"Nicht zu erklären" sei es gewesen, sagte Borussia Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl. "Das siehst du nicht kommen", befand Trainer Nuri Sahin. Beim BVB ist man nach der abermaligen Arbeitsverweigerung gegen Angstgegner VfB Stuttgart (Ergebnis diesmal: 1:5) bereits nach dem 4. Bundesliga-Spieltag an einem wohlbekannten Punkt angekommen.
Wie so oft in den vergangenen Jahren erlitten die Westfalen einen kompletten Systemausfall, der alle Verantwortlichen vollkommen überrascht trifft. Dass der BVB gegen Vereine, die sich wie nun die Schwaben für die Champions League qualifiziert haben, mehrfach und teils deutlich unterlegen den Kürzeren zog, ist jedoch keine Neuigkeit mehr: 14 der vergangenen 21 solcher Duelle hat der BVB zuletzt verloren, nur vier davon gewonnen.
Mit sieben Punkten aus vier Spielen und bereits fünf Zählern Rückstand auf die Tabellenspitze ist die Borussia bestenfalls solide in die Liga gestartet. Das Desaster vom Neckar rückt nun erstmals auch Sahin deutlicher in den Fokus - und der hat in der Tat einige Baustellen zu verantworten.
Die hybride Rolle von Nico Schlotterbeck
Sahin ließ den BVB schon mehrfach mit einer asymmetrischen Viererkette auflaufen, in der Rechtsverteidiger Julian Ryerson bei eigenem Ballbesitz sehr hoch stand. Auf der gegenüberliegenden Seite nahm Schlotterbeck in diesen Phasen die Position des linken Innenverteidigers einer Dreierkette ein, gegen den Ball agierte er als Linksverteidiger.
Dieses Konstrukt hat noch keinen durchschlagenden Erfolg gezeitigt. Vielmehr: Als Dortmund aufgrund von Schlotterbecks Gelb-Rot-Sperre gegen Heidenheim mit einer "klassischen" Viererkette und Linksverteidiger Ramy Bensebaini spielte, zeigte der BVB seine bis dato besten Minuten unter Sahin.
Dazu war nicht nur in Stuttgart zu sehen, dass die Abstimmung zwischen den drei Innenverteidigern Schlotterbeck, Waldemar Anton und Niklas Süle noch sehr ausbaufähig ist. Sahin begründete Schlotterbecks hybride Rolle auch damit, dass Bensebaini während der Vorbereitung noch nicht vollständig von seiner Verletzung genesen war.
Das ist nun der Fall, auch beim VfB bekam Bensebaini weitere Minuten. Am Freitag gegen den VfL Bochum wäre es daher ungeachtet der konkreten personellen Besetzung angebracht, zurück zum klassischen Modell zu kehren und den im ersten Halbjahr 2024 so starken Schlotterbeck wieder gänzlich im Zentrum aufzubieten.
Marcel Sabitzer fremdelt zu sehr mit seiner Position
Gewiss, Sabitzer hat in seiner Karriere schon sehr viele Spiele rechts im Mittelfeld absolviert. Die Überlegung, ihn als "fußballschlauen" (Sahin) Profi dorthin zu stellen, auch um wie gegen Brügge das weite Vorrücken gegnerischer Außenbahnspieler zu kontrollieren, ergibt daher durchaus Sinn.
Der Einfluss des Österreichers auf Dortmunds Spiel, gerade in Ballbesitz, war auf dieser Position bislang jedoch äußerst überschaubar. Sabitzer hatte sich daher öffentlich früh in der Saison positioniert und betont, dass er lieber wieder im Zentrum spielen möchte. Auch Sahin betonte, dass ihm Sabitzer diesen Wunsch "schon 10.000-mal" vorgetragen habe.
Nun ist es beileibe nicht so, als wäre Sabitzers präferierter Posten für ihn verstopft. Neben Dauerbrenner Pascal Groß, dem zuletzt merklich die Frische fehlte und der daher eine Pause gut vertragen könnte, hat sich Sahin in seinen Anfangsformationen im defensiven Mittelfeld bisher mit Kapitän Emre Can und Felix Nmecha beholfen.
Emre Can und Felix Nmecha sind derzeit nicht die Lösungen
Diese beiden hinterließen allerdings nicht den Eindruck, als würden sie auf dieser Position helfen können, um Sahins Idee von Fußball mit Leben zu füllen: Weder Can mit dem Ball, noch Nmecha ohne ihn. Sabitzer dagegen will dort unbedingt von der Leine gelassen werden und wurde aufgrund seiner Leistungen auf der zentraleren Position in das Team der vergangenen Champions-League-Saison gewählt.
