Dieser Artikel erschien erstmals am 17. September 2019. Alle weiteren Geschichten zu den Legenden der NBA gibt es hier in unserem Archiv!
Die späten 90er- und frühen 00er-Jahre waren das goldene Zeitalter der Power Forwards, eine Ära, die es bei aller Small-Ball-Wut und positionsloser Basketball-Schule wohl nicht so bald wieder geben wird.
Karl Malone bizepste sich noch durch die Zonen der Liga, Kevin Garnett, Tim Duncan, Dirk Nowitzki oder Chris Webber begannen ihre besten Jahre - und all diese Legenden spielten zeitgleich in der Western Conference. Eine derartige Dichte an Superstars, die eine Position dabei auf so viele verschiedene Arten interpretierten, hat es selten gegeben.
Rasheed Wallace hat die Liga nicht so geprägt wie Dirk, Duncan oder KG - und trotzdem gehörte auch er irgendwie in diese Aufzählung. Vom Talent her konnte er es mit jedem aufnehmen; vielleicht war sein Talentpaket sogar das kompletteste von allen. Und eins hatte er allen anderen definitiv voraus: Sheed war einer der kauzigsten Typen der NBA-Geschichte.
Rasheed Wallace: Der König der Technischen Fouls
Unvergessen seine Affinität für Meckern auf dem Court: In seinem dritten NBA-Jahr brach er mit 38 Technischen Fouls den Rekord für eine Saison, dieser hielt jedoch bloß ein Jahr und wurde, natürlich, noch mehrfach von Wallace selbst getoppt. Seine 41 Technicals in 77 Spielen aus der Saison 00/01 dürften nie überboten werden, allein schon deshalb, weil man nach heutigen Regeln nach 16 T's für ein Spiel gesperrt wird.
Wallace war jedoch nicht einfach nur ein Rüpel - er folgte einem gewissen Kodex. Der Ausspruch "Ball don't lie" hat bei ihm seinen Ursprung. Sheed sagte diesen Satz immer dann, wenn ein Gegenspieler nach einem vermeintlich falschen Foulpfiff einen Freiwurf versemmelte. Und das zog er konsequent durch, was beispielsweise im Dezember 2012 zu einer kuriosen Situation führte.
Wallace kassierte ein Technical, nachdem er Luis Scola von den Phoenix Suns schubste. Goran Dragic jedoch vergab den Freiwurf, also musste Sheed seinen Lieblingssatz von sich geben, natürlich ziemlich lautstark. Die Referees schickten ihn mit Technical Nr.2 unter die Dusche - Wallace hatte bis dahin ganze 1:25 Minuten gespielt.
Rasheed Wallace: Der Ruf hat ihm geschadet
Eine andere Ejection kassierte Wallace in einem Spiel gegen die Lakers, ohne ein Wort zu sagen. Er hatte Schiedsrichter Ron Garrettson lediglich angestarrt. Natürlich verselbstständigte sich sein Ruf über die Jahre, sodass Wallace zeitweise völlig anders gepfiffen wurde als andere Spieler.
"Ich weiß noch, dass ich ihm gesagt habe, dass er einen Stempel bekommen wird, wenn er sich im Umgang mit Schiedsrichtern nicht besser kontrolliert. Ich glaube nicht, dass ich ihn damit erreicht habe", sagte der frühere Bullets-GM John Nash, der Wallace 1995 an 4. Stelle draftete, vor einigen Jahren zu Grantland. "Das hat ihm im Lauf seiner Karriere geschadet. Die Refs waren härter zu ihm, weil er so schwierig war."
Es ist schwer, dem zu widersprechen. Kein Spieler wurde in der NBA-Geschichte häufiger vorzeitig rausgeschmissen als Sheed. Diese Tatsache, gepaart mit "Ball don't lie" und seiner legendären "Both teams played hard"-Pressekonferenz ist gewissermaßen sein Vermächtnis - dabei war Sheed eigentlich noch so viel mehr.
Skills eines Superstars, Mentalität eines Rollenspielers
Der Big Man war komplex, ein wandelnder Widerspruch. Aufbrausend und feindselig im Umgang mit Medien und Schiedsrichtern, aber verehrt von sämtlichen Mitspielern und Coaches. Mit den Tools eines Superstars gesegnet, aber mit der Mentalität eines Rollenspielers. Wallace spielte so uneigennützig, dass ihn sein einstiger Coach bei den Trail Blazers Mike Dunleavy Sr. richtiggehend zum Werfen zwingen musste. "Wenn ich ein Play für ihn angesagt habe, war er erstmal dagegen", beschrieb der Coach.
