Mit der Goldmedaille um den Hals kämpfte Lukas Märtens gegen die Tränen. Pustete durch. Einmal. Zweimal. Dann brach es aus ihm heraus. Bei der Nationalhymne in der La Defense Arena weinte der erste deutsche Becken-Olympiasieger seit 36 Jahren Tränen des Glücks.
"Es hat alles gekribbelt, da kommen einem so viele Gedanken, Gefühle und Personen in den Kopf. Das ist wunderschön", schwärmte er in der ARD vom Moment auf dem Podest.
Über 400 m Freistil hatte Märtens die erste deutsche Medaille in Paris gewonnen, im Alter von 22 Jahren sicherte er sich nach drei WM-Medaillen und EM-Gold 2022 den größten Titel seiner noch jungen Karriere. In 3:41,78 Minuten schlug er vor dem Australier Elijah Winnington und Kim Woomin aus Südkorea an.
17.000 Zuschauer hatten das Feld nach vorne gepeitscht, eine einmalige Kulisse für die Schwimmer. An den 15 Jahre alten Weltrekord von Paul Biedermann (3:40,07) im Hightech-Anzug kam Märtens zwar nicht heran, aber das war an diesem Abend gleichgültig. "Viele haben erwartet, dass der fällt", sagte Märtens. "Das ist mir scheißegal, ob der jetzt gefallen ist oder nicht."
Biedermanns Zeit habe "irgendwo im Hinterkopf rumgespukt", sagte Märtens, "aber Ziel war diese Medaille. Wenn ich mit Bronze nach Hause gegangen wäre, wäre ich auch super glücklich gewesen. An Gold habe ich auch ein, zwei Mal gedacht, nur geliebäugelt - aber jetzt ist es tatsächlich Wahrheit."
Erste Goldmedaille im Becken seit "Albatros" Michael Groß
Schon im April bei den deutschen Meisterschaften hatte Märtens mit der besten Zeit auf dieser Strecke seit zwölf Jahren am Weltrekord gekratzt. Damit steht, wie er damals in Berlin schon scherzte, der Landesrekord von Sachsen-Anhalt immer noch.
Isabel Gose schwamm zehn Minuten später ebenfalls über 400 m Freistil in deutschem Rekord auf Platz fünf und schwärmte im ARD-Interview von Märtens: "Er hat es sich so verdient. Er kann so stolz auf sich sein. Er macht im Training so krasse Sachen." Auch ihr kamen die Tränen.
Märtens beendete eine lange Durststrecke für die deutschen Beckenschwimmer: Seit "Albatros" Michael Groß 1988 hatte niemand mehr olympisches Gold gewonnen. Florian Wellbrock, in Tokio Olympiasieger im Freiwasser, hatte damals als Dritter über 1500 m Freistil dieses Ziel noch verpasst.
Märtens: "Wir haben mich ganz gut hinbekommen"
Schon im Vorlauf hatte Märtens, Trainingskollege von Freiwasser-Olympiasieger Florian Wellbrock, seine aktuelle Stärke demonstriert und souverän als Schnellster den Endlauf erreicht.
Seine rasante Entwicklung ist umso beeindruckender, weil ihn in dieser Saison immer gesundheitliche Probleme zu Pausen zwangen.
"Wir haben mich ganz gut hinbekommen, unter den ganzen Umständen", sagte Märtens, dem mehrere Monate Training fehlen: "Perfekt ist der Zustand nie, trotzdem bin ich super drauf, gesundheitlich habe ich das alles gut in den Griff bekommen."
Wellbrock: "Seine Entwicklung war der Hammer"
Der Frankfurter Oliver Klemet, der ebenfalls in Magdeburg bei Bundestrainer Bernd Berkhahn trainiert, kam auf Platz Sieben. Der 22-Jährige startet in Paris noch über 1500 m und im Freiwasser.
Für Märtens geht das olympische Programm schon am Sonntagmorgen mit dem Vorlauf über 200 m weiter. Auch auf der halben Distanz hat er als Zweiter der Weltjahresbestenliste Medaillenchancen. Außerdem stehen die 4x200-Freistilstaffel und die 200 m Rücken an.
"Seine Entwicklung war der Hammer", schwärmte Wellbrock über Märtens, dessen Entwicklung er jeden Tag im Training verfolgen konnte: "Es ist schön mitzuerleben, wie da neben einem so ein Topstar heranwächst."
Bei seiner Olympiapremiere vor drei Jahren in Tokio, als er mit der besten Meldezeit angereist war, schied er als Zwölfter schon im Vorlauf aus. Seitdem hat er sich zu einer festen Größe über 400 m entwickelt: Von den letzten drei Weltmeisterschaften brachte er einmal Silber und zweimal Bronze mit.