Demontiert von Hitlers Schergen

Von Maximilian Schmeckel
Österreichs Nationalteam trat bei der WM 1934 in Italien an
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Der introvertierte Superstar wurde alsbald zur Marke und zum Vorreiter heutiger globaler Vermarktung von CR7 oder David Beckham. Uhren, Bälle, Kaffee, Lebensmittel und Anzüge. Sindelar war begehrt. Sogar in einem Spielfilm wirkte er mit. Dennoch wurde er 1928 nach einer Niederlage auf von Schneematsch deformiertem Untergrund gegen eine süddeutsche Auswahl von Meisl für 14 Spiele nicht mehr aufgestellt, weil seine Dribblings und Kurzpässe zu Ballverlusten geführt hatten.

Nach medialem Druck änderte Meisl seine Meinung 1931 und ebnete der Legende den Weg in die Annalen. Im Nationalteam lief Sindelar nominell als Mittelstürmer auf, in der Realität interpretierte der Papierne sein Spiel als Mixtur aus feinem, variablem Spielmacher und in Räume stoßendem Torjäger. "Wenn er nach links spielen wollte, hat er nach rechts angedeutet. Er hat immer das Gegenteil gemacht, von dem was der Gegner vermutet hat", beschreibt Ernst Reitermaier den Star.

Der Anfang vom Ende

Es ist schwierig den Beginn des Falls des Wunderteams zu finden, sowieso war es eher ein schleichender Niedergang als ein rauschender Fall. Er beginnt wohl mit dem 4:0-Sieg Österreichs gegen Frankreich in Paris. Nach dem Spiel wechselte Rudolf Hiden für 80.000 Francs zum Pariser FC und Hogan.

Hiden spielte nie wieder für Österreich, da auf Legionäre meist verzichtet wurde. Weitere Spieler verließen Österreich, da sie früh die sich anbahnende Katastrophe Nationalsozialismus erkannten. Dennoch überzeugte Österreich bei der WM 1934 in Italien.

Trotz spielerischer Klasse schied man im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Italien aus. Mussolini soll den schwedischen Schiedsrichter zuvor zur Seite genommen haben. Beim 0:1 übersah er dann ein klares Foul an Österreichs Torwart.

"Zurück zum deutschen Mutterlande"

Es kam das Jahr 1937, der Beginn der endgültigen Demontage des Wunderteams. In Deutschland regierte seit 1933 die NSDAP mit ihrem Führer Adolf Hitler. Hitler, bis 1925 österreichischer Staatsbürger, hatte bereits im selben Jahr in Mein Kampf geschrieben: "Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande."

1938 beendete er mit dem Anschluss Österreichs, einer De-facto-Annektion, den aus seiner Sicht jahrelangen Volksverrat des Nachbarn und vereinigte die Ostmark mit dem großdeutschen Reich. Dann ging alles ganz schnell. Das Fußballprofitum in Österreich wurde abgeschafft und die Nazi-Funktionäre bastelten an einem Team, das stolz unter einem Banner große Triumphe erreichen sollte

Eine zentrale Rolle kam dabei einem Mann zu, der heute im kulturellen Gedächtnis des Fußballs als einer der größten Helden überhaupt zelebriert wird: Sepp Herberger.

Zentrum der Begierde: Matthias Sindelar

Als Reichstrainer kam ihm nach dem Rücktritt von Otto Nerz die Aufgabe zu, die Spieler der Ostmark mit denen des deutschen Altreichs zu vereinen. Sechs Spieler des Altreichs zusammen mit fünf Mark-Akteuren so lautete die Vorgabe, die Hitler gemeinsam mit seinen Ministern und Beratern ausgearbeitet hatte. Zentrum der Begierde: Der inzwischen 35-jährige, aber noch immer geniale Matthias Sindelar.

Der Fall Sindelar zeigt sehr gut die Hin-und-her-Gerissenheit eigentlicher Nazi-Gegner. Sindelar lehnte NS-Gedankengut ab und erlag dennoch dem Werben der Partei. Diese ermöglichte ihm neben einer Zahlung in hohem fünfstelligen Bereich, die Erfüllung eines Traums: die Übernahme des Café Annahof in der Laxenburgerstraße 16.

Der Vorbesitzer des bereits arisierten Betriebs wurde später im KZ Theresienstadt ermordet - ein dunkler Fleck im so rein erscheinenden Lebenslauf des Papiernen. Zur Eröffnung kamen hohe Parteibonzen, die nach den Zuwendungen jetzt erwarten, dass Sindelar seine Goldfüße in den Dienst des Reiches stellen würde.

Die Klauen des Regimes

Zunächst kam es zum legendären Vereinigungsspiel zwischen Ostmark und Altreich. Ein letztes Duell, ehe die Akteure im Anschluss geeinigt nach Ruhm streben sollen.

Reichssportführer Von Tschammer gab vor dem Spiel die Devise aus, dass das Spiel auf jeden Fall Remis enden müsse. Nicht mit Sindelar. Provokant trabte er vor der Bonzentribüne auf und ab und vergab absichtlich beste Torchancen. Schließlich erzielt er unter dem ohrenbetäubenden Jubel des Wiener Publikums das 1:0, die Ostmark gewann schließlich mit 2:0. Hitler tobte, dennoch wusste er um den Wert von Sindelar.

