Über etwas mehr als 50 Hektar Land erstrecken sich in der Nähe der serbischen Stadt Novi Sad die Obstplantagen. Das sind über 70 Fußballfelder, auf denen in der knapp 300.000-Einwohner-Stadt an der Donau Äpfel angepflanzt werden, die später unter anderem nach Dubai, Russland oder Afrika exportiert werden. Oder aber grob gerechnet 1.250 Basketball-Courts.
Letzterer Vergleich zur Veranschaulichung der Größe des Areals scheint passender, mit Fußball hatte Darko Milicic nie sonderlich viel am Hut. Mit Basketball dagegen schon, auch wenn das orangefarbene Leder für die wohl dunkelsten Jahre im Leben des heute 35-Jährigen verantwortlich ist.
"Ich habe das Gefühl, dass der alte Darko gestorben ist", sagte der lebhafte Darko in einem ESPN-Feature 2017 über seine Karriere. "Wenn ich an mich selbst denke, als ich gespielt habe, habe ich das Gefühl, dass ich an jemanden denke, der tot ist."
Darko Milicic hat sich ein neues Leben aufgebaut. In seiner Heimat in Serbien, weit entfernt von dem NBA-Trubel, mit 50 Hektar Apfelbäumen. Mit seiner neuen Leidenschaft, die den Albtraum NBA vergessen machen soll.
Darko Milicic: Der größte Draft-Bust aller Zeiten?
Nichtsdestotrotz wird der Serbe Zeit seines Lebens mit den Namen LeBron James, Carmelo Anthony, Chris Bosh und Dwyane Wade in Verbindung gebracht werden. Alle fünf gehören der Draft-Klasse von 2003 an, die als eine der besten aller Zeiten gilt. Vier von diesen Spielern haben in den nachfolgenden Jahrzehnten Hall-Of-Fame-Karrieren in der besten Basketballliga der Welt aufs Parkett gezaubert. Milicic nicht. Der muss sich bis heute den Spott der anderen gefallen lassen.
Über knapp zehn Jahre in der Association legt der Center überschaubare 6 Punkte und 4,2 Rebounds im Schnitt auf, mit 0,04 Win Shares pro 48 Minuten (Ligadurchschnitt 0,1) belegt er in dieser Kategorie den 37. Platz unter allen 47 Spielern des Jahrgangs, die mindestens ein NBA-Spiel absolviert haben.
Kurzum: Die Basketball-Karriere des Darko Milicic ist nicht von Erfolg geprägt, stattdessen eilt ihm der unrühmliche Ruf als einer der größten Draft-Busts aller Zeiten voraus. Die Detroit Pistons entscheiden sich 2003 an Position 2 für Milicic. Er geht also direkt nach LeBron über die Ladentheke - und damit vor Melo, Bosh und Wade.
Milicic vorm Draft: "Bestes Workout, das ich je gesehen habe"
Zwar gibt es schon damals die ein oder andere kritische Stimme aufgrund dieser Entscheidung, gleichzeitig genießt Milicic bei vielen Scouts ein enorm hohes Ansehen. Mehrere Verantwortliche betonen im Vorfeld des Drafts gegenüber Marc Stein (damals ESPN), Darko sei der klare Nr.2-Pick nach James.
Draft-Guru Chad Ford nennt den 2,13-Meter-Mann aus Europa ein "Unikat" - im positiven Sinne -, der ehemalige Pistons-Scout Will Robinson geht in ESPN The Magazine sogar noch ein ganzes Stückchen weiter: "Darko erinnert mich an einen jungen Wilt Chamberlain. Wilt hat von allem ein bisschen was gemacht und ich habe keinen Big Man mit so vielen Fähigkeiten gesehen seit Wilt."
Die Pistons haben 2003 bereits ein talentiertes Team um Chauncey Billups, Rip Hamilton und Ben Wallace beisammen, das in den Playoffs erst in den Conference Finals gegen die New Jersey Nets scheitert. Während dieser Serie absolviert Darko einige Workouts in New York - in der gleichen Halle, in der auch die Pistons trainieren.
Wie sich Ford später erinnert, begeistert Milicic den damaligen Pistons-Teampräsidenten Joe Dumars sowie Coaches und Spieler bei einem spontanen Vorspielen mit "dem besten Workout, das ich je gesehen habe". Post-Moves, gutes Ballhandling, ein brauchbarer Wurf, schnelle Füße: Detroit kann einen weiteren Big Man gebrauchen, Milicic scheint dafür der perfekte Mann, auch wenn das Scouting eines Europäers in der Pre-Youtube-Ära von einigen Hindernissen geprägt ist.
Darko Milicic: Basketball-Leidenschaft? Fehlanzeige
Erst sechs Tage vor dem Draft am 26. Juni 2003 feiert Milicic seinen 18. Geburtstag, gerade einmal vier Jahre zuvor startet seine basketballerische Laufbahn in der Jugend von KK Hemofarm. Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zum orangefarbenen Leder hat der junge Serbe nie. Aber er ist groß.
"Mein Vater hat mir Basketball beigebracht, denn wir hatten viele Leute in unserem Dorf, die gesagt haben: 'Du bist groß, warum versuchst du es nicht?'", erinnert sich Darko später. "Ich war nicht derjenige, der darum gebeten hat, Basketball zu spielen."
Milicic ist aber nicht nur groß, sondern hat auch Talent. Spätestens als die ersten Scouts aus Nordamerika auf ihn aufmerksam werden, sieht er in dem Sport einen Ausweg aus der finanziell und politisch schwierigen Lage in seiner Heimat, die von den Jugaslawienkriegen schwer erschüttert ist.
Sein Vater kämpft als Soldat im Krieg, einmal wird er sogar im TV für tot erklärt. Wenige Minuten später wird die Meldung widerrufen, die Milicics sehen live vor dem Fernseher zu. Milorad Milicic überlebt aber wirklich, kommt zurück nach Hause und trainiert mit seinem Sohn, bevor der 2003 den Schritt in die USA wagt.
Pistons holen Championship - Darko schmort auf der Bank
In der Motor City findet der Serbe jedoch eine für ihn äußerst ungünstige Situation vor. Das Team vom neuen Head Coach Larry Brown kämpft um die Championship - den zweiten Pick haben sie nur dank eines Trades von Otis Thorpe 1997 zu den Vancouver Grizzlies in der Hinderhand -, es ist kein Platz, um einem jungen Talent Raum für Fehler und zur Entwicklung einzugestehen.
In seiner Rookie Saison steht Milicic so in nur 34 Spielen im Schnitt 4,7 Minuten auf dem Parkett. Einsatzzeiten fallen nur ab, wenn das Spiel längst entschieden ist, was Darko den Spitznamen "The Human Victory Cigar" einbringt.
Während sich LeBron, Melo, Wade und Co. in Teams austoben dürfen, die sich mitten im Rebuild befinden, bekommt der Nr.2-Pick kaum eine Chance, sich zu beweisen. Stattdessen sieht Milicic aus der ersten Reihe beim sensationellen Championship-Run der Pistons 2004 zu - bis auf ganze 3 Minuten und 56 Sekunden, in denen der Center in den Finals gegen die Lakers selbst auf dem Parkett steht.