Dieser Artikel erschien ursprünglich am 6. August 2015. Alle anderen Legenden-Geschichten findet Ihr in unserem Archiv.
"Magic, Bird, Jordan - sie alle sind MVPs. Dieser Typ ist mehr als das. Er ist der wichtigste Spieler, den die NBA seit Kareem gesehen hat."
Die Worte vom damaligen Suns-Trainer Cotton Fitzsimmons aus dem Jahr 1991 erscheinen aus heutiger Sicht relativ absurd. Kaum ein NBA-Fan würde "diesen Typen" David Robinson in seinem persönlichen All-Time-Ranking vor Magic oder Bird einordnen, vor MJ ohnehin nicht.
Sie verdeutlichen allerdings, was für einen Hype Robinson in seinen bis dahin erst zwei Jahren in der Liga bereits entfacht hatte. Angeblich gab es noch im Jahr 1993 interne Diskussionen bei den Bulls, ob sie Michael Jordan eins zu eins für Robinson anbieten sollten.
Sein Potenzial erschien grenzenlos - Superlativ erschien unangemessen. "Er ist das Ebenbild von Bill Russell, nur ist er ein besserer Athlet", sagte im selben Jahr kein Geringerer als Pat Riley. Gewissermaßen verständlich, wenn man sich die Palette von Fähigkeiten und körperlichen Voraussetzungen des Centers vor Augen führte.
David Robinson: Ein Alleskönner ohne Schwächen
Robinson war 2,16 Meter groß und hatte kein Gramm Fett an seinem unglaublich durchtrainierten Körper. Er bewegte sich mit einer Grazie, die Spieler seiner Größe sonst schlichtweg nicht innehatten, und war dazu auch noch schnell wie kein Center vor ihm. "Einigen Menschen ist es einfach vorbestimmt, Basketball zu spielen", schrieb Bill Simmons in seinem Book of Basketball voller Staunen über den Admiral.
Zumal seine Fähigkeiten den körperlichen Voraussetzungen in Nichts nachstanden. Robinson brachte überragende defensive Instinkte mit, die ihn 1992 zum Defensive Player of the Year machten. Schon in seiner Rookie-Saison schaffte er es ins All-Defensive Team, in seiner dritten Saison führte er die Liga mit 4,5 Blocks pro Spiel an.
Außerdem konnte er im Post, im Fastbreak oder aus der Mitteldistanz punkten und war 1994 Topscorer der Liga - seine legendären 71 Punkte am letzten Tag der Saison wurden in der Geschichte nur von Wilt Chamberlain, Kobe Bryant und David Thompson übertroffen. Ein herausragender Passer war er obendrein.
Es gab schlichtweg nichts, was Robinson auf dem Basketball-Court nicht tun konnte. Den besten Beweis lieferte wohl der 17. Februar 1994: Als einer von nur vier Spielern der Geschichte legte Robinson gegen die Pistons ein Quadruple-Double auf (34 Punkte, 10 Rebounds, 10 Assists, 10 Blocks).
David Robinson: Mehr Hobby als Beruf
Dabei war Basketball Zeit seines Lebens für den streng gläubigen Christen nicht mehr als ein geliebtes Hobby. Er hatte keine Karriere als Profi im Sinn, als er sich 1983 an der United States Naval Academy einschrieb und sich darüber hinaus noch für zwei weitere Navy-Jahre verpflichtete.
Damals war er noch 1,95 Meter groß und hatte nur wenig organisierten Basketball gespielt - erst ein enormer Wachstumsschub während der College-Zeit brachte ihn auf den Radar der Scouts und ließ ihn innerhalb weniger Jahre zum meistbegehrten Talent der gesamten Basketballwelt aufsteigen.
Es zeigte sich dabei früh, dass er wenig gemein hatte mit dem geldgeilen und selbstverliebten Profisportler der alten Klischees. Er war vielmehr das genaue Gegenteil. Auch mit der Aussicht auf Millionen im Hinterkopf ließ er sich nicht davon abbringen, seinen Abschluss in Mathematik zu machen - und auch seine zwei Jahre bei der Navy zog er völlig unbeirrt durch, obwohl er 1987 an erster Stelle von den Spurs gedraftet wurde.
