Hierin liegt ein großes Spannungsfeld: So klar die Bayern global denken müssen, so unklar sind einige interne Abläufe auch Monate nach Hoeneß' vorläufigem Abschied. Die Verantwortlichen verlieren sich ein wenig in ihrem eigenen Kosmos. Über 30 Jahre lang hat Hoeneß nahezu alles selbst geregelt, und als er dann vom Amt des Managers zurückgetreten ist und einen "geregelten Übergang" einforderte, fingen die Probleme an.
Der Start mit Christian Nerlinger misslang, darauf kehrten mit Sammer die Ruhe und Erfolge ein. Hoeneß' Verurteilung bringt das Konstrukt wieder ins Wackeln, der Erneuerungsprozess endete abrupt.
Umso erstaunlicher sind die sportlichen Erfolge seit Bekanntwerden von Hoeneß' Steuervergehen, die Mannschaft hat sich von all dem nicht beeinflussen lassen. Das spricht zum einen für die Profis selbst, auf der anderen Seite macht es aber auch klar, dass das kickende Personal selbst vom Wohl und Wehe eines Uli Hoeneß nicht abhängig ist.
Die Basis will gehört werden
Die Bayern stecken hinter den Kulissen weiter mittendrin in ihrem Selbstfindungsprozess. Sportliche Entscheidungen sind stark auf Rummenigge übergegangen, er übernimmt etwa die Ablöseverhandlungen bei Spielertransfers. Man könnte annehmen, dass dies eigentlich in Sammers Aufgabenbereich fallen müsste. Der bekleidet beim FCB aber einen Posten, der extra für Sammer erfunden wurde - dementsprechend gibt es auch kein klares Jobprofil. Sammer entscheidet selbst, was er sich zumuten will und was nicht.
Er betreibt den sportlichen Kassensturz, ist tief drin in der Kaderzusammenstellung, gibt die Leitlinien vor. Mit Michael Reschke und dem Leistungsdiagnostiker Holger Broich hat er sich dafür noch zwei Mitstreiter geholt. Sammer behält den Überblick und gibt den Berater. Mit den handfesten Abläufen zum Beispiel in der Vertragsgestaltung hat er kaum etwas zu tun.
Eine entscheidende Frage, die den "Mia san mia"-Klub umtreibt ist die, wer sich wie um die Basis kümmern soll. Das war immer Hoeneß' Feld, es war sogar seine Leidenschaft. Morgens mit den Größen der Politik im Kanzleramt, abends im Bierzelt in Rosenheim - Hoeneß hat den Spagat hinbekommen, er war auf allen Spielfeldern zuhause.
Zwischen Internationalisierung und Provinz
Als er zum Boss bei den Bayern aufstieg, setzte er alle vier Wochen ein Präsidentengespräch auf die Tagesordnung. Jedes Mitglied durfte sich bewerben, Hoeneß lud dann vor Heimspielen 20 Mitglieder zum mehrstündigen Diskurs. Und wenn er etwas versprach, dann hielt er auch sein Wort.
Trainingslager und Vorbereitungsspiele verlegen die Bayern nach Katar, die USA und im nächsten Sommer nach China. Wo bleiben dann die Kicks in Weiden, Miesbach oder Landsberg? Die Basis ist gerade für einen Verein wie die Bayern ein unschätzbar teures Gut und Hoeneß hat stets dafür gesorgt, dass es an der Basis läuft.
Im schwelenden Streit zwischen Pep Guardiola und Bayern-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt wird dementiert und geschwiegen. Und nicht nur Lothar Matthäus findet, dass es eine solche Konstellation unter Hoeneß nicht gegeben hätte. "Der hätte beide an einen Tisch geholt und die Sache aus der Welt geschafft."
Bis zum letzten Atemzug
Hoeneß war das Mädchen für alles und der Kit, der die einzelnen Abteilungen im Unternehmen zusammenhielt. An seiner Stimmung konnte man auch immer ein wenig das Innenleben des Klubs ablesen. Derzeit ist das schwer. Da wird auch die Jahreshauptversammlung wenig zur Erleuchtung beitragen.
Es soll die einzige bleiben, auf der die Bayern auf Hoeneß verzichten müssen. "Mir persönlich wäre es lieber gewesen, er würde hier stehen", sagte Karl Hopfner bei der letzten Versammlung. "Uli Hoeneß war und ist Visionär, Kopf, oft auch Herz und immer Seele des FC Bayern München." Das alte Büro an der Säbener Straße ist bis heute unberührt und verschlossen.
"Uli ist eine große Persönlichkeit. Er hat viel für den Verein getan. Die Türen für ihn stehen bei uns offen. Für mich war er immer ein wichtiger Ratgeber. Bei wichtigen Entscheidungen stelle ich mir oft die Frage: 'Was würde Uli Hoeneß tun?'", gibt Sammer zu.
Die letzten Worte von Hoeneß an seine Jünger im Mai ließen bereits durchklingen, wie das in gar nicht mehr so ferner Zukunft wieder laufen soll. Für die Konkurrenz klangen sie wie eine Drohung. "Viele sagen, Uli Hoeneß hat durch seinen Fehler sein Lebenswerk zerstört. Ich sehe das nicht so. Wenn ich zurück bin, werde ich mich nicht zur Ruhe setzen - ich werde diesem Verein dienen, bis ich nicht mehr atmen kann."
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