Dieser Artikel erschien erstmals am 4. Januar 2014
Knapp 20.000 Zuschauer können einen schon nervös machen. Ganz zu schweigen von den Millionen an den Bildschirmen. Nathalie Gilberts kleiner Aussetzer ist also nachvollziehbar. Vor einem Playoffspiel der Portland Trail Blazers gegen Dallas sollte das Mädchen - wie es in den USA vor größeren und auch kleineren bis ganz kleinen Sportveranstaltungen nun mal üblich ist - die amerikanische Nationalhymne singen, vergaß vor lauter Aufregung zwischenzeitlich jedoch den Text.
Zum Glück erhielt sie jedoch Beistand. Äußerst prominenten Beistand sogar. Der erste Hänger war kaum einige Sekunden alt, da eilte ihr Maurice Cheeks, damals Coach der Blazers, zur Seite und half textlich auf die Sprünge. Der Rose Garden tobte, Gilbert brachte ihren Auftritt lautstark zu Ende und Cheeks kehrte zufrieden auf die Trainerbank zurück.
Mal wieder hatte der Coach sein ganz spezielles Gefühl für die Situation unter Beweis gestellt, mal wieder hatte Maurice Cheeks gezeigt, dass er es einfach versteht, andere anzuleiten. Dieses Talent brachte ihm nicht nur eine Meisterschaft ein, es machte aus Cheeks auch einen der meistgeschätzten Point Guards der jüngeren NBA-Historie.
Später Draft-Pick
Dabei begann seine Karriere nicht wie die eines potentiellen Hall-of-Famers. Allein die College-Wahl stand angesichts des damals weit weniger ausgeprägten Scouting-Systems im Wege - trotz starker Zahlen. Während seiner Zeit an der kleinen West Texas State legte Cheeks im Schnitt 16,8 Punkte auf und traf dazu 57 Prozent seiner Würfe aus dem Feld.
Beim Draft 1978 verstrich dennoch einige Zeit, ehe der Playmaker endlich seinen Namen vernahm. Bis weit in die zweite Runde hinein musste er sich sogar gedulden, erst dann schlugen die Philadelphia 76ers an 36. Stelle zu. Aber weshalb so spät? "Damals wurden die Schulen noch nicht so abgegrast, wie es heute die Regel ist. Deshalb wurde ein Junge wie Cheeks leicht übersehen", erklärt der damalige Sixers-Assistant Coach Jack McMahon.
"Als ich ihn das erste Mal für Texas State habe spielen sehen, zeigte er eigentlich nur seine Schnelligkeit und, dass er den Ball zu passen wusste. Obwohl er den Jumper ebenfalls im Repertoire hatte, ignorierte er ihn und versuchte stattdessen, seine Mitspieler in der Zone zu bedienen."
Erst ein lokaler Reporter erklärte McMahon, dass sein Coach das Shooting nicht als Teil von Cheeks' Job ansah. "Es existierte sogar eine Regel, nach der Jumper aus mehr als 4,5 Metern Entfernung verboten waren." Erst ein Postseason All-Star Game habe schlussendlich den Ausschlag gegeben, den Zweitrunden-Pick für den Einser zu verwenden. So lange sich die Sixers mit der Entscheidung Zeit ließen, so sehr waren sie am Ende jedoch von ihrem Rookie überzeugt.
Sixers von Cheeks überzeugt
Das Vertrauen ging sogar so weit, dass World B. Free, mit dem Philly 1977 noch die Finals erreicht hatte, noch vor Saisonbeginn nach San Diego zu den Clippers getradet wurde. Und Cheeks bewies schnell, weshalb. Gleich während seiner ersten Spielzeit absolvierte er alle 82 Partien und glänzte dazu durch starke Quoten (51 Prozent FG). Vor allem seine Kombination aus Uneigennützigkeit, herausragendem Spielverständnis und intensiver Defense sollte für die Sixers in den kommenden Jahren aber noch von unschätzbarem Wert sein.
Nach zwei Finals-Niederlagen 1980 und 1982 plante man in Philly anno 1983 nämlich den ganz großen Wurf. Um Lakers-Legende Kareem Abdul-Jabbar endlich einen ebenbürtigen Gegenpart in der Zone bieten zu können, wurde dazu Moses Malone aus Houston verpflichtet. Mit Julius Erving, Andrew Toney und Malone stand den Sixers damit ein unglaublich variables Offensivtrio zur Verfügung.
