2 Sekunden vor Schluss, Dallas gastiert in Milwaukee. Es steht 105:105. Monta Ellis dribbelt mit Dampf nach vorne, packt aus halbrechter Position an der Dreierlinie den Spin-Move nach innen aus, springt einbeinig ab und wirft den Ball gerade so über den ausgestreckten Arm von Khris Middleton. Ein Irrsinns-Wurf. Die Sirene ertönt, als der Ball noch in der Luft ist. Swish. Ball-Game.
Einen Tag zuvor. Double Overtime in Chicago. Dallas liegt 40 Sekunden vor Schluss mit 2 Punkten hinten. Ellis steigt von weit draußen hoch, wirft den Dreier Edelverteidiger Jimmy Butler ins Gesicht - und trifft. Es ist der Gamewinner, auch wenn Chandler Parsons noch zwei Freiwürfe zum 132:129 beisteuert. Schon am Ende der regulären Spielzeit und am Ende der ersten Verlängerung war es Ellis, der sein Team im Spiel gehalten hatte. Insgesamt macht er 38 Punkte.
Ellis nimmt an diesem Abend 35 Würfe. Klingt nach einem Ego-Zocker? Falsch. "Wir wollen, dass er diese Würfe nimmt", sagt Dirk Nowitzki. "Immer, wenn wir einen wichtigen Wurf brauchten, hat er ihn genommen - und getroffen", lobt Rick Carlisle, und fügt hinzu: "Er ist ein spezieller Spieler. Das heutige Spiel hat gezeigt, warum."
"Irrational Confidence Guy" par Excellence
Ein spezieller Spieler. Das ist Ellis in der Tat - im guten wie im schlechten Sinne. "ESPN"-Kolumnist Bill Simmons prägte vor Jahren die Kategorie des "Irrational Confidence Guys", also eines Spielers, dessen Selbstvertrauen so übermäßig hoch ist, dass er sich jederzeit jeden Wurf zutraut und sich vielleicht für ein bisschen besser hält, als er eigentlich ist.
Ellis ist ein, momentan vielleicht sogar das Paradebeispiel für diese Kategorie. Er hat niemals Angst, egal vor welcher Situation. Drei Freiwürfe zum Ausgleich, wenn die Uhr schon abgelaufen ist? Passt. Wilde Würfe am Ende der Shotclock, Layups gegen drei Mann oder Dreier ins Gesicht des Gegners? "Monta Ellis have it all"!
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Die Mavs profitieren von dieser Qualität enorm - weil Carlisle genau weiß, wie er den pfeilschnellen Ellis einzusetzen hat. Nowitzki, selbst über viele Jahre einer der besten Closer der Liga, gibt bereitwillig Würfe an Ellis ab und fungiert häufig nur als Ablenkungsmanöver. "Monta ist unser Go-to-Guy in der Crunchtime", gibt der große Deutsche unumwunden zu.
Ellis wiederum profitiert unheimlich vom Vertrauen des Trainers und des Superstars der Mavs. "Mein Coach und sogar Dirk sind zuversichtlich, wenn sie mir am Ende des Spiels den Ball in die Hände legen. Das macht es so viel einfacher, diese Situationen zu meistern", sagt Ellis. Er muss es wissen. Er hat vor seiner Ankunft in Dallas schon ganz andere Dinge erlebt.
Unrühmliches Ende in Golden State
Es ist nicht allzu lange her, dass Ellis offen darüber nachdachte, die Sneaker an den Nagel zu hängen. Denn nachdem seine Karriere bei den Golden State Warriors durchaus vielversprechend begonnen hatte, lernte er nach und nach auch die Schattenseiten des Geschäfts kennen. Einen nicht unerheblichen Teil davon selbst verschuldet.
2007 war er als Most Improved Player Teil der "We Believe"-Warriors, die in der ersten Runde - wie passend - die erstplatzierten Mavs aus den Playoffs warfen. Ein Jahr später legte er im Schnitt 20,2 Punkte pro Spiel auf und wurde im Sommer mit einem neuen Vertrag über 66 Millionen Dollar belohnt. Keine schlechten Aussichten für einen Zweitrundenpick.
Und Ellis? Der crashte wenige Wochen später mit seinem Moped und verletzte sich schwer am Knöchel. Schlimmer noch: Er log seiner Franchise vor, er hätte sich bei einem Workout verletzt. Als die Lüge herauskam, war das Verhältnis zum Team vielleicht noch nicht irreparabel beschädigt - angeknackst war es definitiv.