"Ich bin von meinen Eltern so erzogen worden. Meine Mutter hat mir schon früh eingeimpft, dass man immer zuerst an andere denken soll", erklärte Robinson später einmal seine Mentalität. "Es spielte nie eine Rolle, wie viel Geld man verdient - das war nie eine Priorität in unserem Haus. Mein Vater war bei der Navy, meine Mutter eine Krankenschwester. Es ging immer darum, die bestmögliche Ausbildung zu genießen und die beste Person zu werden, die man sein kann."
David Robinson: Philanthrop und Vorbild
Auch als aktiver NBA-Profi lebte Robinson stets nach dieser Maxime. Er war einer der ersten großen Philanthropen der Liga, unterstützte etliche soziale Projekte und eröffnete 2001 auch seine eigene Schule, die Carver Academy in San Antonio. Bis heute hat er gemeinsam mit seiner Ehefrau Valerie mehr als 11 Millionen Dollar in dieses Projekt investiert.
Bereits 2003 wurde ihm daher eine große Ehre zuteil: Gewinner des jährlichen NBA Community Assist Award erhalten seither die "David-Robinson-Plakette". "Für das Fortsetzen des Standards, den NBA-Legende David Robinson mit seiner Unterstützung der Gemeinde etabliert hat ", wie der damalige Commissioner David Stern erklärte.
David Robinson: Ganz anders als Jordan
Er versuchte diese positive Mentalität auch stets als Sportler umzusetzen und etablierte damit auch bei den Spurs einen Standard, dem Tim Duncan, Gregg Popovich und Co. bis heute folgen. Ein Führungsstil der positiven Bestärkung, der familiären Atmosphäre. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, seine Mitspieler zu tyrannisieren, wie es beispielsweise Jordan tat.
Ironischerweise war genau diese eigentlich positive Eigenschaft, dieser "Nice Guy"-Charakter aber lange Zeit der große Kritikpunkt an Robinson. Er sei zu nett, um ein Team zur Meisterschaft zu führen, habe nicht die Alphatier-Mentalität und den unbedingten Siegeswillen, welche die ganz großen Superstars ihrer Zunft auszeichnen, hieß es.
Durch die Saison 1995 sahen sich viele in dieser Ansicht bestätigt: Robinson wurde MVP und führte sein Team mit 62 Siegen zur besten Bilanz der Liga. Als es dann aber in den Playoffs gegen den (extra motivierten) Vorjahres-MVP Hakeem Olajuwon und dessen Rockets ging, zeigte sich Robinsons "wahres" Gesicht: Er verlor das Duell gegen Hakeem deutlich und verpasste wieder einmal den Einzug in die Finals.
David Robinson: Der Titel ist nicht alles
Die darauffolgende Kritik nagte an Robinson, auch wenn sie ihn nicht kaputt machte - seinem früheren Mitspieler Steve Kerr zufolge predigte er stets folgendes Mantra: "Es macht dich nicht zu einem besseren Menschen, wenn du eine Meisterschaft gewinnst. Es ist keine Bestätigung."
Als "soft" oder als Verlierer wollte Robinson dennoch nicht gelten. Zumal die deutliche Niederlage gegen Olajuwon ihn auch persönlich wurmte: "Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, meine Mitspieler im Stich gelassen zu haben."
David Robinson: Twin Towers mit Tim Duncan
Auch die Saison darauf endete frühzeitig, in den Conference Semifinals war nach 6 Spielen gegen die Jazz um StockAlone Schluss. Als der Admiral sich in der darauffolgenden Preseason dann auch noch verletzte und im Jahr 1996/97 bloß 6 Spiele bestreiten konnte, schien sich sein Glück endgültig zum Schlechteren zu wenden.
Oder auch nicht. Zum vierten Mal in ihrer Geschichte verpassten die Spurs die Playoffs, zum zweiten Mal wurden sie dafür mit dem Nummer-1-Pick belohnt. Und da dieser auf den Namen Tim Duncan hörte (mal gehört?), war dies tatsächlich weit mehr als ein Trostpreis. Nach seiner Ankunft haben die Spurs nicht ein einziges Mal die Playoffs verpasst. Diese Serie endete erst nach 22 Jahren, lange nachdem The Big Fundamental die Sneaker an den Nagel gehängt hatte.
