Dieser Artikel erschien erstmals am 24. September 2014. In unserem Legenden-Archiv findet Ihr alle weiteren Portraits von NBA-Größen.
Baltimore, 1967. Ein Rookie der Knickerbockers wandert Ende November durch die Straßen. Shopping als Therapie für bislang nicht allzu gute Leistungen auf dem Court: "Hey, wenn ich schon nicht gut spiele, dann will ich wenigstens gut aussehen!" In einem Schaufenster sieht er einen Fedora von Borsalino. Brauner Velours, weite Krempe, nicht gerade modisch.
"Als ich den Hut zum ersten Mal trug, haben mich alle ausgelacht, sowohl meine Teamkollegen als auch meine Gegner. Aber ich dachte mir: 'Hey, der Hut steht mir, ich behalte ihn.' Und wie es das Schicksal wollte, kam 'Bonnie und Clyde' in die Kinos", erinnert sich besagter Basketballer 46 Jahre später. Im Hollywood-Klassiker tritt Warren Beatty ebenfalls mit Fedora auf. "Ich komme also in die Kabine und alle so: 'Hey, da drüben ist Clyde.'"
Und so kennt man Walt Frazier bis heute eigentlich nur als "Clyde".
Walt Frazier: Multitalent in jungen Jahren
Walter Frazier wird 1945 in Atlanta geboren. Als ältestes von insgesamt neun Kindern wächst er in eine natürliche Anführer-Rolle hinein und versucht sich im damals noch rassengetrennten Süden der USA in mehreren Sportarten - unter anderem als Quarterback oder Baseball-Catcher. Einen richtigen Basketball-Court gibt es nicht, stattdessen erlernt er dieses Handwerk auf zerfurchter, festgetrampelter Erde auf dem Schulhof.
Aber er ist gut - sogar richtig gut. Schon in der High School steht das Fundament, welches ihm später zwei NBA-Championships bescheren wird: Unerbittliche Defense und uneigennützige Offense. Man bietet ihm Football- und Basketball-Stipendien an, er entscheidet sich für den runden Ball: "Ich wollte Profi werden, und damals gab es noch keine schwarzen Quarterbacks."
Nach vier Jahren auf der Southern Illinois, in denen Frazier unter anderem ein nationales Einladungsturnier im Madison Square Garden gewinnt und zum MVP gewählt wird, wählen ihn die Knicks mit dem fünften Pick im Draft von 1967. Eine Runde später ist übrigens ein gewisser Phil Jackson dran. "Ich kam genau zur richtigen Zeit", erinnert sich Frazier. "Spieler wie Oscar Robertson und Bill Russell hatten uns den Weg geebnet. Schwarze mussten nicht mehr in separaten Hotels absteigen, wie noch bei Russell damals."
Walt Frazier: "Alle waren so leblos"
Seit 14 Jahren wartet die Franchise aus New York zu diesem Zeitpunkt auf eine Finals-Teilnahme, die acht Spielzeiten zuvor wurden jeweils mit einer negativen Bilanz abgeschlossen. Man hat zwar talentierte Spieler im Kader, unter anderem Willis Reed und Walt Bellamy, doch oben mitspielen kann man nicht.
Man kann es sich kaum vorstellen, doch zu Beginn kommt Frazier mit der pulsierenden Metropole überhaupt nicht klar. "Ich mochte New York nicht", sagt er im Interview mit der GQ. "Die Hektik, das Gewimmel. Ich wusste nicht wohin." Acht Geschwister, ein vollgestopfter College-Campus - und plötzlich ist er allein. "Wenn man auf der Straße an jemandem vorbeilief, waren alle so leblos. Niemand hat sich für dich interessiert."
New York Knicks: Coach Holzman bringt die Wende
Er spielt ein "lausiges" Rookie-Jahr, wie er selbst sagt, doch mitten in der Saison übernimmt der spätere Hall-of-Fame-Coach William "Red" Holzman das Ruder im Garden. Sein Mantra: Aggressive Defense. Das kommt für "Clyde" wie gerufen: Plötzlich fängt es an zu laufen beim Rookie, sowohl auf dem Parkett, als auch im Kopf. Das Team erreicht dank eines 27-14-Endspurts die Postseason, wo man knapp in fünf Spielen gegen Wilt Chamberlains 76ers ausscheidet. Trotzdem: Die Knicks sind wieder wer!
