raum sitzen.
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Jerry Krause (l.) und Phil Jackson konnten zum Ende ihrer gemeinsamen Arbeit kaum noch im gleichen Raum sitzen.

Sam Smith: "Jerry Krause hatte persönliche Probleme"

Für mich wirkt es nur immer kurios, dass Krause so eine Eile hatte, dieses unfassbar erfolgreiche Team aufzulösen. Tim Floyd rekrutierte er schließlich bereits 1996 als Jackson-Nachfolger.

Smith: Das ist richtig, ohne Zweifel. Jerry hatte viele persönliche Probleme. Auch wir hatten unsere Reibereien, weil er mich nach dem Erscheinen meines Buches intensiv verachtet hat. Ich will da auch nicht zu viel ins Psychologische abdriften. Wichtig ist: Er hatte nicht das letzte Wort. Als er 1997 Pippen traden wollte, sagte Reinsdorf nein. Als er Jackson loswerden wollte, sagte Reinsdorf nein. Jackson wurde 1997 ein langfristiger Vertrag angeboten. Nicht zum ersten Mal übrigens. Reinsdorf bot ihm an, den Neuaufbau der Bulls mitzugestalten, aber das wollte er nicht. Er sagte: "Das ist mein letztes Jahr." Dabei coachte er danach noch jahrelang die Lakers. Jordan lag mit seiner Aussage, dass er für keinen anderen Coach als Phil spielen würde, ja auch nicht richtig. Er spielte schließlich danach noch für Doug Collins bei den Wizards. Aber das waren einfach Phil und Michael, die klüger als alle anderen waren. Definitiv klüger als Krause.

Wie meinen Sie das?

Smith: Sie haben realisiert, dass das Ende nah war. Sie haben realisiert, dass sie das als Motivation benutzen und gleichzeitig Krause eins auswischen konnten. Krause wird ja auch in der Doku als der Böse dargestellt. Dabei wusste Michael ganz genau, dass Pippen sich vom Team distanzierte, dass Rodman immer verrückter wurde - ihm war bewusst, dass er das nicht noch einmal tragen konnte und wollte. Jordan dachte: "Ich kann das nicht noch einmal tun." Und Phil wollte sein Sabbatjahr. Er sprach immer davon, höchstens sieben Jahre bei einem Team zu verbringen, aber er war schon in Jahr neun. Deswegen unterschrieb er nur noch Einjahresverträge, er hatte genug davon. Das Ende war unausweichlich. Aber Michael und Phil haben realisiert, dass dieses Narrativ sie noch einmal durch die Saison tragen könnte. Sie waren uns allen voraus.

Dann hätte ich zum Abschluss nur noch eine Frage: Sie sind auch heute noch als Schreiber bei bulls.com unterwegs und reisen nach wie vor durch die Hallen der Liga. Was sind die größten Unterschiede im Job verglichen mit Ihren ersten Jahren als Beatwriter?

Smith: Man könnte definitiv nicht noch einmal die "Jordan Rules" schreiben. Der Zugang ist einfach ein anderer. Als ich anfing, steckte die NBA noch in ihren "modernen" Kinderschuhen. Es fing damals erst an, erfolgreich zu werden, deswegen konnte man alles miterleben - wir reisten mit den Teams, im Flugzeug und im Bus, wir waren in denselben Hotels, ich saß im Flugzeug neben Phil Jackson oder Tex Winter. Diese Intimität war unglaublich, das gibt es jetzt nicht mehr. Das sind jetzt alles Großkonzerne. Es wird mit 70, 80 Leuten gereist, die Teams allein füllen ganze Flugzeuge. Früher waren es eher 18 Leute. Und die Medien sind komplett separat. Ich saß damals vor Spielen vier Stunden mit Jordan zusammen. Heute bekommt man 30 Minuten im Locker Room, und die meisten Spieler sind gar nicht da, weil sie anderswo separat trainieren, getapt werden und so weiter. Diese Ära ist vorbei. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

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