Für Robinson wiederum war Timmy der beste Partner, den man sich hätte erträumen können. Robinson, dessen statistisches Resümee sich nicht einmal vor Kareem Abdul-Jabbar oder Wilt Chamberlain verstecken musste, fand spät in seiner Karriere seine Bestimmung auf dem Basketball-Court und wurde zur zweiten Option neben Alphatier Duncan.
David Robinson: Die Bestimmung gefunden
Gemeinsam harmonierten die "Twin Towers" von Anfang an und gewannen bereits in ihrer zweiten gemeinsamen Saison die erste Meisterschaft, in Robinsons letzter Saison 2003 folgte eine weitere. "Ich habe als World Champion inmitten von Girlanden aufgehört. Hätte irgendjemand ein besseres Drehbuch schreiben können?", sagte Robinson später.
Für ihn persönlich boten die Finals 2003 noch eine weitere Genugtuung. Mehrfach wurde er während seiner Karriere von Teamkollegen für seinen Glauben kritisiert, der ihm von einigen als Schwachstelle ausgelegt wurde, wie er später verriet. Der für ihn schönste Moment seiner ganzen Karriere hatte mit einem dieser Mitspieler zu tun, dessen Namen er jedoch nicht verriet.
"Das war die beste Erinnerung. Wir wollten gerade rausgehen, um mit den 40.000 Leuten im Alamodome unsere Meisterschaft zu feiern. Da hielt er uns alle auf, blickte mich an und sagte: 'Lasst uns zusammen beten, bevor wir da rausgehen.' Das hat mir gezeigt, wie sehr wir bei den Spurs zusammen gewachsen sind."
David Robinson: Alles für die Mannschaft
Robinson beendete 2003 seine Karriere, und doch stehen die Spurs viele Jahre später immer noch für genau diesen Zusammenhalt. Keine Franchise hat es in diesem Jahrhundert so beständig geschafft, verschiedene Charaktere aus aller Welt zu integrieren und den Spielern das Gefühl von Familie und Geborgenheit zu vermitteln. Einer der wesentlichen Gründe, weshalb immer wieder Spieler für geringeres Gehalt bei ihnen unterschreiben oder verlängern.
Natürlich hat das zum großen Teil mit Duncan und Popovich zu tun. Insbesondere Duncan hat von Robinson allerdings enorm viel gelernt. Wie viele Superstars hätten ihren potenziellen Nachfolger dermaßen willkommen geheißen und bereitwillig das Rampenlicht geteilt oder abgegeben?
Früher stellte man diese Frage über Robinson, später stellte man sie über Duncan. Das ist kein Zufall. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass er bis heute bei jeder Meisterschaft inmitten der Feierlichkeiten steht - er ist auf ewig Teil der Spurs-Familie.
Robinson war der Prototyp des selbstlosen, hochprofessionellen Spurs-Spielers, der sich bereitwillig in den Dienst der Mannschaft stellte und seinen Mitspielern ein echter Kamerad war. Dass er in Spiel 6 der 2003er Finals, als ihn sein Team noch einmal brauchte, nach einer für ihn schwachen Serie mit 13 Punkten und 17 Rebounds noch einmal die Uhr zurückdrehte, passte da perfekt in dieses Bild.
David Robinson: Die Talente maximiert?
Genau das ist letztendlich das Erbe, das Robinson hinterlässt. Nach (unter anderem) drei Olympischen Medaillen, zwei Meisterschaften, unzähligen individuellen Auszeichnungen und der Berufung unter die 50 besten Spieler aller Zeiten überstrahlen seine Qualitäten als Mitspieler, Philanthrop und Mensch alles andere.
Hat er sein Potenzial also voll ausgeschöpft? Nicht, wenn man ihn an Russell, Bird, Magic oder Jordan misst. Wenn man Basketball als einzige Quelle der Verwirklichung ansieht. Nur war das eben nie der einzige Fokus von Robinson.
Angesprochen auf sein enormes soziales Engagement, das er nach der Karriere noch ausgeweitet hat, äußerte der Admiral einmal, dass dies seine "Bestimmung" sei. "Wenn ich weniger tun würde, hätte ich das Gefühl, meine gottgegebenen Geschenke und Talente unter den Tisch zu kehren und zu verschwenden."
Diesen Vorwurf kann man David Maurice Robinson beim besten Willen nicht machen.