Dieser Artikel erschien erstmals am 25.10.2014. Alle weiteren Geschichten zu den Legenden der NBA findet Ihr in unserem Archiv.
Am Ende haben sie doch mehr gemeinsam als auf den ersten Blick angenommen. Steve Nash, dieser filigrane Point Guard, dieser Virtuose am Ball und die elegante Titelfigur des Romans von F. Scott Fitzgerald. Soziales Gewissen. Leidenschaft. Das Überkommen widrigster Umstände.
Und so beschreiben Namen die Karriere von Steve Nash am besten. Jermaine O'Neal. Stephon Marbury. Allen Iverson. Antoine Walker. Ray Allen. Kobe Bryant.
Alle mit Nash zusammen in die NBA gekommen, im einem der besten Drafts der Ligageschichte 1996. Alle mit besten Veranlagungen gesegnet, unendlich viel Athletik, Schnelligkeit.
Steve Nash überdauert (fast) alle 96er
Doch dieser Steve Nash hat fast alle von ihnen übertroffen. Kobe Bryant spielte seit jeher in einer eigenen Klasse, Ray Allen wäre vermutlich noch heute, im gehobenen Alter von 45 Jahren, ein gefürchteter Dreierschütze.
Während aber O'Neal, "The Answer", Marbury oder auch Walker mittlerweile entweder ihrer einstigen Form hinterherlaufen, im sang- und klanglosen Ruhestand weilen oder im Basketball-Exil ihre letzten Körbe werfen, hat Nash sie alle überdauert.
Er, dessen späterer Karriereverlauf an jenem 26. Juni 1996 von allen Draftees, die sich auf das Bild mit Liga-Boss David Stern zwängen durften/mussten, wohl am unwahrscheinlichsten schien (Vitaly Potapenko kehren wir jetzt einfach mal unter den Tisch).
Idole aus Fußball und Eishockey
Dieser Steven John Nash wächst im kanadischen Victoria in British Columbia auf, im Commonwealth-Staat kommt er fast zwangsläufig erst zu Fußball und Eishockey, übt sich mit seinem jüngeren Bruder Martin.
"Natürlich war Wayne Gretzky eines meiner ersten Idole" sagt er später, "ich habe Diego Maradona geliebt und alle Spieler meines Lieblingsklubs Tottenham Hotspur." Im Teenageralter erst findet Nash zum Basketball. "Ich war sofort fasziniert von Magic Johnson, von Isiah Thomas, und ich habe versucht, mich an ihnen zu orientieren."
Besonders Vater John, selbst Profi-Fußballer, hat in dieser Zeit großen Einfluss auf den jungen Steve, der im südafrikanischen Johannesburg auf die Welt kam, wo Papa gerade spielte. Er gibt ihm wichtige Ratschläge, hilft seinem Sprössling auf den Weg, ohne ihn in eine Richtung zu drängen.
"Ich wusste auch selbst, dass ich nicht der größte, schnellste, sprungkräftigste Spieler werden würde", erinnert sich Nash. "Mein Vater wusste genau, wie man aus den gegebenen Möglichkeiten das Beste machen kann: Ein Trick hier, ein Kniff dort - er hatte als Sportler den Blick, Situationen zu antizipieren, das war ein großer Vorteil für mich und auch für meinen Bruder. Er hat uns nicht für tolle Tore gelobt, sondern für feine Pässe. Nicht viele Kinder haben dieses Glück."
Alptraum in Phoenix
Letztlich folgt aber Martin in die Fußstapfen des Vaters, absolviert bis 2010 sogar 38 Länderspiele für Kanadas Fußballnationalmannschaft. Steve dagegen - trotz diverser Schulauszeichnungen im Fußball - entscheidet sich gegen den Rasensport, die Liebe zum neu gefundenen Basketball ist einfach zu groß.
Er arbeitet wie ein Besessener, wird zum Star an der St. Michaels University School, im in Kanada unpopulären Basketball. Als klar wird, dass der Weg des Talents in der Heimat am Ende ist, kommt 1992 der Schritt an die kleine Santa Clara University im Herzen Kaliforniens.
Der damalige Head Coach der Broncos, Dick Davey, sah als einziger das Potenzial im 18-Jährigen. "Ich hatte furchtbare Angst, dass uns noch eine der großen Unis diesen Rohdiamanten wegschnappen würde", erinnert sich Davey. Doch Santa Clara blieb einziger Interessent.
Steve Nash: Buhrufe beim Draft
Er feiert Achtungserfolge mit dem Team, zeichnet sich als Scorer und Passer aus. Spiele mit der kanadischen Nationalmannschaft und Workouts mit späteren Kollegen wie Jason Kidd formen den "Rohdiamanten" weiter. 1996 meldet er sich zum Draft, als Santa Claras All-Time-Leader in Assists, Freiwurfquote und getroffenen Dreiern.
