SPOX: Didier, was viele gar nicht wissen: Bevor Sie Ihre Skifahrer-Karriere gestartet haben, haben Sie eine Lehre zum Metzger gemacht. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Didier Cuche: Es war eine schöne und vor allem intensive Zeit. In der gleichen Zeitspanne, also zwischen 16 und 19 Jahren, ging es für mich auch darum, beim Skifahren international Fuß zu fassen. Ich habe die Metzger-Lehre sehr gerne gemacht, aber es war schon sehr anstrengend neben dem Skifahren.
SPOX: Ihren ersten Weltcup-Sieg haben Sie dann immerhin schon mit 24 Jahren gefeiert. Weil Sie aber danach über Jahre sehr häufig Siege knapp verpasst haben, war auch vom "ewigen Zweiten" zu lesen. Hat Sie das genervt?
Cuche: Ich war oft Zweiter, das stimmt. Aber ich war nicht ewiger Zweiter. Ein ewiger Zweiter ist für mich jemand, der noch nie etwas gewonnen hat. Ich hatte, wie Sie schon richtig sagen, aber mit 24 in Kitzbühel gewonnen. Es hat danach sicher ein bisschen länger gedauert, bis die nächsten Siege kamen. Aber meiner Meinung nach ist das ein ganz normaler Prozess in einer Karriere. Wir müssen alle einmal realisieren, dass solche Jungs wie Carlo Janka oder Aksel Lund Svindal, die schon ganz jung viel gewonnen haben, absolute Ausnahmeerscheinungen sind.
SPOX: Sie halten den Rekord als ältester Sieger eines Weltcup-Rennens. Bedeutet Ihnen so eine Marke etwas?
Cuche: Ich bin sehr zufrieden, dass ich in meinem Alter immer noch gewinnen kann. Aber es ist ja nicht so, dass so ein Rekord ein Ziel ist. Ziel ist es immer, Rennen zu gewinnen. Der Rest erledigt sich dann ganz von selbst. So auch dieser Rekord.
SPOX: Sie sind zwar 37 Jahre alt, aber so gut wie Sie drauf sind, kann es eigentlich keinen Gedanken ans Karriere-Ende geben. Warum sollte man aufhören, wenn man in den Speed-Disziplinen der beste Skifahrer der Welt ist?
Cuche: Das könnte man denken. Viele haben wahrscheinlich das Gefühl, dass ich weitermachen und weiter Rennen gewinnen sollte. Aber ich glaube, dass wahrscheinlich genauso viele denken, dass ich es lassen sollte, bevor es zu spät ist. Aber wissen Sie was? Wenn ich nach dem Motto handeln würde, auf dem Höhepunkt Schluss zu machen, dann hätte ich das auch schon nach der ersten Abfahrtskugel machen können. Das wäre vor fünf Jahren gewesen.
SPOX: Wie sieht die Planung also konkret aus?
Cuche: Ich mache mir natürlich Gedanken, weil ich weiß, dass ich nicht mehr so viele Jahre vor mir habe und ich meine Zukunft nach der Karriere ja ein bisschen planen muss. Ich werde die Saison zu Ende fahren und entweder werde ich bis dahin zu einer Entscheidung gekommen sein und sie bekannt geben, oder ich werde mir eben Zeit lassen und mich im Frühling entscheiden.
SPOX: Sie haben 18 Weltcupsiege auf dem Konto - gibt es eine bestimmte Fahrt, die Sie als Ihre beste überhaupt bezeichnen würden?
Cuche: Wenn wir die letzte Saison nehmen, würde ich sagen, dass die Abfahrt in Kitzbühel bis auf zwei Kurven, einmal kurz vor dem Steilhang und dann noch mal in der Traverse vor der Zielgeraden, nahe an der Perfektion war. Die Abfahrt eine Woche später in Chamonix war dann sogar ein perfekter Lauf.
SPOX: Wie häufig kommen solche perfekten Fahrten, an denen man wirklich gar nichts auszusetzen hat, denn vor?
Cuche: Von den guten Fahrten gibt es natürlich einige, aber die Perfektion kommt naturgemäß selten vor. Dass man wirklich in den Flow hinein kommt, dass alles so kontrolliert passiert und man das Gefühl hat, es kann gar nichts passieren, das ist sehr selten. Wenn man solch eine perfekte Fahrt hat, dann fühlt es sich an, als ob alles in Zeitlupe ablaufen würde. Das ist sehr speziell.
SPOX: Der Skisport ist voll von positiv verrückten Typen, von wirklich starken Charakteren. Gibt es jemanden, der Sie besonders beeindruckt hat?
Cuche: Ich finde nicht, dass es diesen einen total verrückten Hund gibt, aber wer mir gerade in den Sinn kommt, ist David Poisson. Haben Sie mal seine Stürze gesehen?
SPOX: Klar, habe ich.