Dunleavy sagte daher Plays an, in denen Damon Stoudamire als erste, Scottie Pippen als zweite und Wallace als dritte Option fungierten. Stoudamire und Pippen bekamen aber noch eigene Instruktionen. "Wenn einer von euch beiden wirft, erschieße ich euch", so Dunleavy. "Und so lief es dann. Der Ball ging zu Sheed in den Lowpost, er warf einen Jumper und wir gewannen das Spiel."
Rasheed Wallace: Kein echter Franchise Player
Nach seiner Rookie-Saison in Washington wurde Wallace getradet, weil die Bullets spät realisierten, dass drei junge, hochveranlagte Power Forwards (Webber, Wallace, Juwan Howard) mindestens einer zu viel waren. In Portland erlebte er dann seine wohl prägendsten Jahre, reifte zum zweifachen All-Star und führte die Blazers 1999 und 2000 jeweils in die Conference Finals.
2000 war eigentlich sogar mehr drin. Gegen die Lakers führten die Blazers in Spiel 7 mit 15 Punkten, doch am Ende fehlte Portland der Closer, der echte Superstar. Portland hatte in diesen Jahren mit Pippen, Steve Smith, Arvydas Sabonis oder auch Detlef Schrempf jede Menge hochkarätige Veteranen, die Rolle des Franchise Players hätte jedoch nur Sheed einnehmen können. Sie entsprach nicht seinem Naturell.
Üble Jahre mit den Jail Blazers
Portland verlor gegen Shaquille O'Neal und Kobe Bryant auf deren Weg zum ersten gemeinsamen Titel, danach gewannen die Blazers mit Sheed keine Playoff-Serie mehr. Stattdessen brach nun endgültig die unrühmliche "Jail Blazers"-Ära an, in der nur noch auf Talent, nicht aber auf Charakter geachtet wurde und die Schlagzeilen neben dem Court dramatischer wurden als die auf dem Court.
Wallace war selbst kein Kind von Traurigkeit, wurde mit Marihuana erwischt, warf Sabonis mal ein Handtuch ins Gesicht und wurde von der NBA für sieben Spiele gesperrt, nachdem er den damaligen Referee (und später als Betrüger verurteilten) Tim Donaghy angeblich bedroht hatte. Das war zwar lange nicht auf dem Niveau der Vergehen einiger Mitspieler wie etwa Ruben Patterson, einem registrierten Sexualstraftäter, doch es schien ins Bild zu passen.
Die Blazers wurden zum vielleicht unbeliebtesten Team der NBA und Wallace war ihr Aushängeschild - der schlechte Ruf drohte, seine Karriere zu definieren. Doch im Februar 2004 zogen die Blazers selbst die Reißleine. Durch zwei Trades sollte sich für Wallace alles verändern.
Die Karriere-Stats von Rasheed Wallace
Team | Von | Bis | Spiele | Punkte | Rebounds | Blocks |
Bullets | 1995 | 1996 | 65 | 10,1 | 4,7 | 0,8 |
Trail Blazers | 1996 | 2004 | 544 | 16,8 | 7,0 | 1,3 |
Hawks | 2004 | 2004 | 1 | 20,0 | 6,0 | 5,0 |
Pistons | 2004 | 2009 | 399 | 13,4 | 7,2 | 1,6 |
Celtics | 2009 | 2010 | 79 | 9,0 | 4,1 | 0,9 |
Knicks | 2012 | 2013 | 21 | 7,0 | 4,0 | 0,7 |
Das späte Glück mit den Detroit Pistons
Zunächst ging es nach Atlanta, wo Wallace genau ein Spiel absolvierte, nach zehn Tagen gelangte der damals 29-Jährige dann an sein eigentliches Ziel: Detroit. Im Handumdrehen begann ein neues, weitaus positiveres Kapitel in seiner Karriere. Nur vier Monate später rächte sich Wallace an den Lakers und gewann mit den Pistons den NBA-Titel.
Selten funktionierte ein Trade innerhalb der Saison dermaßen gut, als jüngstes Beispiel könnte man wohl den Trade von Marc Gasol zu den Raptors anführen - die Rolle von Wallace in Detroit war jedoch größer. Bei den Pistons fand Sheed vielleicht erstmals in seiner Karriere eine Situation vor, die all seine Stärken perfekt hervorhob.
Die Pistons hatten keine Superstars. Ben Wallace war der Zonenanker, Chauncey Billups der Playmaker, Rip Hamilton der Scorer, Tayshaun Prince der Verteidiger auf dem Flügel. Sheed rundete eine der besten Starting Fives der NBA-Geschichte ab, brachte Lowpost-Scoring, Defense und einen guten Distanzwurf. Und natürlich seine Attitüde, die in dem Fall perfekt zum Team passte.