Die Phoenix Suns wählen ihn an 15. Stelle aus. Was ein vorläufiger Höhepunkt der jungen Karriere sein sollte, wird von den Suns-Fans zum Spießrutenlauf umgewandelt. Ein Kanadier, noch dazu von einem relativ unbekannten College, ohne große Meriten?
Schon bei der Draft-Veranstaltung prasseln Buhrufe und Pfiffe auf den bemitleidenswerten Youngster ein. Der Neuling bekommt auch in der Folge kein Bein auf den Boden, spielt hinter Kevin Johnson, Sam Cassell und später Kidd bestenfalls eine Nebenrolle.
Durchbruch mit Dirk
Namen, die er Jahre später übertreffen sollte. 3,3 Punkte und 2,1 Assists in nur 10,5 Minuten in Jahr eins, im zweiten steigern sich die Zahlen auf immerhin 9,1 Punkte und 3,4 Vorlagen, Nash steht nun schon knapp 22 Minuten im Schnitt auf dem Feld.
Trotzdem: Phoenix schien langfristig eine Sackgasse. Ein Tapetenwechsel soll die Karriere wieder auf Kurs bringen. 1998 wird Nash nach Dallas getradet - und hier startet er durch.
Bei den Dallas Mavericks trifft Nash auf einen weiteren Namen, der seine Laufbahn prägen sollte. Ein junger deutscher Forward namens Dirk Nowitzki wurde gerade gedraftet - die enge Freundschaft der beiden hält bis heute. Gern und viel zitiert ist Nowitzkis Beschreibung der Bande: "Es passt einfach zwischen uns, wir hätten uns auch angefreundet, wenn wir uns in einem Supermarkt kennengelernt hätten."
Auch in Texas lässt der ganz große Auftritt jedoch zunächst auf sich warten, das Team verpasst in seinen ersten zwei Jahren die Playoffs. Nashs Leistungen stagnieren, böse Erinnerungen an Phoenix werden wach, als auch die Mavs-Fans beginnen, den "stets bemühten" Playmaker auszubuhen - 8,6 Zähler, 2,2 Rebounds und 4,9 Assists im zweiten Jahr rissen keine Bäume aus.
Steve Nash führt Mavs in die Playoffs
Doch dann zeigt sich: Nash ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Mavs, mit ihrem neuen Besitzer Mark Cuban, dem immer besser werdenden Dirk, dem starken Michael Finley und Nash sind die perfekte Erfolgskonstellation. Dazu steht mit Don Nelson ein alter Trainerfuchs an der Seitenlinie, dessen Philosophie dem stürmischen Aufbau optimal entgegenkommt.
Nash blüht in der Saison 2000/2001 auf, startet in allen seinen 70 Spielen, steigert seinen Punkteschnitt auf 15,6 und verteilt dazu 7,3 Assists - unzählige davon auf seinen Lieblingsmitspieler mit der Nummer 41. Lohn der merklichen Steigerung: die erste Playoff-Teilnahme für Dallas seit 1990.
Zwar ist dann in den Conference Semifinals gegen die San Antonio Spurs Schluss (1-4 in der Serie), doch das Ausrufezeichen war gesetzt, auch für die kommenden Jahre. Das Trio begeistert nicht nur deutsche Fans, die sich die Nächte um die Ohren schlagen.
Steve Nash: Motor der Mavericks
Plötzlich zählt Dallas zu den besten Teams der Liga, offensivstark, tief besetzt, unterhaltsam, spektakulär. Nash wächst spielerisch immer weiter über sich hinaus, ist gleichzeitig umsichtiger Dirigent und Turbomotor der Offense. Schon im Folgejahr gibt es ein großes Lob: die Nominierung zum All-Star Game - die erste von insgesamt acht. Nash, der Starspieler, setzt zunehmend Zeichen - auch außerhalb des Platzes.
Der Politikinteressierte nutzt über die Jahre seine Popularität für soziale und karitative Zwecke. "Steve ist einfach nur ein ganz normaler Typ, der eben sehr, sehr gut in seinem Job ist," sagte Mavs-Assistant-Coach Del Harris einmal - und verkannte mit seinem Lob für den Charakter des 1,91-Meter-Mannes aber den Steve Nash hinter dem Basketballer.
Er engagiert sich für Umweltschutz und plant mit seinem Schuhsponsor einen ökologisch nachhaltigen Basketballschuh zu einem günstigen Preis. Er bildet den Gegenentwurf zum juwelenbehangenen, gesellschaftspolitisch unbedarften Stereotyp des NBA-Spielers.
Nash erlaubt sich Meinungen. 2003 trägt er während des All-Star Weekends in Atlanta ein T-Shirt mit dem Aufdruck "No War. Shoot for Peace!" Der Irak-Krieg hatte gerade begonnen. "Es ist beschämend, dass wir auch im 21. Jahrhundert noch immer mit Waffengewalt Konflikte lösen," erklärt er.