Etwas Getöse ist eigentlich immer, wenn es um Sven Mislintat geht. Zuletzt bei Ajax Amsterdam, wo der 51-Jährige bis September 2023 nur vier Monate lang als Technischer Direktor angestellt war. Über den von Mislintat zusammengestellten Kader, der Ajax in eine historische Krise manövrierte, wird sich bis heute negativ ausgelassen. Zudem stand der Vorwurf im Raum, dass beim Transfer von Borna Sosa Unregelmäßigkeiten auftraten, aus denen Mislintat letztlich aber unbeschadet herauskam.
Sosa kannte Mislintat vom VfB Stuttgart. Dort arbeitete er bis November 2022 ebenfalls als Sportdirektor, gab den Posten aber auf, nachdem eine über Monate sich ziehende und von reichlich Spekulationen begleitete Vertragsverlängerung scheiterte. Und zwar angeblich an einer Klausel, die in Mislintats neuem Vertrag nicht mehr enthalten gewesen wäre: Dass er bei allen sportlichen Fragen das letzte Wort hat.
Auch beim FC Arsenal, Mislintats Klub zwischen Dezember 2017 und Februar 2019, fand sein Engagement als Head of Recruitment ein abruptes Ende. Personelle Umwälzungen innerhalb des Vereins fielen zu Mislintats Ungunsten aus. Es drohten ihm gleich zwei Rückstufungen in der Hierarchie - das machte Mislintat nicht mit.
Man sollte sich also bei Borussia Dortmund, wo Mislintat allem Anschein nach in Bälde als neues Mitglied auf Direktoren-Ebene vorgestellt wird, künftig auf einen meinungs- und durchsetzungsstarken Mann mit festen Prinzipien einstellen, die dieser klar vertritt. Mislintat, bereits zwischen 2006 und 2017 als Scout, Chefscout und Direktor Profifußball für den BVB tätig, soll schon bei der Kaderplanung für die kommende Saison mitwirken.
BVB: Als sich Sven Mislintat und Thomas Tuchel überwarfen
Dass der scheidende Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke diese Rolle an Mislintat vergeben will, belegt die große Wertschätzung, die dessen Arbeit seit jeher bei den Westfalen genießt. Das zeigte auch schon eine Episode von vor sieben Jahren, als sich Mislintat und der damalige BVB-Trainer Thomas Tuchel überwarfen - und am Ende Mislintat im Gegensatz zu Tuchel im Verein blieb sowie eine Beförderung bekam.
Seinen Ursprung hatte der Zoff mit Tuchel zu einer Zeit, in der der lange im Verborgenen werkelnde Mislintat bereits bekannter war. Schließlich hatte er mit Spielern wie Shinji Kagawa, Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang, Ousmane Dembelé oder Jadon Sancho reichlich Potential und Wiederverkaufswert nach Dortmund gelockt. Ob sich diese Faktoren auch bei Oliver Torres entfaltet hätten, muss allerdings unbeantwortet bleiben.
Der spanische Mittelfeldspieler stand im Januar 2016 unmittelbar vor einem Wechsel von Atlético Madrid zum BVB - auf Empfehlung von Chefscout Mislintat. Tuchel jedoch zögerte, senkte am Ende den Daumen und ließ den Deal in letzter Minute platzen.
BVB: Thomas Tuchel verbannte Sven Mislintat vom Trainingsgelände
"Wir alle zusammen hatten beschlossen, diesen Spieler zu holen. Die ganze Arbeit war erledigt, Oliver kämpfte für seinen Wechsel. Dann aber wollte ihn unser Trainer nicht mehr. Für mich war der Point of no Return erreicht", sagte Mislintat einst der Zeit.
Es kam zum Zerwürfnis zwischen den beiden, das für Mislintat zur Folge hatte, auf Anweisung Tuchels nicht mehr am Trainingsgelände aufkreuzen zu dürfen. "Wenn ich mich mit einem Spieler verbinde, muss er wissen, dass ich für ihn da bin. Es ging um Glaubwürdigkeit. Die Sache ist aber gar nicht mal eskaliert. Mir wurde nur irgendwann mitgeteilt, ich solle nicht mehr im Umfeld des Trainerteams und der Mannschaft auftauchen. Es gab nie eine richtige Auseinandersetzung", sagte Mislintat.
