Am Rand stehen Alteingesessene, die Pils trinken und den auf dem Kunstrasen schwitzenden Spielern kehlige Bemerkungen zurufen. Es gibt dampfende Wurst vom Grill im Brötchen und unter einem klaren Berliner Himmel gewinnt der SV Tasmania Berlin 3:1 gegen den SV Rudow. Zuschauer: etwas über 200.
50 Jahre nach dem Katastrophenjahr in der Bundesliga, das Tasmania einen zementartigen Platz im kulturellen Gedächtnis des deutschen Fußballs, gleich neben den wohl Ewigen Charly Körbel oder Gerd Müller, beschert hat, spielen die Blau-Weißen in der sechstklassigen Berlin-Liga. Die neue Saison hat optimal begonnen, man ist nach vier Spielen mit zwölf Punkten Erster.
Ein Verein der Geschichte schrieb
Man übt sich in Bescheidenheit, die Spiele von Tasmania verkörpern die Berliner Fußballseele. Ehrlich, hart, die Millionen des Profifußballs sind weit weg. Sieht man die Amateure auf den Asche- und Kunstrasenplätzen Berlins kicken, mit Ball spielenden Jungs daneben, Mütter am Spielfeldrand, die alle gemeinsam eine heimelige Atmosphäre bilden, wie es sie nur im unterklassigen Fußball gibt, kann man sich nicht vorstellen, dass dieser Verein einst Bundesliga gespielt haben soll. Man kennt sich, der Verein hat nichts mehr gemein mit dem, der 1965/66 Geschichte schrieb.
Hans-Günter Becker erfuhr es wie viele seiner Kollegen 1965 im Urlaub. Der Kapitän vom SC Tasmania Berlin spielte mit seinen Kindern am Ostseestrand Boccia, als eine Urlaubsbekannte angerannt kam. Alle Tasmania-Spieler hätten sofort zurückzukehren, um sich auf die Bundesliga vorzubereiten. Diese Neuigkeit war das Ende eines Politikums, das der Bundesliga-Skandal und der folgende Ausschluss von Hertha BSC aus dem Oberhaus in Gang gesetzt hatte.
Fürsprecher Ludwig Erhard
Bundesliga-Fußball ohne ein Team aus West-Berlin? Das kam weder für DFB noch für die Politik um Bundeskanzler Ludwig Erhard in Frage. Weil Tennis Borussia in der Aufstiegsrunde gescheitert war und der Zweitplatzierte der Berliner Staffel, der Spandauer SV, ablehnte, fiel die Wahl auf den Sportclub, der nach der Ausbootung 1965 zum Start der Bundesliga Genugtuung spürte. "In gewisser Weise war es das. Aber diese Genugtuung hielt nicht lange an. Das Abenteuer endete tragisch für uns", erzählte Becker 11 Freunde.
Nachdem offiziell feststand, dass Tasmania in der Saison 1965/66 in der Bundesliga spielen würde, versuchte Vorstand Harry Michel verzweifelt, aus einem überalteten Durchschnittskader Brauchbares heraus zu holen. Er reiste dem kürzlich zu Eintracht Gelsenkirchen gewechselten Heinz Fischer nach, um den besten Stürmer des Vereins zurückzuholen. Während er in einem Vereinslokal mit dem Schalke-Nachbarn über eine Rückholaktion Fischers verhandelte, entschwand der durch ein Fenster und blieb.
Zweifel im Vorfeld
"Wir hatten den Zenit überschritten. Die meisten Spieler waren schon an die 30 Jahre alt. Dazu kam, dass wir viel zu spät von der Teilnahme an der Bundesliga erfuhren und uns nicht mehr verstärken konnten. Der Spielermarkt war wie leergefegt. Die Hälfte unserer Mannschaft hatte in der Bundesliga nichts zu suchen", erinnerte sich Becker an die Personal-Misere des als Arbeitervereins geltenden Klubs, um den sich vor dem Start sogar Berlins Bürgermeister Willy Brandt sorgte: "Ich hoffe, dass sich die unmittelbar Beteiligten zusammenraufen."
Michel präsentierte Trainer Franz Linken die beiden Jugoslawen Marie und Velkovski. "Sie passen nicht in unser System", lehnte Linken, Hutträger und harter Hund alter Schule, die etwaigen Verstärkungen ab. Es kamen Spieler, die besser zu den taktischen Überlegungen passten. Herbert Finken etwa, ein beinharter Verteidiger, der Gegenspieler mit der wenig originellen, aber wirkungsvollen Begrüßungsformel "Ich heiße Finken und du wirst bald hinken" empfing.
Oder aber Horst Szymaniak, der Königstransfer, der das Wunder Klassenerhalt herbei führen sollte.
Szymaniak soll das Himmelfahrtskommando führen
Der damals 30-Jährige kostete die Berliner den erlaubten Höchstbetrag von 50.000 Euro, die restlichen von den Italienern vom FC Varese geforderten 250.000 Euro beglich ein Mäzen. Szymaniak war Nationalspieler, der seine besten Zeiten zwar hinter sich hatte, in der Blüte aber als einer der besten Fußballer Europas galt und 1958 zum achtbesten Spieler des Kontinents gewählt wurde. Der ehrliche Mittelfeldarbeiter mit den Wurzeln im Bergbaumilieu schien perfekt zum Arbeiter-Verein Tasmania zu passen. Szymaniak als Anführer und Star blieb eine Vision, er schoss nur ein Tor und seine Dynamik oder seine gefürchteten Grätschen hatte er scheinbar im Süden gelassen.
Es wurde Schwerstarbeit geleistet, 400.000 Euro kostete der rund 20 Lizenzspieler umfassende Kader, dessen Spieler teilweise sogar ihre Jobs kündigten für die Mission. "Also ging ich zu meinem Chef auf dem Berliner Eichamt und sagte: Boss, tut mir leid, wir müssen jetzt für acht Monate einen Halbtagsvertrag machen. Nach acht Monaten, wenn wir abgestiegen sind, stellen wir wieder um auf ganztags, okay? Der hat sofort zugestimmt. Als die Zeit um war, hat er sich gefreut: Herr Becker, auf Sie ist Verlass. Andere konnten nicht halbtags arbeiten und mussten kündigen", so Becker in der BZ.
Der Albtraum nach dem Auftakt-Sieg
Am 14. August startete Tasmania das selbsternannte "Himmelfahrtskommando" (Becker) gegen den Karlsruher SC. Und der Novize feierte ein rauschendes Fest. Vor über 80.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion siegte man mit 2:0. Die Menschen schwenkten ihre Schals und nach der Sensation ging Tasmania in eine Kneipe und feierte mit Schlachtenbummlern bis in die Morgenstunden und "bis keiner mehr laufen konnte" (Szymaniak).
Tasmania war nach dem ersten Spieltag Dritter und die Hauptstadt-Gazetten übten sich in Überschwang. So titelte die BZ: "Stürmt Tasmania weiter?" Auf dem Feld stürmte allerdings niemand mehr. 31 Spiele lang blieben die Berliner sieglos. Am Ende stand die Katastrophen-Bilanz von nur zwei Siegen, 8:60 Punkten (zehn Punkte im Drei-Punkte-System) und ein Torverhältnis von 15:108 unter dem Strich. Sechs Negativ-Rekorde hält Tasmania noch heute, einige wie die 108 Gegentreffer wohl für alle Ewigkeit.