Cuche: Er stürzt und steht praktisch immer wieder auf, als wäre nichts gewesen. Er ist in Gröden an den Kamelbuckeln böse gestürzt, oder vor Jahren mal in Val d'Isere in der Kompression, aber bis auf ein paar Prellungen hat er nie etwas davongetragen. Da gehört sicher auch ein bisschen Glück dazu, aber das ist schon imponierend.
SPOX: Auch im Skisport wird viel darüber gesprochen, wie entscheidend die mentale Seite für den Erfolg ist. Haben Sie das im Lauf der Karriere auch festgestellt?
Cuche: Um ehrlich zu sein, hatte ich schon immer eine andere Meinung: Die Leute, die sagen, dass sich 80 Prozent im Kopf abspielen, liegen völlig falsch. Zuerst einmal müssen die ganzen anderen Komponenten stimmen: Die Kondition muss passen, skifahrerisch, skitechnisch muss es passen, dann kann vielleicht auch der Kopf den Unterschied machen. Aber es gibt kein Wunderrezept da oben. Ich glaube viel mehr, dass sich ein logischer Kreis schließen muss. Wenn alle Komponenten, die ich genannt habe, stimmen, dann können die Kräfte im Kopf noch besser wirken. Und wenn du dann einmal einen Sieg holst oder eine super Leistung bringst, dann fühlst du dich immer stärker und immer stärker. Das ist dann ein Schneeballeffekt.
SPOX: Sie sind ja auch jemand, der an die Vorbestimmung im Leben glaubt.
Cuche: Das ist so. Ich glaube, dass alles vorbestimmt ist. Siege, Niederlagen, alles. Das macht es nicht leichter, Niederlagen zu akzeptieren, weil man sich dort vorbereitet hat. Aber diese Sichtweise der Dinge hat mir persönlich geholfen, dass ich schlimme Verletzungen sehr schnell akzeptieren konnte. Ich habe dann sehr schnell den Weg eingeschlagen, der nötig war, um sich wieder zurück an die Spitze zu kämpfen.
SPOX: Man erkennt auch oft erst im Nachhinein, wie ein negatives Erlebnis im Leben einen vielleicht im Endeffekt wieder weitergebracht hat.
Cuche: Definitiv. Man lernt sich selbst besser kennen. Wie man mit den Leuten umgeht. Wenn alles super läuft und man jedes zweite Rennen auf dem Podest steht, dann ist es so einfach, dass man gar keinen Lernprozess hat. Man lernt in den schwierigen Phasen extrem viel über seinen Körper, aber auch über seine "inneren Muskeln", möchte ich es mal nennen.
SPOX: Ich muss Sie noch nach den Materialregulierungen fragen, die ab der nächsten Saison gelten werden. Bode Miller hat sich in seiner ganz eigenen Art dazu geäußert und die FIS in der Luft zerrissen. Wie ist denn Ihre Meinung?
Cuche: So extrem wie Bode bin ich nicht drauf. Meiner Meinung nach werden wir darüber spätestens in zwei Jahren nicht mehr sprechen. Es ist jetzt so beschlossen worden, da wäre es doch eine reine Energieverschwendung, sich darüber aufzuregen. Jeder wird das Beste daraus machen müssen. Sollte ich weiterfahren, werde ich schauen, dass ich es in den Griff bekomme. Und sollte ich aufhören, dann interessiert es mich eh nicht mehr. (lacht) Dann bin ich in den Ferien und schaue mir die Rennen nur noch im Fernsehen an.
SPOX: Zum Abschluss noch ein Ausflug zum Fußball. Sie waren beim EM-Qualifikationsspiel der Schweiz in England (2:2) vor Ort, jetzt haben Ihre Jungs die Quali aber verpasst. Und das, obwohl die Mannschaft die Qualität eigentlich gehabt hätte. Ènttäuschend, oder?
Cuche: Es ist schon schade. Wie Sie richtig sagen, war die Qualität im Team eigentlich vorhanden, aber es hat im entscheidenden Moment leider nicht gepasst. Es ist im Fußball auch nicht anders als bei uns. Wir müssen innerhalb von zwei Minuten alleine auf den Punkt unsere Top-Leistung abrufen, im Fußball müssen elf Männer 90 Minuten lang funktionieren. Es ist schade, aber wir haben viele gute junge Spieler, die nachkommen. Die U 21 hat bewiesen, dass sie weit kommen kann. Ich hoffe, dass sich da einiges tun wird in den nächsten Jahren.
SPOX: Und für wen schlägt das Herz von Didier Cuche auf Vereinsebene?
Cuche: Ich muss zugeben, dass ich kein Fan von einer bestimmten Mannschaft bin. Ich bin mehr der Typ, den der Fußball an sich fasziniert. Ich freue mich, wenn ich Spiele sehen kann, in denen sich zwei großartige Mannschaften begegnen, wenn der David gegen den Goliath eine Sensation schafft. Solche Dinge gefallen mir besonders.
Der Stand im Gesamt-Weltcup