Herberger begann in Duisburg mit der Vorbereitung auf die WM 1938 in Frankreich. Neun Österreicher waren im 22-Mann-Kader. Sindelar sagte ab, er sollte wegen vieler Ausreden nie für Deutschland spielen. Sindelar als Anti-NS-Held? Wohl kaum, der ihn zu ebenjener Heldenfigur stilisierende Comic "Abseits: Ein Fußballer sagt Nein" ist Blödsinn.

Sindelar wusste sehr gut wie weit er gehen konnte. So traf er fernab des Rasens diverse Arrangements mit der Partei. Rückgrat bewies er dennoch. Wie immer lag die Wahrheit wie immer irgendwo in der Mitte.

Österreicher laufen erstmals für das Deutsche Reich auf

Am 14. Mai 1938 kam es im Berliner Olympiastadion zur Premiere: Mit Johann Pesser und Wilhelm Hahnemann liefen erstmals zwei Österreicher für das Deutsche Reich auf, beide waren Post-Wunderteam-Akteure. Herberger kämpfte um die Symbiose des Scheiberlns und der Breslau-Elf. Die Spieler lehnten sich ab und auch die Stile konterkarierten das Vorhaben einer Einheit.

Die Österreicher sahen die Deutschen als reine Leichtathleten ohne Technik und die Deutschen die Österreicher als faule, überbezahlte Schönwetterspieler. 1938 fuhr Deutschland zur WM nach Frankreich. Kapitän war der Wiener Johann Mock, Mitglied des Wunderteams.

Im ersten Spiel, dem Achtelfinale, wurde der Hitlergruß der Reichsspieler im Pariser Prinzenpark mit einem gellenden Pfeifkonzert quittiert. Nach dem 1:1 im ersten Spiel, unterlag man nach einer 2:0-Führung der Schweiz mit 2:4 im Wiederholungsspiel. Zum Sündenbock der Reichsführung um Hitler wird Pesser, der des Feldes verwiesen worden war.

Niemals vergessen!

Die Biografien des Akteure des Wunderteams sind sehr verschieden. Torhüter Hiden spielte seit 1933 in Frankreich und lehnte den Nationalsozialismus gänzlich ab. Karl Sesta spielte 1941 und 1942 dreimal für Deutschland. Angeblich wurde er wegen einer parteifeindlichen Äußerung 1938 nicht zur WM berufen.

Walter Nausch leistete aktiv Widerstand gegen die Nazis und floh 1938 in die Schweiz. Georg Braun kämpfte an der Ostfront und war bis 1952 in sowjetischer Gefangenschaft. Johann "Hans" Mock war 1938 Kapitän des Reiches und wurde in einem Briefwechsel als "echter Reichsbürger" betitelt. Karl Gall wurde 1943 durch eine sowjetische Mine getötet. Zischek und Vogl wurden als Nicht-Arier vom Kader ausgeschlossen. Sie spielten nie wieder für ein Land Fußball.

Und Sindelar? Im Bett seiner Freundin Camilla Castagnola starb der der Papierne 1939 wie seine Freundin. Ein Unfall? Doppelsuizid? Mord? Wilde Spekulationen schossen umher. Die Polizei stellte die Ermittlungen bald ein: Befehl von der Regime-Führung. Die instrumentalisierte Sindelar als deutschen Helden und stellte ihn in eine Reihe arischer Ikonen.

Gerüchte hielten sich, Sindelars Aussage ein Jahr zuvor, habe der Parteispitze missfallen: Nachdem Sindelars Klub Austria Wien arisiert wurde und in SC Ostmark Wien umbenannt wurde, floh ein Großteil der jüdischen Spieler und Funktionäre.

Julius Hirsch als Symbolfigur

Nicht jedoch Präsident Dr. Michl Schwarz. Der wurde gedemütigt entlassen. Fortan wurde es verboten ihn auch nur zu grüßen. Sindelar sagte daraufhin zum Chef seines Vereins: "I, Herr Doktor, werd Ihna oba immer griaßn".

Der Vater des Wunderteams Hugo Meisl war auch Jude, er starb 1937 an Herzversagen. Ein Jahr bevor sein Österreich Teil des Nazi-Reichs wurde. Es wurde einem der größten Sport-Funktionäre Österreichs so möglich ein Martyrium erspart. Sechs Millionen Juden wurden vom NS-Regime in Massenvernichtungsanlagen ermordet.

Halt wurde auch nicht vor dem Fußball gemacht. Der deutsche jüdische Nationalspieler Julius Hirsch steht für tausende, die später von dem Land getötet wurden, für das sie alles gegeben hatten. Politik und Fußball, das hat nichts miteinander zu tun?

Blödsinn! Der österreichische Fußball und sein Wunderteam, das von zahlreichen Juden mit kreiert worden war, wurde in den 30ern durch Hitler und sein Regime demontiert. Zahlreiche Protagonisten der österreichischen Fußball-Branche wurden ermordet, verschleppt oder instrumentalisiert. Das ist etwas, das niemals vergessen werden sollte.

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