"Ich werde nie vergessen, wie ich vor 22 Jahren beim Draft auf die Bühne gekommen bin und Sie (David Stern, Anm. der Redaktion) mich herzlich in der NBA willkommen hießen. Und jetzt gehen wir gemeinsam in die Hall of Fame."
Als Alonzo Mourning in der Symphony Hall in Springfield ans Rednerpult trat, um seine Rede zu halten, hätte man den 44-Jährigen für einen aktiven NBA-Spieler halten können, und nicht für einen Hall-of-Famer, der dem Parkett 2009 den Rücken gekehrt hatte. 17 Jahre nach seinem Debüt im Jersey der Charlotte Hornets. Er ist noch immer ein Bulle von einem Mann, in Topform, mit unglaublich breiten und turmhohen Schultern.
Knappe 24 Minuten sprach "Zo" zum Publikum. Er ließ sein Leben und seine Karriere Revue passieren und hatte vor allem eine Botschaft: Niemals aufgeben. Er muss es wissen - denn nur so lässt sich erklären, wie ein vermeintlich totkranker Mann Jahre später doch noch die Larry-O'Brien-Trophy in die Höhe reckt.
"Wenn man bedenkt, welchen Hürden ich in meinem Leben gegenüberstand, dann sollte ich eigentlich gar nicht hier sein."
Als Sohn zweier Teenager wird Mourning in Chesapeake, Virginia geboren. Seine Eltern waren der Aufgabe nicht gewachsen: Als sie sich schließlich trennen, kommt er zu einer Pflegefamilie. Die pensionierte Lehrerin Fannie Threet nimmt über die Jahre neben dem kleinen Alonzo unglaubliche weitere 48 Kinder auf, die drei eigenen Kinder nicht mitgerechnet. Wer Mourning über "Mrs. Threet" sprechen hört, weiß, wie viel ihm die Frau bedeutete. Sie stirbt 2013 im Alter von 98 Jahren, in der Todesanzeige wird er als ihr Sohn, seine drei Kinder als ihre Enkel aufgelistet.
"Sie war einfach unglaublich, sie hat mir viel Liebe gegeben", erinnert er sich. "Sie war da, wenn ich jemandem zum Reden oder Anlehnen brauchte. Durch sie bin ich gewachsen." Durch sie lernt er, hart zu arbeiten, sie lebt ihm die Werte vor, die noch heute sein Leben bestimmen. Mit seinem körperlichen Wachstum hat sie allerdings nichts zu tun: Schnell überragt er Lehrer und Mitschüler. Man drängt ihn zum Basketball, und er überragt. Mit 18 geht er nach Georgetown, eine Big-Man-Schmiede, die unter anderem Patrick Ewing und Dikembe Mutombo hervorbringt.
Dort wird er zum Star, schon als Freshman blockt kein College-Spieler mehr Würfe als er. Die vier Jahre, die ihm eine Unzahl an persönlichen Ehrungen einbringen, lassen ihn als Spieler reifen. Für seine Persönlichkeit ist der legendäre Coach John Thompson zuständig: "Wenn Mrs. Threet aus mir einen Sohn und Bruder gemacht hat, dann hat er aus mir einen Mann gemacht." Am ersten Tag zeigt ihm Thompson einen platten Basketball auf seinem Schreibtisch und sagt: Dein Leben muss mehr sein als die Luft in einem Basketball, oder was du damit anstellen kannst. Diese Lektion bleibt dem 18-Jährigen im Gedächtnis.
"Ich habe gefightet, ich habe verteidigt, ich bin jedes Spiel angegangen, als sei es mein letztes. Und ab und zu habe ich auch mit dem Ellbogen ausgeteilt - und das hat mir übrigens Spaß gemacht."
1992 geht es für Mourning in die NBA. Er wird an zweiter Stelle gedraftet, vor ihm wird nur ein gewisser Shaquille O'Neal gewählt. Man darf nicht vergessen: Mit 2,08 Metern und knapp 120 Kilo Muskeln gehört er in dieser Blütezeit der klassischen Center eigentlich in die Kategorie "undersized". Shaq, Hakeem, Ewing, Robinson, und und und... "Ich war oftmals zehn Zentimeter kleiner und 20 Kilo leichter als einige der dominantesten Big Men in der NBA-Geschichte", sagt er - und ist stolz, dass er sich nicht hat unterkriegen lassen.
Offensiv gibt es technisch bessere Center - aber wenige, die sich so reinhauen wie "Zo". Und in der Verteidigung ist er ein schwarzes Loch: Im ersten Jahr bringt er es auf 21 Punkte, 10,3 Rebounds und 3,5 Blocks pro Spiel. Sein Buzzer-Beater in der ersten Playoff-Runde bringt den Sieg gegen die Boston Celtics. Eine Saison später ist er ein All-Star, 20/10/3 sind da schon Routine.
Er ist kein dreckiger, aber ein knallharter Spieler, der keinem Konflikt aus dem Weg geht. Als Vince Carter Ende der 90er in die Liga kommt, macht er es sich zur Mission, jeden Center der Liga auf ein Poster zu bekommen. Die "Sports Illustrated" fragt ihn nach seinem schwersten Gegner: "Mourning. Man muss ihm nur in die Augen schauen, dann weiß man, der Mann ist kein Witz. Man muss ihn respektieren." Mourning ist ein würdiger Gegner.
"Pat schafft eine Siegerkultur und -mentalität. Er verlangt Professionalität und die richtige Vorbereitung. Das ist bis heute Teil meiner DNA."
