Joel Embiid: Es hat endlich "Klick" gemacht
Wer Joel Embiid derzeit nicht als MVP-Kandidaten Nr. 1 sieht, wird dafür vermutlich das Argument "Verfügbarkeit" verwenden, und es ist kein schlechtes: Knapp ein Viertel der Sixers-Spiele hat Embiid bisher verpasst, sein Head Coach Doc Rivers gewährt ihm gelegentlich Ruhepausen, dazu kommen wiederkehrende Rückenprobleme. Folgendes steht aber kaum zur Debatte: Die Minuten, die Embiid den Sixers bisher gegeben hat, werden von keinem anderen Spieler der Liga derzeit überboten.
Man kann das ganz traditionell belegen: Die Sixers haben ohnehin die derzeit beste Bilanz im Osten (16-6), in den Spielen mit Embiid ist die Bilanz aber sogar noch besser (15-2). Man kann auch etwas weiter ins Detail gehen - in Embiids Minuten haben die Sixers eine Punktedifferenz von +20,6 (!) Punkten pro 100 Ballbesitzen laut Cleaning the Glass. Sie zermalmen ihre Gegner und haben sich früh als legitimer Contender in der Eastern Conference positioniert.
Viel wurde dazu (auch hier) schon geschrieben, dass Daryl Morey mit neuem Personal dazu beigetragen hat, aus den Sixers ein balancierteres Team zu machen. Rivers trägt seinen Teil dazu bei und hat insbesondere aus seinem alten Lieblingsschüler Tobias Harris wieder einen weitaus stärkeren Spieler gemacht als in der Vorsaison. Der Löwenanteil der Anerkennung gebührt jedoch Embiid.
Der Kameruner ist in erster Linie effizienter geworden. Über Jahre galt er als etwas zu verliebt in seinen (mittelmäßigen) Distanzwurf, derzeit nimmt er weniger Dreier denn je, trifft sie dafür aber hochprozentiger. Viel häufiger nutzt er den Wurf aber als Drohung, indem er mit seinem exzellenten Pump-Fake am Perimeter nur antäuscht, um dann vorbei und in Richtung gefährlicherer Zonen zu ziehen - oder um den Verteidiger einfach nur kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Auch Embiid ist wie Jokic unheimlich aktiv in der Mitteldistanz, aktuell nimmt er sogar 51 Prozent seiner Abschlüsse in diesem Bereich, ein Karrierehöchstwert. Im Gegensatz zu vorigen Jahren nimmt ihm das aber niemand übel, denn: Embiid trifft 51 Prozent dieser Würfe. Zur Einordnung: Kevin Durant, der (neben Chris Paul) tödlichste Midrange-Spieler des letzten Jahrzehnts, traf in seiner besten Saison 53 Prozent aus diesem Bereich. Viel besser geht es nicht.
Bisher hat Embiid über eine Saison noch nie mehr als 41 Prozent geschafft, es ist also im Auge zu behalten, ob er die Quote halten kann. Aber die neue Statik des Sixers-Spiels verschafft ihm mehr Platz und damit teilweise eben auch leichtere Abschlüsse, was sicherlich dazu beiträgt, dass seine Werte so gestiegen sind.
Das sind die aktivsten Bereiche von Embiid auf dem Court.
Zumal er sich, genau wie Jokic, nicht auf dieser einen Stärke ausruht. Embiid übt von überall Gefahr aus und ist mittlerweile ein Großmeister darin, Fouls zu ziehen. Er führt die Liga komfortabel vor Trae Young bei den Freiwürfen pro Spiel an, obwohl er deutlich weniger Minuten auf dem Court verbringt. Bei fast einem Viertel seiner Würfe zieht er ein Foul, auch das ist weit oben in der Liga angesiedelt.
Embiids Spiel und Wurfauswahl sind seriöser, fokussierter geworden. Im Eins-gegen-Eins ist er längst nicht mehr zu halten, die Sixers verfügen dank Spielern wie Seth Curry über besseres Spacing, also sind immer wieder Double-Teams das Mittel der Wahl gegnerischer Verteidigungen. In der Vergangenheit bereiteten diese Embiid recht große Probleme, sein Passspiel aus dem Doppel heraus galt teilweise sogar als Achillesferse. Auch das ist aber besser geworden.
Auf den ersten Blick spielt Embiid zwar weniger Assists als in jeder Saison seit seinem Rookie-Jahr (2,8), wichtiger ist aber, dass er derzeit seine niedrigste Turnover-Rate der Karriere fabriziert (13,2 Prozent laut Cleaning the Glass). Häufiger als früher spielt er den richtigen Pass aus dem Post, der dann eben nicht sofort, sondern erst nach ein oder zwei weiteren Pässen zum Wurf führt. Das sorgt nicht für Embiid-Assists, aber für gute Offense der Sixers.
Apropos gute Offense: Embiid liegt momentan bei einer True Shooting Percentage (also der Quote, die Zweier, Dreier und Freiwürfe anteilig mit einbezieht) von 67,4 Prozent und einer Usage-Rate (Anteil der Ballbesitze seines Teams, die vom Spieler genutzt wird) von 31,9 Prozent - es gab in der NBA-Historie bisher nur einen Spieler, der 65 respektive 30 Prozent über eine ganze Saison getoppt hat.
Dieser Spieler war Stephen Curry, in dessen einstimmiger MVP-Saison 2015/16. So gut ist Embiid bisher am offensiven Ende des Courts - und dabei ließ sich in der Vergangenheit ja darüber streiten, ob er nicht defensiv sogar den etwas größeren Impact hat. Das ist aktuell nicht der Fall, dafür ist seine Offense einfach zu gut, aber auch defensiv gehört Embiid weiter zu den besten Spielern der NBA.
Die Sixers schaffen es in der laufenden Saison zwar auch ohne Embiid, konstant gut zu verteidigen, das ändert aber nichts daran, dass die Werte mit ihm sogar noch besser sind, insgesamt produziert Philly momentan die drittbeste Defense der Liga. An diesem Ende des Courts treten sie nun tatsächlich so dominant auf, wie es in der enttäuschenden Vorsaison erwartet wurde.
Philly wird noch immer von einigen Fragezeichen begleitet, allen voran ist unklar, warum sich Ben Simmons scheinbar eher zurück- und nicht vorwärtsentwickelt (Career Lows bei Punkten und eFG%). Embiid allerdings scheint endlich all das Potenzial zusammengefügt zu haben, das seit Jahren bei ihm sichtbar war.
Genau wie Jokic hat er absolut das Zeug dazu, der beste Spieler eines Meister-Teams zu sein und vielleicht sogar eine neue Ära einzuleiten. Beide Bigs sind auf ihre Weise zudem charismatisch genug, um - was für Bigs stets ungewöhnlich war - auch medial zu den Aushängeschildern der Liga zu gehören. Ein MVP-Award für einen von ihnen wäre ein möglicher nächster Schritt.
Die Statistiken von Joel Embiid und Nikola Jokic in 20/21
Punkte | eFG% | Rebounds | Assists | Usage% | Off-Rtg. | |
Jokic | 26,8 | 61,3 | 11,8 | 8,6 | 29,6 | 119,3 |
Embiid | 28,6 | 58,8 | 11,1 | 2,8 | 31,9 | 118,6 |
Der Vollständigkeit halber:
Das MVP Power Ranking Anfang Februar
- Joel Embiid
- Nikola Jokic
- Kawhi Leonard
- Kevin Durant
- LeBron James