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Spätestens als Ellis' größter Befürworter in der Franchise, Chris Mullin, gegangen wurde, wusste Ellis, dass auch seine Zeit in der Bay Area limitiert war. Mit Stephen Curry holte Golden State zudem einen Guard, der mit Ellis nicht wirklich kompatibel war - Ellis: "Da stehen zwei Hänflinge nebeneinander, die geradeso 90 Kilo auf die Waage bringen. Und so soll man im Westen gewinnen?"
"Basketball nicht mehr geliebt"
Die Zeichen standen auf Abschied, und während der 2011/2012er Saison wird Ellis tatsächlich nach Milwaukee verschifft - ins Niemandsland der Eastern Conference. Seine Statistiken in der Zeit dort lesen sich nicht schlecht: 19,2 Punkte und 6 Assists legt Ellis in seiner einzigen kompletten Saison in Milwaukee auf.
Das Urteil über Ellis ist damals aber längst gefällt. Er ist einer, der bei miesen Teams gute Statistiken auflegen kann, der nur auf sich selbst schaut, mit dem man nicht gewinnen kann. Ein Lockerroom-Cancer. Auch wenn die Bucks 2013 die Playoffs erreichen, nimmt ihn niemand ernst. Vor allem nicht, als er behauptet, er wäre "in der gleichen Kategorie wie Dwyane Wade." "Irrational Confidence" von seiner negativen Seite.
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Nachdem die Bucks von den Heat nach Strich und Faden dominiert und gesweept werden, ist Ellis vertragsfrei - und am Tiefpunkt angekommen. "Ich habe Basketball einfach nicht mehr geliebt", blickt er zurück. "Ich war unglücklich und hatte das Gefühl, die Teams, bei denen ich war, hatten überhaupt keine Siegermentalität."
Neue Heimat in Dallas
Als die Mavericks auf den Plan traten und ihm einen Zweijahresvertrag mit einer Spieler-Option für ein drittes Jahr anboten, sagte Ellis zu, ohne wirklich zu wissen, was ihn dort erwarten sollte. Die Expertenwelt fragte sich dagegen, was eine professionelle Franchise wie Dallas überhaupt mit einem solchen "Me-First"-Spieler wollte.
Es sollte sich herausstellen, dass die Mavs eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatten, wie sie den Shooting Guard einsetzen wollten. Carlisle hatte schon vorher bewiesen, dass er "spezielle" Spieler perfekt integrieren kann - Shawn Marion, Brandan Wright oder JJ Barea sind da nur einige Beispiele. Ellis ist ein weiteres.
Bei Carlisle hat Ellis eine Rolle inne, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist. Er ist mit Abstand der explosivste Spieler der Mavs und reißt mit seiner unbändigen Penetration immer wieder Lücken. Da er zumeist von vielen Shootern umgeben ist, bieten sich Räume, die er anderswo nicht in dem Maße hatte.
Er wird von den Mavs zudem immer wieder gesucht, wenn die Uhr runtertickt, weil er mit seiner Schnelligkeit und seiner Cleverness aus jedem noch so schlechten Angriff einen Wurf kreieren kann. Nur wenige Spieler sind in Bedrängnis so versiert wie er.
Nowitzki als Vorbild
Was aber wohl noch wichtiger ist: Der Coach lässt seinen eigenwilligen Spieler bereitwillig eigene Entscheidungen treffen und vertraut ihm, dass er das Richtige tun wird. Und der dankt es ihm, indem er beweist, dass Professionalität und Siegermentalität ihm keineswegs fremd sind. Er gibt in jedem Spiel hundert Prozent und nimmt auch defensiv, wo er sich bei den Mavs erheblich verbessert hat, beispielsweise viele Charges an.
Seitdem er in Dallas angestellt ist, hat er außerdem kein einziges Spiel verpasst. Auch als er am Sonntag gegen OKC böse umknickt, sagt er nur in seinem typischen Lingo: "I ain't missin' no games." Er fühlt sich so wohl in Dallas, dass er schon jetzt davon spricht, seine Karriere dort beenden zu wollen.
"Ich wusste am Anfang nicht, was ich erwarten sollte. Ich hatte vier ziemlich düstere Jahre hinter mir. Wenn man morgens aufwacht und denkt: 'Ich muss zur Arbeit, weiß aber nicht, was mich dort erwartet', ist das ein mieses Gefühl. Aber hier weiß ich, was ich habe. Das bringt einen dazu, hart arbeiten zu wollen", erklärt Ellis.
"Wenn man jemanden wie Dirk neben sich hat, der in die Hall of Fame einziehen wird und der sich trotzdem jeden Tag den Hintern aufreißt, zieht einen das sofort mit. Die Einstellung hier in Dallas hat dazu geführt, dass ich mich wieder in Basketball verliebt habe."