Es braucht in der Regel viel Zeit, um Trades vernünftig zu bewerten und einzuschätzen. Noten und auch Gewinner und Verlierer werden zwar fast umgehend vergeben beziehungsweise benannt (schuldig!), gerade wenn Draft-Picks involviert sind, lässt sich der wahre Wert und Gegenwert von Deals aber erst später bemessen. Doch manchmal spielt das keine große Rolle.
Wie etwa beim Trade, der Aaron Gordon nach Denver gebracht hat: Die Nuggets haben dafür mit R.J. Hampton, Gary Harris und einem 2025er Draft-Pick legitimen Gegenwert abgegeben. Vielleicht wird aus Hampton ein Star, vielleicht wird der Pick einschlagen. Harris war lange ein wichtiger Baustein in Denver. Und trotzdem ...
Wenn Gordon sich als finales Puzzlestück für einen möglichen Titel der Nuggets entpuppt, sind die Nuggets prompt ein Gewinner und haben sich für diesen Deal eine 1 mit Sternchen verdient. Bisher sieht es tatsächlich danach aus.
Aaron Gordon fügt sich perfekt bei den Nuggets ein
Nach dem 106:96-Sieg gegen die Spurs stehen die Nuggets nun bei sieben Siegen in Folge, sechs davon seit der Ankunft des 25-Jährigen. Gordon hat einen großen Anteil daran: Er fügt sich offensiv blendend ein, überzeugt mit klugen Cuts und scheint intuitiv zu verstehen, wie die Offensive in Denver mit all dem Off-Ball-Movement funktioniert. Off-Ball-Screens von Jamal Murray etwa verschafften ihm schon jetzt reihenweise Layups und Dunks.
Gordon genießt viele Freiheiten, die er in Orlando nie hatte. Bei den Magic war er als erste oder zweite Option der Offense oft überfordert, in Denver ist er für gegnerische Teams eher der viert- oder sogar fünftwichtigste Angreifer. Das bedeutet weniger, aber dafür leichtere Abschlüsse - weshalb ein bisheriger Karriere-44,7-Prozent-Schütze bei den Nuggets bisher 60,8 Prozent seiner Würfe im Korb unterbringen kann.
"Er ist in der Kabine und sagt: 'Man, das sind die leichtesten Pässe, die ich jemals bekommen habe'", sagte Monte Morris kürzlich zur Denver Post. "Er versteht, dass man in unserem Team einfach cutten kann und rückwärts zu 15 oder 20 Punkten fällt." Das ist keine Übertreibung. Die goldene Regel in Denver: Wer offen ist (oder wird), wird von Nikola Jokic gefunden. Der Serbe hat Gordon jetzt schon mehr Assists serviert (16) als jeder seiner Mitspieler in Orlando über die gesamte Saison!
Aaron Gordon ist der Jerami Grant-Ersatz
Noch wichtiger ist aber sein Impact in der Defensive. Gordon soll mit etwas Verspätung Jerami Grant ersetzen, der in der Offseason nach Detroit wechselte und eine klaffende Lücke hinterließ, weil Denver schlagartig keinen kompetenten, langarmigen Verteidiger auf dem Flügel mehr hatte. Nun ist wieder einer da.
Gordon ist ähnlich variabel wie Grant und kann situativ fast jede Position verteidigen. Er beschäftigt sich fortan mit den besten Wings beim Gegner, was im Westen gegen beispielsweise Luka Doncic, Kawhi Leonard, Devin Booker oder LeBron James eminent wichtig ist. Zumal er damit Will Barton und Michael Porter Jr. die etwas leichteren Aufgaben überlassen kann.
Denver ist mit ihm deutlich athletischer geworden und defensiv auf eine Art flexibel, die vorher fehlte. Die Stichprobe ist natürlich noch sehr gering und mit den Clippers wurde mit Gordon bisher "nur" ein Top-Team geschlagen, das geschah allerdings sehr überzeugend.