Im November 1995 traden die Hornets ihren Star zu den Miami Heat, weil sie sich nicht auf einen neuen Vertrag einigen können. Sein neuer Head Coach ist Pat Riley, und zwischen den beiden stimmt es sofort. Mourning wird Teil der "Miami Mafia", wie Jalen Rose es heute scherzhaft bezeichnet: Zwischen ihn und die Franchise passt kein Blatt Papier mehr, bis heute.
Unter Riley entfaltet Mourning sein ganzes Potenzial. Das Spiel ist auf ihn zugeschnitten. In der Saison 1996/97 gewinnt das Team mit Mourning und Tim Hardaway 61 Spiele, bevor man in den Playoffs gegen MJ und die Bulls verliert - willkommen im Klub. Er bleibt nicht immer von Verletzungen verschont, aber im Lockout-Jahr 1999 (20,1 Punkte, 11 Rebounds, 3,9 Blocks) und der Saison darauf (21,7 Punkte, 9,5 Rebounds, 3,7 Blocks) ist er in der Defensive einfach nur eine Pest. Zweimal wird er als Defensive Player oft he Year ausgezeichnet.
Die Zahlen zeigen es: Mournings Stats stimmen, sind sich Jahr für Jahr schon fast unheimlich ähnlich. Der Grund liegt in seiner Einstellung: Wer Tag für Tag alles gibt, der kann auch Tag für Tag seine Topleistung abrufen. Seine Mitspieler berichten, dass er sich in Timeouts häufig übergeben muss, so angespannt ist er. Im Jahr 2000 gewinnt "Zo" mit dem Team USA Gold in Sydney. Es ist der Höhepunkt seiner Karriere. Und dann geht es plötzlich bergab.
"Ich war ein kleiner Junge aus Virginia, der nicht wusste, wie wichtig Selbstlosigkeit wirklich ist - bis diese Selbstlosigkeit schließlich mein Leben rettete."
Nach der Rückkehr aus Australien wird beim eigentlich so vor Kraft strotzenden Mourning "fokale segmentale Glomerulosklerose" diagnostiziert, ein chronischer Nierenschaden. Auf einmal ist nichts mehr so, wie es war. Nach einer fünfmonatigen Pause kehrt er auf den Hardwood zurück, im Jahr darauf absolviert er sogar 75 Spiele, aber sein Zustand verschlechtert sich. Die Saison 2002/03 setzt er aus, sein Vertrag in Miami wird nicht mehr verlängert. "Ich habe acht Jahre gespielt und 20/10/3 aufgelegt. Das sind Zahlen für die Hall of Fame. Und dann auf einmal: Bumm."
Am 25. November 2003 beendet Mourning seine Karriere. Mit 33 vom eigenen Körper besiegt. Doch dann öffnet sich eine bisher unsichtbare Tür: Am gleichen Tag besucht sein Cousin Jason Cooper die gemeinsame Großmutter und trifft auf Mournings Vater, der ihm alles erzählt. Seit Jahrzehnten haben Cooper und Mourning keinen Kontakt, aber der frühere US-Marine lässt sich dennoch auf eine Spenderniere testen. Am 19. Dezember bekommt der NBA-Star eine neue Niere. Dabei werden die Bauchmuskeln normalerweise so verletzt, dass an Basketball nicht mehr zu denken ist. Aber die Chirurgen umschiffen dieses Hindernis in einer komplizierten Prozedur - für alle Fälle?
Zwei Tage später besucht ihn Pat Riley im Krankenhaus. "Ich bin unter Schmerzen langsam aufgestanden. Ich schaute ihn an und sagte: 'Ich komme zurück'", erinnert sich Mourning. Beide Männer weinen.
Am 1. März 2005, nach Kurzauftritten bei den Nets und den Raptors, unterschreibt Mourning zum zweiten Mal in Miami. Er kommt von der Bank, aber er ist immer noch effektiv, hat nichts verlernt. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt: In den NBA-Finals 2006 schlagen die Heat die Mavericks. Mourning verzeichnet im Entscheidungsspiel fünf Blocks. Endlich hat er seinen Ring.
"Ein Freund sagte einmal zu mir: Wenn Hindernisse auf dem Weg auftauchen, dann ändert man die Richtung - aber nicht die Entscheidung, das Ziel zu erreichen."
Als Alonzo Harding Mourning Junior seine Karriere am 22. Januar 2009 beendet - diesmal endgültig -, geht die Strahlkraft seine Karriere weit über 14311 Punkte, 7137 Rebounds und 2356 Blocks hinaus. Siebenmal All-Star, zweimal Defensive Player des Jahres, zwei All-NBA-Teams. Weltmeister und Olympiasieger. Wer ihn sieht, der sieht einen Mann, der immer wieder aufgestanden ist, allen Tragödien zum Trotz. "So viele haben mir gesagt, dass ich aufhören soll, dass ich aufgeben soll", blickt er zurück.
Er tat es nicht, und sieht sich heute als Botschafter von 20 Millionen Amerikanern, die an Nierenproblemen leiden. Das sei wichtiger als Basketball. In die Hall of Fame gehe er "auf den Schultern all der Engel, die ihm in seinem Leben begegnet sind". Er will zurückgeben, mit seiner Stiftung, mit seiner Arbeit mit Kindern.
Bei den Heat, für die er auch nach seiner aktiven Karriere arbeitet, ist er eine Legende. Einen Monat nach seinem Rücktritt ist sein Jersey das erste, das vom Team in den Ruhestand geschickt wird. "Er musste einfach der Erste sein", betont Riley. "Alonzo ist der ultimative Kämpfer. Niemand hat mehr Blut und Schweiß in diesen Sport investiert als er. Er hat alles gegeben." Und alles gewonnen.