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Jamal Murray von den Denver Nuggets im Porträt: Der Bruce Lee der NBA

Von Gianluca Fraccalvieri
Jamal Murray ist der Bruce Lee der NBA.
© getty

In einem kleinen kanadischen Dorf wuchs Jamal Murray auf. Sein Vater Roger erkannte früh das Talent seines Sohnes und drillte den jungen Jamal komplett auf Basketball - mit teilweise kuriosen Methoden. Doch harte Trainingseinheiten, eiserner Fokus und Verzicht zahlten sich schließlich aus: Murray ist heute einer der spannendsten jungen Spieler der NBA.

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Steven Adams switcht auf Jamal Murray, noch 5 Sekunden zu spielen. Crossover Murray, angetäuschter Zug zum Korb, Stepback hinter die Dreierlinie - und Zack: Adams kann seine 113 Kilo Lebendgewicht nicht mehr kontrollieren und fällt über die eigenen Füße. Ein Anklebreaker, wie er im Lehrbuch steht. Murray bleibt kalt und trifft den offen Dreier - nichts als Netz.

Das Pepsi Center steht Kopf, der Kanadier aber dreht nur ganz cool ab und feiert seinen Treffer wie üblich mit einem angetäuschten Bogenschuss, der ihm den Spitznamen "Blue Arrow" verliehen hat. Für ihn ist die Aktion keine außergewöhnliche mehr, auch wenn sie bei Social Media natürlich die Runde macht und nicht wenige lockere NBA-Fans darauf aufmerksam macht, dass im kleinen Markt Denver ein ziemlich interessanter Spieler heranwächst.

Wer noch etwas tiefer einsteigt, stellt fest, dass Murray außerdem einen ziemlich einzigartigen Weg hinter sich hat.

Jamal Murray: Bloß keine normale Jugend

In einem verschneiten kanadischen Dorf wuchs Jamal als älterer von zwei Brüdern auf. Sein Vater Roger, selbst passionierter Basketballer und Leichtathlet, nahm den Jüngsten schon früh unter seine Fittiche. Das Ziel NBA-Spieler war vorbestimmt; eine "normale" Jugend kannte der kleine Jamal höchstens aus dem Fernsehen - falls TV-Konsum im Hause Murray überhaupt geduldet wurde.

Während andere Kinder mit Star-Wars-Figuren und Legos spielten, musste Murray mit sechs Jahren auf dem Court seinen Mann gegen 10-Jährige stehen. Freizeit vom Basketball gab es kaum. "Ich ließ ihn nie mit anderen Jungs in der Mall rumhängen", sagte sein Vater gegenüber Bleacher Report: "Kinder verschwenden heutzutage so viel Zeit. Ich wollte, dass alles, was er macht, einen Sinn ergibt."

Aufgewachsen in einem Kung-Fu-Haus

Neben den üblichen Vorbildern wie Michael Jordan und Vince Carter (damals noch bei den Toronto Raptors) wurde Murrays Denk-und Lebensweise dabei von einer ganz besonderen Koryphäe gesteuert: Bruce Lee.

Roger Murray entdeckte den wohl besten Kampfkünstler des 20. Jahrhunderts in jungen Jahren und war sofort von dessen Konzentrationsfähigkeit fasziniert: "Ganz egal, wer vor ihm stand, er hatte niemals Angst. Ich wollte mehr darüber wissen, wie er mental so stark wurde." Die dabei gelernten Lektionen versuchte er dann auf seinen Sohn zu übertragen.

"Ich wuchs in einem Kung-Fu-Haus auf. Erst als ich älter wurde, fand ich heraus, dass andere Familien beim Abendessen nicht über den Shaolin-Tempel und Jackie Chan redeten", erzählte Murray im Players Tribune. Bruce Lee-Filme gehörten genauso zur Tagesordnung wie harte Trainingseinheiten auf der Laufbahn. Liegestützen im Schnee sollten Murrays Schmerzgrenze erhöhen, Lees Kampfszenen seine mentalen Fähigkeiten schärfen.

Jamal Murray: Positionsloser Spieler

Auch basketballerisch hatte Roger Murray schon früh ziemlich genaue Vorstellungen für seinen Sohn und passte dessen Ausbildung an den Wandel der NBA an - Jamal sollte nicht in Positionen denken, sondern stets ein Auge für das gesamte Spielgeschehen haben.

Bereits als Murray sechs Jahre alt war, arbeiteten die beiden monatelang am Footwork und den Post-Moves eines (modernen) Centers und Power Forwards. Daraufhin folgte das Inside-Outside-Game eines Small Forwards. Erst als Murray dies zur Genüge beherrschte, gingen Vater und Sohn zu Shooting-Drills über. Abschließend kamen die Dribbling- und Ballhandling-Einheiten eines Point Guards dazu.