Sahin muss diese Problematik schnellstens in den Griff bekommen und eine Lösung finden, die vor allem einer Sache genügt: dem fußballerischem Fortschritt seines Teams. Mit Can oder Nmecha an Groß' Seite ist der Zentrumsfokus im Spielaufbau bisher nicht zum Tragen gekommen.
Das Fragezeichen hinter Maximilian Beier
Sahin bezeichnete den 30-Millionen-Einkauf aus Hoffenheim als seinen "Wunschspieler", der noch "sehr viele Spiele für Borussia Dortmund machen" werde. Nach zuletzt zwei Partien ohne eine einzige Einsatzminute stellt sich jedoch die Frage, wann es für Beier damit losgeht.
Beim 0:0 in Bremen am 2. Spieltag fungierte er als einzige Sturmspitze, sah dort aber trotz aller Bemühungen kein Land. Doch Beier deutete in seinen bislang 141 Spielminuten im BVB-Trikot durchaus an, dass er mit seinen intelligenten Laufwegen dem Team helfen und für Optionen in der Tiefe sorgen kann.
Um das Zentrum zu schließen, sagte Sahin in Stuttgart, habe er beim Stand von 0:3 lieber Can eingewechselt. Es habe nichts mit Beier zu tun, dass er erneut 90 Minuten lang draußen saß, "ihm fehlt aktuell nicht viel", sagte der Coach.
Verschnaufpause für den formschwachen Julian Brandt?
Nach den bisherigen Eindrücken zu urteilen, scheint Beier vor allem eine ideale Position im Dortmunder Konstrukt zu fehlen. Ganz vorne ist Serhou Guirassy gesetzt, als Zehner kommt Vize-Kapitän Julian Brandt zum Einsatz, auf den Flügelpositionen besteht mit Donyell Malen, Jamie Gittens und Karim Adeyemi große Konkurrenz.
Beier benötigt für sein Spiel Platz und Freiheiten, er muss dazu viel rochieren können. Das trifft auch auf den formschwachen Brandt zu, der sich in Sahins Fußball mit klaren Rollenverteilungen im Offensivspiel jedoch merklich schwer tut. Unter Edin Terzic waren die offensiven Abläufe mehr auf Brandts Individualität angewiesen.
Denkbar wäre daher, Vielspieler Brandt eine Verschnaufpause zu gönnen und es mit Beier im Zentrum zu versuchen. Der 21-Jährige könnte dann um Guirassy herumspielen und seine Abschlussstärke einbringen. Auch auf den Außen ist Beier eine denkbare Alternative, nachdem sich dort außer Gittens - der allerdings nur als Joker - niemand wirklich in aufsteigender Verfassung befindet.
Julien Duranville muss viel mehr spielen
Ein Name wurde soeben bei der Aufzählung der Dortmunder Optionen auf den offensiven Flügeln bewusst außen vor gelassen. Genauso hat es Sahin bislang nämlich auch mit Duranville gehalten: Nur 31 Einsatzminuten stehen für den Belgier zu Buche - am 17. August gegen Viertligist Lübeck, wo Duranville nur drei Minuten nach seiner Einwechslung auch sein erster Treffer für den BVB gelang.
"Juju wird für uns in dieser Saison noch wichtig", hatte Sahin erklärt, nachdem der 18-Jährige für Belgiens Nationalelf debütiert hatte und er dort mit ein paar Aufsehen erregenden Dribblings zu einem viralen Hit in den sozialen Medien wurde.
Nuri Sahin sollte ein Signal an Julien Duranville senden
Warum Sahin Duranville in nun fünf Pflichtspielen in Folge noch keinen Hit-Versuch erlaubte, ist nur schwer zu erklären. Natürlich ist man beim BVB zu Recht aufgrund der Verletzungshistorie des schnellen Flügelspielers extrem vorsichtig, der Aufbau ist für Duranville noch lange nicht beendet. Dennoch, das belegten dessen bisherige Auftritte und bezeugen auch entsprechende Aktionen im Training, kann Duranville sofortigen Einfluss auf eine Partie ausüben.
Zwar unterschieden sich die Spielverläufe in den erwähnten fünf Begegnungen sehr, so dass sich durchaus diverse Argumente für Sahins Gründe gegen eine Einwechslung Duranvilles anbringen lassen. Angesichts der überschaubaren Darbietungen der Konkurrenz und der nun erlittenen Klatsche beim VfB wäre ein Signal in Richtung des Spielers aber dringend geboten - und zwar schon gegen Bochum.