Nun haben in der Vergangenheit schon einige Teams ein solches besessen, Titel waren damit allerdings noch lange nicht garantiert. Bestes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit sind vielleicht die 2004er Lakers, die mit Gary Payton, Shaquille O'Neal, Karl Malone und Kobe Bryant gleich vier (zukünftige) Hall-of-Famer im Roster hatten. Am Ende unterlag Jerry Buss' kleines All-Star Team im Finale jedoch dem Kollektiv aus Detroit.
Dr. J: Cheeks, der stille Leader
Auch wenn die Charaktere natürlich nur schwer zu vergleichen sind, so hätten die 83er Sixers durchaus als Blaupause dienen können, hätte nicht Spiel für Spiel ein Floor General Namens Maurice Cheeks auf dem Court gestanden. Der Point Guard dirigierte Phillys Offense und wusste seine drei Scorer stets richtig einzusetzen.
Dr. J bezeichnete ihn einst sogar als stillen Leader des Teams. Große Worte waren tatsächlich nie Cheeks' Sache. Während Phillys Abschiedszeremonie für Erving in dessen letzter Saison ergriff er das Mikro, um im Namen des Teams einige Sätze an den Doctor zu richten. Wenige, leicht gestammelte Worte später war das Schauspiel beendet. "So viel hat Mo in den letzten neun Jahren nicht gesagt", gab Erving im Anschluss lachend zum Besten.
Uneigennütziger Teamplayer
So ruhig Cheeks abseits des Feldes auftrat, so zurückhaltend ging er auch auf dem Court zu Werke. Das eigene Spiel stellte er stets hintenan, gab den Sixers, was sie benötigten. Durchlitt beispielweise Toney eine Off-Night, so sprang er als Scorer ein, meist übernahm er jedoch die Rolle des stillen Organisators. Insgesamt 7.392 Assists verteilte Cheeks so während seiner 15-jährigen Karriere. Lediglich zwölf Spieler setzten ihre Teamkollegen in der Liga-Geschichte häufiger ein.
Und als wäre all das nicht genug, erledigte der Point Guard auch seine Aufgaben am hinteren Ende des Courts mehr als respektabel und wurde vier Mal ins All-Defensive Team berufen. "Little Mo", wie Erving seinen Einser nach "Big Mo" Malones Ankunft nannte, hielt Phillys Defense zusammen und glänzte obendrein als äußerst effektiver Balldieb (2.310 Karriere-Steals, Rang fünf hinter John Stockton, Jason Kidd, Michael Jordan und Gary Payton).
So marschierten die Sixers auch dank Cheeks durch die Saison 1982/83, verloren in den Playoffs lediglich ein Spiel und sweepten die großen Lakers in den Finals. Einen Großteil der Anerkennung teilten - mitunter sicherlich gerechtfertigt - Erving, Malone und Toney untereinander auf, Cheeks stand ein wenig in der zweiten Reihe.
Schon als Spieler Gedanken eines Coaches
Lud Coach Billy Cunningham zum Training, war es mit Zurückhaltung und Hintenanstellen jedoch vorbei. Bereits während seiner aktiven Karriere dachte Cheeks offenbar wie ein Coach, wollte Plays auch im Training ordentlich gelaufen sehen und legte damit den Grundstein für seinen zweiten Berufsweg - welchen er auch beinahe direkt nach dem Karriereende anging.
1994, gerade ein Jahr nach seinem letzten Spiel für die New Jersey Nets, nahm der vierfache All Star seinen ersten Trainerjob an. Zwar nur als Assistent, dafür jedoch bei "seinen" Sixers. Nach sieben Lehrjahren unter John Lucas, Johnny Davis und dem legendären Larry Brown folgte 2001 bei den Blazers schließlich die erste Anstellung als Head Coach. Seither trainierte Cheeks die Sixers, assistierte bei OKC und wechselte zu den Pistons.
Dort klappte es jedoch nicht wie gewünscht, nach nur 50 Spielen wurde das Kapitel von den Verantwortlichen wieder geschlossen. Es folgte die Rückkehr ins zweite Glied zu den Thunder, eine Aufgabe wie maßgeschneidert für Cheeks. OKC besitzt auch jetzt noch jede Menge junge Spieler, die nur auf Ratschläge der Legende warten. Dass Cheeks jederzeit helfen will, sollte bekannt sein. Nathalie Gilbert wird das sicherlich bestätigen.