Die Statistiken von Aaron Gordon in Orlando und Denver
Team | Spiele | Punkte | Würfe | FG% | Assist/Turnover |
Orlando | 25 | 14,6 | 11,7 | 43,7 | 1,6 |
Denver | 6 | 12,5 | 8,5 | 60,8 | 2,3 |
Nuggets: Die kompletteste Starting Five der NBA?
Derzeit fügt sich alles für die Nuggets. Die Starting Five mit Murray, Barton, Gordon, Porter und Jokic weist bisher laut Cleaning the Glass ein absurdes Offensiv-Rating (135,1, wäre mit großem Abstand Platz 1 in der Liga) UND Defensiv-Rating (102,3, dito) auf und brachte Barton kürzlich zu folgender Aussage: "Wir haben jetzt die kompletteste Starting Five der Liga." Das wirkt nicht weit hergeholt.
Gordon rundet ein Team ab, das sich zuletzt ohnehin immer besser fand und aus allen Rohren feuerte. Jokic ist jetzt, wo Denver auch von der Bilanz her mehr und mehr wie ein Topteam aussieht, der Topfavorit auf den MVP-Award, Murray hat seine Schwankungen offenbar abgelegt und spielt nun seit Monaten fast durchgängig in Topform.
Beide zeigen den Effekt von sechs gemeinsamen Jahren, ihr blindes Verständnis ist der Schlüssel für Denvers hochkarätige Offense. Barton hat individuell zwar schon bessere Jahre gezeigt, weiß aber ebenfalls, wie er die Gravitation der beiden Jungstars für sich nutzen kann. Porter entwickelt sich in Jahr zwei nach und nach ebenfalls zum Topspieler.
Michael Porter Jr. hat den Schritt gemacht
Der Forward ist noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung, aber sein Wurf gepaart mit der Länge macht ihn schon jetzt unheimlich schwer zu verteidigen. "Ein Contest spielt bei ihm keine Rolle", staunte kürzlich Clippers-Coach Tyronn Lue, zurecht: Porter steht über die Saison nun bei über 45 Prozent von der Dreierlinie und hat über seine letzten 20 Spiele über 52 Prozent (!) getroffen.
Seine Rolle ist gewachsen, was auch damit zusammenhängt, dass er defensiv den Schritt vom Totalausfall zum bemühten Verteidiger gemacht hat. MPJ ist noch immer fehleranfällig, aber er ist im Switch-lastigen Schema der Nuggets nicht mehr die Dauer-Schwachstelle und hat sich so im Lauf der Saison viel mehr Spielzeit verdient, mittlerweile überwiegend als Stretch-Four.
"Er ist erwachsen geworden", erkannte Head Coach Michael Malone kürzlich an. "Michael passt auf, und wenn man sich auf dieses Ende des Courts konzentriert, dann wächst man als Spieler." Auch Barton lobte den Jüngsten im Team kürzlich: "Man kann sehen, wie sein Basketball-IQ mit jedem Spiel und jeder Possession größer wird."
Wen müssen die Nuggets im Westen fürchten?
Die Nuggets positionieren sich derzeit in einem zunehmend offenen Feld an der Spitze der Western Conference. Die Lakers sind angeschlagen, alle anderen Contender müssen die Nuggets nicht unbedingt fürchten: Die Clippers und Jazz wurden erst letztes Jahr in den Playoffs besiegt, Phoenix hat nominell vor allem auf Jokic keine Antwort.
Einen Durchmarsch garantiert das alles natürlich noch nicht und den Beweis, dass er ebenso gut oder sogar besser ins Team passen kann als Grant, kann Gordon erst in den Playoffs erbringen. Die ersten Eindrücke sind allerdings mehr als positiv - und genau das hatten sich die Nuggets erhofft.
Es kommt relativ selten vor, dass Midseason-Trades ein Team in die Finals hieven. Für jede Regel gibt es aber bekanntlich auch Ausnahmen.