NBA

Altern mit Stil

Von Max Marbeiter
Im Sommer unterschrieb Paul Pierce für zwei Jahre bei den Washington Wizards
© getty

In Boston verehrt, in der Hauptstadt geschätzt. Auch mit 37 spielt Paul Pierce bei den Washington Wizards noch eine wichtige Rolle. Zwar machen "The Truth" und das Team eine schwere Phase durch, doch Pierce überzeugt. Am Ende liefert er den Wizards vielleicht sogar eine wertvolle Option.

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Das Licht wird gedimmt. Alles blickt auf den Videowürfel unter der Hallendecke, auf dem sogleich die Nummer 34 aufleuchtet. Es wird laut im TD Garden. Menschen erheben sich. Sie schreien, klatschen, verleihen ihrem tiefempfundenen Respekt, ihrer Dankbarkeit Ausdruck. Den Blick dabei weiter auf den Videowürfel gerichtet. Mittlerweile sind dort Bilder einer Karriere zu sehen. Bilder einer Karriere in Grün.

Ein cineastischer Ausflug zeigt Tom Cruise in "Eine Frage der Ehre". "I want the truth", sagt er im Gerichtssaal. "You can't handle The Truth" entgegnet ein aufgebrachter Jack Nicholson. Der Lärmpegel steigt weiter. Denn "The Truth" kehrt erstmals heim. Erstmals seit seinem Wechsel nach 15 Jahren Celtics spielt Paul Pierce wieder in Boston. Passend dazu schallt Diddys "I'm coming home" aus den Lautsprechen.

Und Pierce ist gerührt. Sie haben ihn nicht vergessen in Boston. Sie werden ihn nie vergessen. Und Pierce wird Boston nie vergessen. "Ja, wieso nicht", antwortet er rund zwei Monate nach seiner emotionale Rückkehr fragenden Reportern. Wieso sollte er nicht eines Tages zu den Celtics zurückkehren. "Vielleicht als Spieler, vielleicht als Coach. Wer weiß, was die Zukunft bringt."

Vielleicht sogar als Spieler. Viel Zeit bleibt Pierce angesichts seiner mittlerweile 37 Jahre wohl nicht, doch noch seinen persönlichen Traum und wahrscheinlich auch jenen vieler Celtics-Fans zu realisieren. Zumal sich der Finals-MVP von 2008 im Sommer nach nur einem Jahr Brooklyn zwar für einen Wechsel entschied, am Ende jedoch nicht in Boston, sondern bei den Wizards unterschrieb.

"Nicht nur die Playoffs erreichen..."

Übel nimmt Pierce die Entscheidung freilich niemand. Schließlich befinden sich die Celtics mitten im Rebuild und nicht wenige gönnen dem jahrelangen Vorzeigekelten einen Karriereabend im Scheinwerferlicht der großen Bühne, mindestens der Playoffs, vielleicht sogar noch einmal der Finals. Denn genau dorthin möchte Pierce zurück. "Ich bin nicht hierhergekommen, um nur die Playoffs zu erreichen, glaubt mir", verkündete er kurz nach seiner Ankunft in Washington.

"The Truth" verspricht sich viel von seiner Liaison mit den Wizards. Und in der Theorie erscheint die Symbiose auch durchaus vielversprechend. Hier das junge, aufstrebende Team, voll mit Talent und noch im Rausch der ersten großen Playoff-Erfahrung, dort der Veteran, der ehemalige NBA-Champ, der vielfache All-Star, voll der Erfahrungen von mittlerweile knapp 17 Jahren in der Association.

Ein Mentor soll Pierce sein. Einer, der John Wall, Bradley Beal und die Wizards in die Feinheiten des Spiels in entscheidenden Momenten einführt, einer, der dem jungen Team Halt gibt. Und es schien durchaus zu funktionieren. Denn Washington begann mit Saisonbeginn dort, wo es in den Playoffs aufgehört hatte. Washington ließ aufhorchen.

Die neuen Pacers?

31 Siege hatten die Wizards bis zum 27. Januar bereits gesammelt, dabei lediglich 15 Spiele verloren. Die Wizards waren mittendrin im Rennen um die besten Playoff-Plätze im Osten, sie konnten mithalten mit den Hawks, Cavs, Raptors und den damals noch fitten Bulls.

Doch plötzlich hielt der Geist der Pacers Einzug in der Hauptstadt. Plötzlichen brachen die Wizards ein. Dabei war Andrew Bynum nicht einmal in der Nähe des Verizon Centers gesichtet worden. Binnen eines Monats, der als F****** February in die Saisonanalen eingehen könnte, verlor Washington satte elf Spiele, gewann gleichzeitig nur drei. Und wenngleich die Wizards sich gefangen zu haben schienen, zwischenzeitlich fünf Mal in Serie gewannen, so hat Indiana Washington doch immer noch nicht verlassen.

Vor dem knappen Overtime-Sieg gegen die Hornets hatten sich bereits wieder vier Pleiten angehäuft. Am Stück, natürlich. Washington wirkt bei weitem nicht mehr wie ein Team, das sich ernsthafte Hoffnungen auf einen tiefen Playoff-Run machen sollte. Und die Gründe sind vielfältig. Da wäre Bradley Beals permanentes Verletzungspech, dazu ein Roster, das einfach nicht zu hundert Prozent zusammenpasst, und zu guter Letzt eine Offense, die trotz eines John Wall lediglich die siebzehnteffektivste der Association (101,9 Punkte pro 100 Possessions) ist.