Das darf man getrost als Beschönigung bezeichnen, denn ab diesem Zeitpunkt gingen sich Mislintat und Tuchel konsequent aus dem Weg. Jegliche Versuche, eine Aussprache zwischen den beiden zu initiieren, scheiterten. Beide arbeiteten in der Folge aneinander vorbei, Mislintat aber später auf einer Ebene weiter oben: Im Januar 2017 erhielt er in Dortmund den Titel "Leiter Profi-Fußball".
BVB-Transfer von Alexander Isak: Nächster Zwist zwischen Tuchel und Mislintat
Ein gutes Jahr später zeigte sich der Zwist mit Tuchel auch öffentlich. "Ich kannte den Spieler nicht. Es ist alles sehr schnell entschieden worden. Der Informationsfluss war sehr kurzfristig", hatte der Trainer damals freimütig erklärt. Es ging um den Transfer von Alexander Isak, den der BVB im Januar 2017 für 8,6 Millionen Euro von AIK Solna holte.
Manager Michael Zorc und Mislintat sollen den Deal ohne Tuchels Kenntnis vorbereitet haben. Tuchel war in dieser Winter-Transferperiode ohnehin nicht glücklich. Obwohl er mit Adrian Ramos gerne weitergemacht hätte, verkaufte die Borussia den Stürmer für zwölf Millionen Euro nach China.
"In beiden Fällen - dem Verkauf von Adrian Ramos sowie der Verpflichtung von Alexander Isak - war unser Trainer Thomas Tuchel involviert. In beiden Fällen hat Thomas Tuchel kein Veto eingelegt. Hätte er Nein gesagt, hätten wir es nicht gemacht", sagte Watzke damals.
Berater von Alexander Isak: "Trainer Tuchel wusste von allem Bescheid"
Auch Isaks damaliger Berater Moses Ssewankambo gab gegenüber SPOX an, Tuchel habe sehr wohl vorab von dem sich anbahnenden Geschäft gewusst: "Die Wahl, sich zwischen mehreren Klubs für Dortmund zu entscheiden, kam von Alexander und seinem Umfeld - auf der Basis mehrerer Gespräche mit dem BVB und der Information, dass der Verein sehr gut mit jungen Spielern arbeitet und ihnen eine Chance gibt. Trainer Tuchel wusste von allem Bescheid."
Tuchel musste anschließend zurückrudern. Entgegen seiner Angewohnheit, nur bei offiziellen Anlässen wie etwa Pressekonferenzen mit den Medien zu sprechen, gab der Coach nach einem BVB-Training ein Statement vor den anwesenden Journalisten ab.
Dort gab sich Tuchel plötzlich äußerlich deutlich gelassener: "Ich kannte den Spieler erst im Laufe der letzten Woche. Es gibt natürlich Transfers, in die du als Trainer von Beginn an involviert bist. Das betrifft kurzfristige Transfers bei Spielern, die sofort eine Hilfe sind. Es gibt aber Transfers - wie jetzt bei Isak -, wo das Scouting die große Vorarbeit leistet. Ich habe den Spieler nicht gekannt. So war es auch bei Dembélé und Mor. Da kommt meine Person erst sehr spät zum Tragen. Das ist aber ein ganz normaler Vorgang."
BVB: Sven Mislintat blieb, Thomas Tuchel musste gehen
Schließlich hatten weder Tuchel noch Mislintat eine lange Zukunft in Dortmund vor sich. Zwischen Tuchel und dem Klub war das Tischtuch spätestens nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Mannschaftsbus im April 2017 zerschnitten. Da half auch der Pokalsieg am Saisonende nichts: Nur ein paar Tage später wurde seine Entlassung bekannt gegeben.
Mislintat dagegen ging mit Dortmund in die neue Saison, nahm kurz darauf jedoch die Offerte der Gunners an. Immerhin: Den Impuls, das gemachte Nest beim BVB vielleicht doch einmal zu verlassen, gab der Zoff mit Tuchel, wie Mislintat später verriet: "Es gab nur gute Gründe, eine andere Herausforderung anzunehmen, keinen einzigen schlechten Grund, Dortmund zu verlassen. Die Geschichte mit Thomas Tuchel war lediglich ausschlaggebend dafür, über alles nachzudenken."
Sven Mislintat: Seine Karriere im Überblick
Zeitraum | Verein | Funktion |
2006-2009 | Borussia Dortmund | Scout |
2009-2016 | Borussia Dortmund | Chefscout |
2017 | Borussia Dortmund | Direktor Profifußball |
2017-2019 | FC Arsenal | Head of Recruitment |
2019-2022 | VfB Stuttgart | Sportdirektor |
2023 | Ajax Amsterdam | Technischer Direktor |