In den Jahren darauf strickt Holzman weiter an einem defensiv bissigen und offensiv ausbalancierten Team. "Wir waren Schwarze und Weiße, die selbstlos zusammengearbeitet haben. Unser Motto war: 'Finde den offenen Mitspieler', dazu kam unsere Defense. Das war der Auslöser für unser großartiges Team", so Frazier. "Wenn man an unser Team denkt, dann denkt man: 'Oh Mann, eure Defense, niemand hat so clever gespielt wie ihr.'"
Finale der Giganten
Und Point Guard Clyde ist der Motor, der die Maschine antreibt: In seiner zweiten Saison bringt er es als Starter auf 17,5 Punkte, 7,9 Assists und All-NBA-Defense, 1969/70 auf 20,9 und 8,2, sein erstes All-Star-Game und das All-NBA-First Team. Die Knicks legen eine Siegesserie von 18 Spielen hin und erreichen nach 60 Saisonsiegen die Finals.
Da warten die Los Angeles Lakers, gespickt mit Superstars wie Chamberlain, Elgin Baylor und dem "Logo" himself, Jerry West. New York wartet seinerseits mit der besten Defense der Liga auf, die Punkte werden auf viele Schultern verteilt. Im entscheidenden Spiel sieben, ausgetragen in der Hölle des Madison Square Gardens, muss die Entscheidung fallen.
Knicks vs. Lakers: Legendäres Game 7
"And here comes Willis... and the crowd is going wild!"
So beschreibt Marv Albert am Radiomikrofon den Beginn von Game 7. Die Partie, die insgesamt neun spätere Hall of Famer aufbietet, ist vor allem dank Reeds Comeback nach seiner Oberschenkelverletzung aus Game 5 legendär. Als er sich vor der Partie warmmacht und die ersten beiden Körbe des Spiels erzielt, verwandelt sich der Garden in ein Tollhaus.
Was man gerne vergisst: Reed musste kurz darauf passen, der Oberschenkel wollte nicht mehr. Es war Frazier, der ein absolutes Monsterspiel hinlegte - 36 Punkte, 19 Assists, 7 Rebounds. In der zweiten Hälfte ist das Spiel bereits gelaufen, die Knicks gewinnen mit 113:99 und holen sich die erste Championship der Franchise-Historie. "An diesem Abend war ich der offene Mitspieler", sagt der Held des Abends später dem HOOP Magazine. "Ich war so aufgekratzt wie noch nie zuvor auf dem Court. Dieses Meisterschafts-Team war das Highlight meiner Karriere, ohne Zweifel."
36, 19 und 7. Hätte man Steals damals schon gezählt, wären von dieser Sorte noch einige hinzugekommen - denn niemand hatte die Kunst des Ball-Diebstahls zu jener Zeit so perfektioniert wie der 1,93 Meter große Point Guard. Sein Geheimnis: schnelle Hände und Psychospielchen. Er hatte eben nicht nur den Borsalino mit einem berühmten Bankräuber gemeinsam.
Niemand stiehlt besser als Clyde
Fraziers Gegenspieler machten früh Bekanntschaft mit dessen Spezialfähigkeit. Er sei so schnell, dass er die Radkappen von fahrenden Autos stibitzen könne, hieß es. Seine Hände seien flinker als die Zunge einer Eidechse, sagte ein anderer. Wenn seine stets lockere und scheinbar entspannte Art den Kontrahenten in Sicherheit wog, dann schlug er plötzlich zu. Manchmal verzichtete er sogar auf einen möglichen Steal früh im Spiel - und wartete auf einen möglichst demoralisierenden Moment.
"Ich glaube nicht an Defense mit viel Körperkontakt", erklärt er 1971 seine Philosophie. "Sie sollen mich nicht kommen sehen, ich stelle mich quasi tot. Dann bin ich im Vorteil, weil meine Hände so schnell sind. Wenn man nicht die ganze Zeit nah dran ist, sind sie relaxed. Und dann werden sie unvorsichtig."
Diese Erfahrung machte unter anderem Jerry West im Finale 1970. Als er den Ball gerade über die Mittellinie bringen will, spritzt Frazier aus dem Nichts heran, klaut den Ball und zieht zum Korb. Foul, Ball ist drin, Dreipunktspiel. "West war danach verunsichert", schreibt er in seiner Autobiographie. "Für einen Moment verlor er die Kontrolle, und das sah man bei Jerry sonst nie. Wir hatten ihren Anführer verwundet. Da war mir klar: Wir haben sie."