SPOX: Herr Stopper, im Fall Heinz Müller dreht sich alles um das so genannte "Teilzeitbefristungsgesetz". Zum Verständnis: Worum geht es dabei?
Dr. Martin Stopper: Das Teilzeitbefristungsgesetz ist wie auch das Kündigungsschutzgesetz eines von vielen Gesetzen, das Arbeitnehmerrechte stärken soll. Es soll gewährleisten, dass Arbeitgeber kein "Hire-and-fire"-System nach amerikanischem Modell installieren können. Deshalb ist jedes Arbeitsverhältnis erst einmal vom Grundprinzip unbefristet. Der Profifußball besteht ja wie jeder andere Arbeitssektor aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zu Letzteren gehören nicht nur Platzwart oder Sekretärin, sondern vor allem Spieler.
SPOX: Allerdings sind Profifußballer in vielerlei Hinsicht keine gewöhnlichen Arbeitnehmer...
Stopper: Der Profifußball wurde über die Jahre tatsächlich zu einer Branche"sui generis", also zu einer spezifischen Branche. Profifußballer wurden finanziell in neue Sphären gehoben. Sie sind an sich Arbeitnehmer der besonderen Art, da sie außergewöhnlich viel Geld verdienen, viele sogar in Millionenhöhe. Auch Herr Müller dürfte deutlich mehr als der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer verdienen. Deshalb gibt es in Literatur und Wissenschaft schon lange die Forderung, dass Profisportler auch eine besondere Behandlung verdienen.
SPOX: Immerhin: Sie können von einer Ausnahmeregelung Gebrauch machen, die im Teilzeitbefristungsgesetz festgelegt ist.
Stopper: Richtig. Eine Befristung ist normalerweise für lediglich zwei Jahre zulässig. Abweichungen davon sind nur in wenigen Ausnahmefällen erlaubt. Dafür muss ein sachlicher Grund vorliegen. Hier ist der maßgebliche Sachgrund, dass die "Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt". Im Profifußball war dies in vielen Fällen die einschlägige Vorschrift - vor allem wurden die Sachverhalte auch erfolgreich darunter subsumiert.
SPOX: Worin kann diese Eigenart bestehen?
Stopper: Das kann man aus vielen Perspektiven sehen. Bei Trainern wurde die Befristung mit denkbaren Verschleißerscheinungen begründet. Eine andere Rechtfertigung, die vor allem für den Bereich der Spieler gelten kann, ist - Vorsicht: Juristensprache - der "wechselnde Publikumsgeschmack im Unterhaltungsgewerbe". Dieser gilt zum Beispiel auch für Schauspieler, wurde aber auch schon auf Berufsfußballer angewendet. So kann man also eine Befristung des Profivertrages damit rechtfertigen, dass es dem Publikum nicht besonders gut gefällt, wenn sie immer den gleichen - und möglicherweise überalterten Spielern beim Kicken zuschauen müssten.
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SPOX: Im Fall Müller sah die Richterin die Eigenart des Profifußballs plötzlich nicht mehr gegeben. Sie war also komplett anderer Auffassung als alle Richter zuvor?
Stopper: Exakt. Sie hat die Eigenart der Arbeitsleistung für den Bereich Profifußball offensichtlich nicht anerkannt. Sie hat diesen Punkt im Gesamtgepräge dieses Falls wohl ganz anders angewendet. Wie sie darauf kommt, ist noch unklar, weil die Urteilsgründe noch nicht zugänglich sind. Aber kaum jemand würde darauf kommen, diese Eigenart bei Leuten, die ihren Beruf lediglich im Alter zwischen etwa 20 und 35 Jahren professionell auf höchstem "künstlerischen Niveau" ausüben, nicht anzuerkennen. Für mich ist dieses Urteil überhaupt nicht nachvollziehbar.
SPOX: Mainz hat bereits angekündigt, in Revision zu gehen. Wie geht's nun weiter?
Stopper: Die Berufung wird zunächst vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz verhandelt, das ebenfalls in Mainz sitzt, dann könnte es bis vor das Bundesarbeitsgericht in Erfurt gehen. Im Gegensatz zum Fall Bosman ist es kein Thema für den EuGH, da es sich erst einmal um eine rein deutsche Angelegenheit handelt. Dafür zeigt man uns übrigens schon aus anderen Teilen Europas den Vogel. Ich bekam schon Emails von Kollegen, die fragten, ob wir plötzlich spinnen in der Bundesrepublik (lacht).
SPOX: Lassen Sie uns in die Zukunft blicken. Angenommen, LAG und BAG bestätigen die Auffassung der Richterin: Wie groß wären die Auswirkungen auf den Profisport in Deutschland?
Stopper: Die Umwälzung wäre gewaltig. Dann fängt der Aberwitz erst an. Denn dann bewegen sich Profisportler und -fußballer im allgemeinen Arbeitsrecht. Dann würden sie von vielen weiteren Gesetzen wie zum Beispiel vom Kündigungsschutzgesetz profitieren. Stellen Sie sich vor, Verschleiß oder wechselnder Publikumsgeschmack würden nicht mehr zum Tragen kommen... Da würden sich fantastische Szenarien ergeben.
SPOX: Zum Beispiel?
Stopper: Nehmen wir einen Zeitungsbericht vom heutigen Mittwoch: Darin hieß es, Bayern wolle Kevin de Bruyne verpflichten. Dafür müssten sie womöglich auch Spieler von der Gehaltsliste streichen, sonst wäre der Transfer zu teuer. Dann müsste Matthias Sammer als Verantwortlicher eine so genannte Sozialauswahl treffen. Dieses Instrument ist Teil von betriebsbedingten Kündigungen und schützt ältere und verdiente Arbeitnehmer gegenüber den jüngeren.
SPOX: Das bedeutet?
Stopper: Das bedeutet, dass Sammer nicht etwa zu Claudio Pizarro oder Philipp Lahm gehen könnte, um ihm mitzuteilen: "Du bist einer der ältesten, du hast nicht mehr viele Jahre als Profifußballer, wir müssen dich loswerden." Denn sie waren, wenn auch Pizarro mit Unterbrechungen, am längsten im Verein und gehören zur älteren Garde. Stattdessen wären die jungen Spieler fällig. David Alaba, Mario Götze oder die ganz jungen Talente. Diese werden durch das Gesetz deutlich weniger geschützt.
SPOX: Wie kann man als Verein seine Spieler überhaupt noch loswerden?
Stopper: Wie es jedes Unternehmen macht: Indem man ihnen kündigt und eine entsprechende Abfindung anbietet - ob man die als Spieler wirklich annimmt, ist zweifelhaft, denn meistens wird die Zukunft nicht goldiger, wenn man seinen Job als Profikicker an den Nagel hängen soll. Oder Vereine müssten versuchen, den Weg der betriebsbedingten Kündigungen zu gehen, rechtlich ein ganz schmaler Grat. Die Vereine müssten den kompletten Spieler-Etat neu aufstellen. Würde man das zu Ende denken, käme ein absurdes Szenario zustande.
Seite 1: Mögliche Auswirkungen des Urteils auf den Profisport