SPOX: Dann stellt sich doch die Frage: Warum eigentlich unbedingt Katar? Woher kommen diese Beziehungen, die andere Vereine nur in bedeutend kleinerem Maße betreiben?
Sanchez: Dies ist eine schwer zu beantwortende Frage. Verschiedene Mitglieder der Führungsetage um Rosell und jetzt Bartomeu scheinen Geschäfte bzw. Geschäftsinteressen in Katar zu haben. Ich möchte mich aber an den Spekulationen nicht beteiligen.
SPOX: Korruption? In Deutschland steckt vor allem der Neymar-Transfer im Kopf vieler Fußballfans.
Sanchez: Beim Neymar-Transfer sind sicher einige Dinge falsch gemacht worden. Zum Teil wurden Beträge in Spanien als Ablösesumme, in Brasilien als Gehalt deklariert. Dies hat natürlich mit der unterschiedlichen Steuerbelastung von Gehalts- bzw. Ablösesummen zu tun. Von Korruption würde ich allerdings nicht sprechen. Mir scheint auch das geforderte Strafmaß von zwei bzw. sieben Jahren Haft für Bartomeu und Rosell zu hoch.
SPOX: Die Transfersperre - vielleicht sollten wir sie eher Registrierungsverbot nennen - hat Kratzer am Image hinterlassen. Irgendwie übersteht Barcelona diese Phase aber sehr gut, oder?
Sanchez: Das ganze Thema mit der Masia und der damit zusammenhängenden FIFA-Transfersperre ist etwas unglücklich verlaufen. Ohne bewerten zu wollen, ob die Regelung, Spieler nur bis zu einer gewissen räumlichen Distanz zum verpflichtenden Verein wechseln zu lassen, sinnvoll ist, hätte man sicher eine elegante Lösung mit der FIFA finden können. Barca wurde früh genug von der FIFA gewarnt, dass eine Ermittlung eröffnet wurde. Bartomeu ging in diesem Zusammenhang auf volle Konfrontation und hat dies mit der Sperre bezahlt. Allerdings muss man hervorheben, dass konsequenterweise auch viele andere Top-Klubs betraft werden müssen, deren Abwerbungspraktiken sich nicht von den Barca-Praktiken unterscheiden. Dass zufälligerweise der Vater des gewünschten Spielers eine Arbeitsstelle in der fraglichen Stadt bekommt, wird von der FIFA wohl ebenso wenig toleriert werden.
SPOX: Alle Gegenkandidaten versprachen, mehr aus der Jugend herauszuholen. Wie wäre das umgesetzt worden?
Sanchez: Ein Teil meiner Arbeit für Benedito bestand im aktuellen Modell in der Jugendarbeit. Strukturell hat Barca einige wichtige Veränderungen vorgenommen. Die Entlohnung der Jugendtrainer beispielsweise. Diese orientiert sich jetzt in großen Teilen am sportlichen Erfolg.
SPOX: Das klingt nicht sehr nach durchdachter Förderung, wie es doch eigentlich in La Masia sein sollte.
Sanchez: Ja. Das hat zur Folge, dass körperlich weiter entwickelte Spieler gegenüber den technisch starken Spielern bevorzugt werden, weil die Physis im Jugendbereich schnell Spiele entscheidet. Sind diese Spieler dann oben angekommen, spielen körperliche Vorteile nur noch eine untergeordnete Rolle und die Technik ist entscheidend. Viele technisch starke Spieler sind da aber schon auf der Strecke geblieben.
SPOX: Lassen Sie uns nicht zu weit von den Wahlen abdriften. Pogba haben wir noch gar nicht angesprochen. Der junge Franzose wurde zum Spielball im Wahlkampf, ist das Thema nun plötzlich vom Tisch?
Sanchez: Pogba ist ganz klar vom Tisch. Barça hat mit Arda Turan einen sehr guten Spieler für das Mittelfeld verpflichtet und wird diese Saison keine weiteren Spieler verpflichten.
SPOX: Jetzt erst so richtig konkret wird das Projekt Espai Barca. Eine grundlegende Renovierung sowie ein teurer Ausbau der ganzen Struktur rund um das Camp Nou herum. Benedito bezeichnete das Projekt als "gefährlich" - übernimmt sich Barca mit den 600 Millionen Euro vielleicht?
Sanchez: Das Projekt hypothekiert auf jeden Fall die Zukunft von Barca. 600 Mio. Euro sind das geplante Budget, aber bei allen Stadionneubauten bzw. Renovierungen habe sich die Budgets am Ende um mindestens 30 Prozent erhöht. Das wären in diesem Fall also mindestens 780 Mio. Euro. Ich halte diese Summe für jeden Verein der Welt gefährlich.
SPOX: Eine Renovierung hat kaum jemand in Frage gestellt, doch wieso soll so viel Geld investiert werden?
Sanchez: Letztes Jahr wurde unter den Mitgliedern ein Referendum abgehalten, bei dem zwei Optionen zur Wahl standen. Stadionrenovierung ja oder nein. Mit über 70 Prozent stimmten die Mitglieder für eine Renovierung. Was allerdings fehlte, waren verschiedene Optionen der Renovierung. Es wurde lediglich die 600 Mio. Euro Variante vorgestellt. Warum das so ist? Da müssten Sie Bartomeu fragen.
SPOX: Nach dieser Entwicklung in den letzten Jahren und nun der Wiederwahl - ist das Klubmotto auch nur noch Marketingstrategie? Der Kommerz ist im Fußball schon lange angekommen, ganz klar, aber Barcelona stand doch auch immer für ein bisschen Restromantik.
Sanchez: Vielleicht bleibt ein bisschen Restromantik, aber ich fürchte, dass das Klubmotto im heutigen Geschäft nur noch Marketingstrategie sein kann. Nach dem Mega-Deal der englischen Premier League und der kommenden zentralen Fernsehvermarktung in Spanien, kann man leider auf keine Einnahmequelle mehr verzichten.
SPOX: Was kann man nun in den nächsten Jahren erwarten, wie wird sich der FC Barcelona entwickeln?
Sanchez: Bei allen Fußballvereinen hängt der beste Business Plan oder die durchdachteste Strategie davon ab, ob Titel gewonnen werden oder nicht. Hält der sportliche Erfolg an, können die angesprochenen Unruheherde verdeckt werden und die Opposition wird sich ruhig verhalten. Ansonsten schließe ich Neuwahlen in zwei, drei Jahren nicht aus. Das Umfeld von Barca ist sehr unruhig und jedes Mitglied kann theoretisch zum Präsidenten gewählt werden. Vielleicht, und damit relativiere ich meine Aussage zum Klub-Motto, macht uns das dann doch zu Mes que un Club.
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Der FC Barcelona im Steckbrief