Dass der Sohn davon enorm profitiert hat, zeigte sich nicht zuletzt am College. Wo sich andere Spieler teilweise in ein Korsett zwängen müssen, ist Murray enorm vielseitig. "Er ist ein positionsloser Spieler", lobte sein einstiger College-Coach John Calipari. "Wir können ihn überall auf dem Platz einsetzen." Diese Vielseitigkeit war es auch, die Murray nach bloß einem Jahr in Kentucky zum Lottery-Pick machte - 2016 wurde der gerade erst 18-Jährige bereits an Position 7 von den Nuggets gezogen.

Aufs und Abs in der Rookie-Saison

Als jüngster Spieler des Drafts hatte er in Colorado dabei anfangs Schwierigkeiten, seine Rolle in einem Team mit Playoff-Ambitionen zu finden. Der Wurf von draußen war noch nicht wirklich verlässlich (33,4 Prozent 3FG) und da auch sein Playmaking noch nicht höchsten Anforderungen entsprach, war es für Murray teilweise schwer, sich konstante Spielzeit zu verdienen. 21,5 Minuten pro Spiel durfte er als Rookie an, Denver probierte mehr oder weniger erfolglos auf der Eins mit ihm, Emmanuel Mudiay und später Jameer Nelson herum.

Murrays enormes Potenzial blitzte dennoch hin und wieder auf, wie zum Beispiel bei der Rising-Stars-Challenge 2017. Mit 36 Zählern, bei neun von 14 getroffenen Dreiern, krönte der Kanadier sich dort zum MVP und sendete ein deutliches Ausrufezeichen an die Konkurrenz, das mit ihm in Zukunft zu rechnen sei.

Zudem ließ er sich nicht entmutigen. Murray ist mental explizit darauf vorbereitet worden, mit Schwierigkeiten umzugehen. Er meditiert vor und nach jedem Training und Spiel, wodurch er seinen Herzschlag auf 34 Schläge pro Minute reduzieren kann. Das versetzt ihn in einen erhöhten Konzentrationszustand: "Wenn du ruhig bist, bist du fokussierter und triffst bessere Entscheidungen. Das Spiel bewegt sich schnell, aber dir erscheint es langsam."

Zumindest an der Freiwurflinie stellte er diese Konzentrationsfähigkeit sofort unter Beweis. Als Rookie traf er von der Linie 88,3 Prozent, derzeit sind es sogar 91,4 Prozent (Platz 6 in der Liga).

Die Karrierestatistiken von Jamal Murray

SaisonPunkteReboundsAssistsFG%Minuten
16/179,92,62,140,421,5
17/1816,33,53,146,430,5

Der Distanzwurf ist angekommen

Aber auch in allen anderen Aspekten macht Murray Fortschritte und hat sich mittlerweile ans Tempo der NBA gewöhnt. Im Sommer entschieden sich die Nuggets für ihn als Starter (Mudiay wurde mittlerweile sogar getradet) und auch wenn er zum Start noch Schwierigkeiten hatte, hat er das Vertrauen mittlerweile zurückgezahlt.

Seit Anfang Dezember ist Murray heiß gelaufen und versenkt satte 44,7 Prozent von draußen (Nr. 3 in der NBA), bei 17,8 Punkten im Schnitt. Für einen nominellen Einser sind seine 3,1 Assists pro Spiel zwar wenig, allerdings ist dies zum großen Teil auch seiner Rolle im System der Nuggets geschuldet.

Point Guard, der keiner sein muss

Mit Nikola Jokic im Kader verfügt Denver über den wahrscheinlich besten Passing-Big-Man der Liga, der zugleich auch noch eine vernünftige Dreierquote aufweist (37,2 Prozent). Das Pick'n'Roll und Pick'n'Pop zwischen Murray und dem Joker entwickelt sich mehr und mehr zu einer absoluten Waffe - und Murray ist dabei eben häufig als Vollstrecker und nicht als Passer gefragt. Das betont seine Stärken umso mehr.

Die Zahlen belegen, dass rund um dieses Duo etwas Großes entstehen kann. Mit Murray und Jokic zusammen auf dem Feld haben die Nuggets ein Net-Rating von +4.5, zusammen mit dem jüngst genesenen Paul Millsap gar ein Rating von +10.9. Denver rangiert in der heiß umkämpften Western-Conference derzeit auf Rang acht und ist damit voll im Rennen um die Playoff-Plätze.

Das Team hat schon jetzt das Potenzial, die Großen der Liga zu kitzeln. Mit dem blutjungen Dreiergespann aus Murray, Jokic und Gary Harris könnte in den nächsten Jahren sogar noch mehr möglich sein - wenn das Team um sie herum verstärkt und vor allem die mehr als löchrige Defense stabilisiert wird. Jokic ist dabei zweifelsohne der systemprägende Spieler; am Ende vieler enger Spiele dürfte der Ball aber Murray finden. Genau dafür wurde er vorbereitet.

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