Die Tragik der Wizards-Offense

Die tragische Liebe zum langen Zweier hier, wenig gewinnversprechende Postups dort, zudem wenig zielführende Spielzüge - Washingtons System wirkt nicht nur uninspiriert, es funktioniert derzeit einfach nicht. Dabei könnte gerade Paul Pierce Coach Randy Wittman eine neue Komponente anbieten, die den Wizards neue Variabilität verleihen würde - und sie ganz nebenbei den mittlerweile allgemein vorherrschenden Vorstellungen in der NBA ein Stück näher bringen würden.

Denn auch Wittman scheint zusehends einzusehen, dass ein erfolgreiches Gegensteuern gegen den Trend des Stretch Four mit den beiden Brechern Marcin Gortat und Nene zusehends diffiziler wird. "Teams, die das Feld gegen unsere Bigs breit machen können, bereiten uns Probleme", gesteht der Coach - und erklärt damit nur, was eigentlich offensichtlich ist: Werden sie vom Brett weggezogen, werden Gortat und Nene zusehends wertlos.

Pierce als Stretch Four?

Und nun stellt der Osten auch noch genug Teams, die genau dieses Manko zu nutzen im Stande sind, die Washingtons Big Men immer wieder Richtung Dreierlinie ziehen, die ihren ganz eigenen Stretch Four besitzen. Cleveland hat einen, Atlanta hat mehrere, auch die Raptorts besitzen einige Optionen und nun haben die Bulls auch noch Nikola Mirotic.

Und die Wizards? Die hätten Paul Pierce. Nun ist "The Truth", das ursprüngliche Positionsdenken angewandt, grundsätzlich einmal Small Forward, andererseits spielte er auch vergangene Saison in Brooklyn bereits hin und wieder auf der Vier. Zudem scheut sich Pierce nicht vor dem defensiven Duell gegen körperlich womöglich überlegene Gegner.

Also stellte man in Washington bereits kurz nach Pierce' Verpflichtung Überlegungen an, den ehemaligen Kelten tatsächlich hin und wieder auf der Vier aufzustellen. Immerhin könnte ein wenig Spacing angesichts von Walls Speed beim Zug zum Korb sicherlich nicht schaden. Am Ende verlässt sich Coach Wittman größtenteils allerdings doch lieber auf seine bewährte Kombination aus Kraft und Masse, aus Nene und Gortat.

Dabei trifft Pierce in dieser Saison den Dreier so gut wie seit fünf Jahren nicht mehr (38,8 Prozent 3FG) und liegt damit über seinem Karrieremittel (37,1 Prozent 3FG). Auch das True Shooting ist vorzeigbar (58,1 Prozent).

Vorbild ohne Eitelkeiten

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ein Power Forward namens Paul Pierce allein löst die Probleme der Wizards-Offense mit Sicherheit nicht, dazu ist deutlich mehr vonnöten. Beachtlich ist jedoch, dass "The Truth" - wie Shaquille "Ich wusste, dass er spielen kann, aber nicht, dass er so spielen kann. Paul Pierce is the truth" O'Neal den ehemaligen Kansas Jayhawk einst taufte - auch im hohen Basketballalter immer noch Optionen liefert, die ein ambitioniertes Team potentiell besser machen.

Damit zählt Pierce auch nicht zur Spezies von Veteranen, die die Jugend lediglich durch Sprüche zu erziehen versuchen. Deren Worte häufig nicht mehr mit der eigenen Leistung mithalten können. Pierce führt mit Worten und Taten. "Das macht ihn so großartig", sagt Marcin Gortat gegenüber CSN Washington. "Er ist ein wahrer Kämpfer. Ein Anführer. [...] Es ist unglaublich, wie die Leute seinem Vorbild folgen."

Dabei nimmt sich Pierce nicht einmal zu wichtig. Anders als viele alternde Superstars vor ihm klammert er sich nicht an die Rolle vergangener Tage. "Er ist unser Leader", sagt er beispielsweise über John Wall. "Jeder spricht über Paul, den Veteranen, aber er ist unser Leader." Klingt nicht nach Eitelkeiten. Und so findet sich Pierce auch damit ab, dass seine Spieltanteile rein statistisch so niedrig sind wie noch nie zuvor in seiner Karriere (19 Usage Rate). Kurz: Pierce altert mit Stil.

Pierce macht die Wizards besser

Zumal die Wizards mit Pierce auf dem Court ein besseres Team sind als ohne den ehemaligen Finals-MVP (Net Rating mit Pierce: 4,5; Net Rating ohne Pierce: -1,3). "Er passt einfach perfekt zu diesem Team", sagt Coach Wittman. "Zusammengehörigkeit ist ein wichtiger Faktor, wenn du ein gutes Team sein willst. Es geht nicht allein um Talent. Und genau das hat Paul von Anfang an hier eingebracht."

Nun stammt Wittmans Zitat aus fröhlicheren Wizards-Tagen. Damals, im Dezember, lief in Washington schließlich alles bestens. Dass man im Februar und März die Pacers der vergangenen Saison kopieren würde, war nicht zu erahnen gewesen. Und Paul Pierce ist es sicherlich nicht egal. Dennoch beweist "The Truth", dass er immer noch von nicht zu unterschätzendem Wert ist.

Nur mit der erhofften Finals-Teilnahme wird es am Ende mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts. Am Erbe des Paul Pierce kratzt das allerdings nicht. Ein Titel, der Finals-MVP-Award und zehn All-Star-Nominierungen sprechen für sich. Deshalb verehren sie ihn Boston. Deshalb wird Paul Anthony Pierce auf ewig mit den Celtics verbunden sein. Und deshalb lebt die Hoffnung auf eine Heimkehr.

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