Wrestling-Gürtel für die Champions
"Falls es vorher im Team irgendeine Selbstsüchtigkeit gab, war sie an dem Tag weg, als Wallace erstmals den Court betreten hat", sagte George Blaha, der langjährige Pistons-Kommentator, zu Grantland. "Sie haben gemerkt: Wenn ein so talentierter Typ sich nur dafür interessiert, wie das Endergebnis aussieht, dann können wir uns auch nur dafür interessieren."
Wallace war das eine Puzzlestück, das den Pistons noch gefehlt hatte. Gemeinsam mit seinem "Wallace-Bruder" Ben lieferte er sich in den Finals epische Schlachten mit Shaq, im letztlich entscheidenden Spiel 4 drehte er auch offensiv mächtig auf und verzeichnete 26 Punkte und 13 Rebounds. Nicht, dass diese Zahlen ihn interessiert hätten.
Es ging nur um den Sieg. Und während die Pistons und Wallace auf der einen Seite ihr selbstloses Basketball-Nirvana fanden, implodierte auf der anderen Seite die ohnehin schon länger fragile Beziehung von Shaq und Kobe. In nur fünf Spielen schockten die Pistons L.A. und zum Titel schenkte Sheed seinem gesamten Team Championship-Gürtel wie in der WWE. Er war, auf seine Weise, endlich angekommen.
Rasheed Wallace: Querkopf aus Überzeugung
Die Pistons blieben, abgesehen von Head Coach Larry Brown, der 2005 das Team verließ, noch mehrere Jahre in fast identischer Besetzung zusammen und erreichten fünfmal in Serie die Eastern Conference Finals. Wallace wurde noch zweimal All-Star, erst 2009 wurde das Team aufgelöst und auch Sheed musste sich nochmal eine neue Heimat suchen.
Seine Wahl fiel auf Boston, wo Wallace die lokalen Fans im Lauf der Playoffs damit provozierte, dass er beispielsweise Caps von den Philadelphia Flyers trug, die zur gleichen Zeit in den NHL-Playoffs gegen die Boston Bruins ran mussten. Noch ärgerlicher war, dass ein lange unmotivierter und übergewichtiger Wallace die schwächste Regular Season seiner Karriere spielte. Das Feuer schien weg zu sein, doch in den Playoffs nahm Sheed dann doch noch einmal eine sehr große Rolle ein.
Speziell in den Conference Finals, als der nun 35-Jährige den damaligen MVP-Kandidaten Dwight Howard defensiv zur Weißglut trieb und ihn zeitweise komplett aus dem Spiel nahm. Boston erreichte die Finals, verlor aber in sieben Spielen gegen - natürlich - die Lakers.
Im siebten Spiel startete Sheed erstmals in den gesamten Playoffs, weil sich Starting Center Kendrick Perkins verletzt hatte. Es gelang ihm jedoch genauso wenig wie Garnett, die Lakers-Bigs um Pau Gasol vom offensiven Brett abzuhalten, die Energie reichte nicht mehr. Wenige Tage später beendete Wallace seine Karriere, auch wenn er zwei Jahre später noch einmal ein 21-Spiele-Comeback bei den New York Knicks geben sollte.
Kommt Rasheed Wallace in die Hall of Fame?
Was bleibt, ist ein vergleichsweise kompliziertes Vermächtnis. Obwohl (oder weil?) Sheed den direkten Kontakt zu Fans und Medien oft fast komplett verweigerte und selten offen sprach, ist er zu einer Kultfigur geworden. Seine Pre-Game-Tänze vor allem in Detroit waren legendär, hätte er ein Patent für "Ball don't lie" beantragt, hätte er damit gutes Geld verdienen können. Vielleicht macht das ja nun LeBron James.
Gleichzeitig bleibt der Eindruck, dass bei seinem Talent viel mehr drin gewesen wäre. Mehr individuelle Auszeichnungen, mehr Ruhm. Wallace tanzte aber immer zu seiner eigenen Melodie und stand sich damit teilweise selbst im Weg. Basketball-Reference schätzt seine Chance auf die Hall of Fame auf nur 8,6 Prozent, was für einen Spieler seines Formats wie eine Enttäuschung erscheint.
Er wäre jedoch nicht Sheed, hätte er eine wirklich gradlinige Laufbahn hingelegt. Und seine früheren Teammitglieder (Sabonis wohl ausgenommen) schwören nahezu durch die Bank, dass man mit diesem komischen Kauz bedenkenlos in die Schlacht ziehen konnte. Man könnte annehmen: Sie lügen nicht.