Curry hat mehr zu beweisen als LeBron
Jonas Reckermann: Weder noch. Beide müssen nichts mehr beweisen. Curry ist zweifacher MVP, hat sein Team schon im vergangenen Jahr zum Titel geführt und jetzt gerade in Spiel 7 gegen die Thunder nochmal gezeigt, dass er da ist, wenn der Druck am größten ist. Er ist der heißeste und der beste Spieler, der den Sport mit seinen Skills revolutioniert hat. LeBron hat auch seine zwei Ringe aus Miami, doch für ihn steht natürlich die Championship mit "seinem" Team, den Cavaliers, noch aus. Aber auch er hat jetzt schon seinen festen Platz in den Geschichtsbüchern.
Moritz Fürste: Für mich ist der Unterschied schon größer, Jonas. LeBron hat nur zwei der sechs Finals-Serien gewonnen, in denen er stand. Das sind zwar zwei Titel, aber darüber definiert sich der ultimative Erfolg im Basketball. Jeder Spieler wird an den Ringen gemessen. Wenn er in einem Atemzug mit Michael Jordan genannt werden will, dann muss er sich ranhalten. Der steht bei sechs Finals-Teilnahmen und sechs Titeln. Andere große Spieler wir Charles Barkley oder Patrick Ewing haben keinen einzigen geholt - das wird ihnen auch heute noch immer vorgehalten. Curry hat seine bisher einzigen Finals gewonnen, der kann mit einem weiteren Erfolg Richtung Jordan starten. LeBron muss aufpassen, nicht als ewiger Zweiter abgestempelt zu werden.
Jonas Reckermann: Ewiger Zweiter? Wir reden hier von einem Ausnahmespieler mit zwei Titeln, Mo. Und sechs Finals-Teilnahmen in sechs Saisons hat seit 50 Jahren niemand mehr geschafft.
Moritz Fürste: Aber da fragt später niemand mehr nach. Bei uns ist das ganz genauso. Wer erinnert sich denn an den Zweiten? Ich habe auch sieben Finals verloren. Und das interessiert auch niemanden. (lacht) Es werden eben nur die Titel gezählt - und vor allem eine Meisterschaft mit Cleveland muss er holen. Sonst hat er in den Augen der Fans versagt, so hart es klingt. Ich persönlich sehe das anders, aber so tickt die Sportwelt nun mal.
Ole Frerks: Das ist leider vollkommen richtig, Mo. So unfair und bescheuert ich das auch finde. Meine Ansicht: Steph hat nichts mehr zu beweisen, LeBron hat schon wesentlich länger nichts mehr zu beweisen. LeBron ist schon jetzt ein All-Timer und Steph auf dem allerbesten Weg dorthin. Dennoch wissen wir alle, wie es kommen wird, auf die eine oder andere Weise: Verlieren die Cavs, wird es wieder heißen, dass LeBron ja doch ein Choker ist, dass er immer nur Fallobst im Osten besiegt (was kann er dafür, wer sonst im Osten spielt? Vielleicht wirken ja auch nur seinetwegen alle anderen Teams immer wieder wie Fallobst?). Und natürlich wird es heißen, dass Jordan ja niiiiiie eine Serie verloren hätte (wie damals gegen Detroit oder Boston zum Beispiel). Da spielt es auch keine Rolle, egal, dass LeBron abgesehen von 2011 gegen Dallas in den Finals IMMER ein schwächeres Team hatte. Und falls die Warriors verlieren? Man könnte ja meinen, dass ein Titel, zwei MVPs und 73 Siege genug wären, aber man hat schon beim 1-3-Rückstand gegen OKC gesehen, dass bei jeder Schwierigkeit sofort die "Hab ich's doch gesagt!"-Fraktion aus ihrem Loch gekrochen kommt. Auch Curry würde bei einer Pleite Gegenwind bekommen. Man sieht es daran, wie schnell jetzt wieder alle auf Durant einzuprügeln. So funktioniert das eben: Basketball ist ein Teamsport und der Erfolg von mehr Variablen abhängig als einem einzigen Spieler (unter anderem vom GEGNER), aber es fällt danach wesentlich leichter, sich diesen einzigen Spieler als Sündenbock herauszusuchen. Es wäre schön, wenn wir irgendwann davon wegkämen, aber dafür macht es den meisten einfach viel zu viel Spaß.
Marc-Oliver Robbers: Du glaubst doch nicht, dass sich das jemals ändern wird, Ole? In dieser Spirale sind wir alle gefangen, egal ob Sportler, Journalisten oder Fans. Und aus diesem Grund steht für beide eine Menge auf dem Spiel. Back-to-back-MVP zu sein, ist für Curry sicher schön, aber diese ganze irre Saison wäre einfach nichts wert, wenn am Ende nicht der Titel dabei herausspringen würde. Womit wir wieder beim Gerede sind. Ich finde es ohnehin krass, wie stark auf einmal der Gegenwind für die Warriors ist. Es verkommt ja schon fast zu einer Glaubensfrage, ob man die Warriors mag oder nicht. Da hat sich ein völliges Schwarz-Weiß-Denken etabliert. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht verstehen kann, dass jemand Curry nicht sympathisch findet. Selbst Regelmann mag Curry. Aber um auf die These zurückzukommen, LeBron wird seit Beginn seiner Karriere mit diesem Legacy-Mist konfrontiert. Er kennt das und weiß damit umzugehen. Für Curry wäre es aber das erste Mal, seitdem er das Gesicht der Liga ist, dass er Gegenwind erhalten würde und dass an ihm als Superstar gezweifelt werden würde. Die Friede-Freude-Eierkuchen-Welt der Warriors würde schon ein paar Risse bekommen.
Martin Klotz: Wow, wir sind wirklich ganz schön weit weg von der These. Aber ich teile eure Einschätzung zur Unverhältnismäßigkeit der Kritik. There will always be haters - das werden weder wir noch James und Curry ändern können. Aber meiner Meinung nach hat LeBron mehr zu beweisen. Den Druck machen ihm nicht nur andere, sondern den hat er sich mit seiner Rückkehr nach Cleveland auch zu einem gewissen Teil selbst gemacht. Das Märchen des Helden, der seine seit 52 Jahren in allen US-Sportarten sieglose Stadt zum Titel führt - es wäre seine Geschichte. Aber die muss er eben auch noch schreiben. Bei Curry ist es völlig anders. Dadurch, dass er nach einigen Jahren in der Liga quasi über Nacht zum MVP aufgestiegen ist, hat er eine deutlich andere Behandlung seitens der Beobachter und Medien erfahren als LeBron. Der kam schließlich schon mit dem Label "zukünftiger Hall of Famer" von der Highschool. Ist das unfair? Vielleicht. Aber ehrlich gesagt habe ich bei Curry nicht eine Sekunde lang das Gefühl, als würde er sich um sein Vermächtnis scheren. Im Endeffekt wäre eine Niederlage in den Finals natürlich für beide eine große Enttäuschung, aber sie sind nicht umsonst zwei der besten Baller des Planeten. Und darum werden die beiden in den nächsten zwei Wochen auch noch einmal über sich hinauswachsen.