Olympia kompakt: Musketiere, frostige Ladys und Rührei mit Reis

Von Stefan Petri
Olympiasiegerin Elaine Thomson-Herah (r.) und die geschlagene Shelly-Ann Fraser-Pryce.
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Die Medaillenausbeute für Deutschland fällt am Samstag ziemlich mager aus, nur die Judoka bieten einen Grund zum Jubeln. Aber es muss ja auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen sein - auch nicht nach einem Dreifachsieg, wie die Jamaikanerinnen zeigen. Außerdem: unterirdische Unterkünfte, Sprungwunder - und der Djoker als schlechter Verlierer? Olympia kompakt.

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"Sie ist überhaupt nicht in den Rhythmus gekommen, das ist besonders ärgerlich, weil die Medaille - anders als erwartet - ja greifbar war." - Bundestrainer Bernd Berkhahn über Schwimmerin Sarah Köhler.

"Das lief wirklich nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Es hat einfach nicht zusammengepasst. Irgendwie war der Wurm drin." - Diskuswerfer Daniel Jasinski.

"Der Lauf war technisch nicht so gut. Ich bin schon irgendwie zufrieden, aber das Finale war greifbar." - 100-m-Sprinterin Alexandra Burghardt.

Olympische Spiele sind manchmal eine extrem unbarmherzige Angelegenheit. Oft hat man nur eine einzige Chance im Vorlauf, manchmal immerhin unglaubliche drei Versuche in der Quali oder ähnliches. Einmal übertreten, einmal gezuckt, einmal abgerutscht, einmal von der Sonne geblendet oder was auch immer, und es heißt: "Vielen Dank auch fürs Mitmachen, wir sehen uns in vier Jahren. Bitte denken Sie nicht darüber nach, dass das vielleicht Ihre letzte Möglichkeit war, eine Medaille zu gewinnen und in Ihrem Sport überhaupt mal etwas zu verdienen. Der Nächste, bitte."

Die überwältigende Mehrheit der Athleten fährt nämlich nicht in Glanz und Gloria gesonnt gen Heimat, sondern fragt sich - so wie die drei oben genannten Beispiele, alle vom heutigen Samstag - warum es diesmal nicht geklappt hat. Warum die eigene Leistung im entscheidenden Moment nicht abgerufen werden konnte. Obwohl ja viel mehr drin gewesen wäre. Da wird das Olympische Freudenfest sehr schnell zur Trauerfeier. Gedanken zum Sonntag.

Immerhin: Ein bisschen was gab es aus deutscher Sicht heute doch zu Feiern. Die Judoka werden sich nach der Medaille im Mixed-Team so schnell nicht von Wolke sieben verabschieden. Reiten können wir immer noch und die Basketballer stehen im Viertelfinale. Auf Gold warten wir aber mittlerweile schon drei Tage. Muss es morgen eben Alexander Zverev richten.

Daniel Jasinski gewann in Rio Bronze am Diskus. In Tokio hatte er mit der Medaillenvergabe nichts zu tun.
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Daniel Jasinski gewann in Rio Bronze am Diskus. In Tokio hatte er mit der Medaillenvergabe nichts zu tun.

Die wichtigsten Entscheidungen des Tages (Vorschau auf Tag 10)

Was sonst noch wichtig war:

Judo: "Alle für einen, einer für alle. Genau so haben wir heute gekämpft, das muss man uns erstmal nachmachen." So kommentierte Sebastian Seidl die überragende Bronzemedaille der deutschen gemischten Judo-Truppe - beinahe hätten sie sogar um Gold gekämpft. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich Die drei Musketiere von Alexandre Dumas - inklusive der zwei Fortsetzungen - gelesen habe, aber ein paar Parallelen fallen mir bestimmt ein.

Karl-Richard Frey warf Seidl vor Freude krachend auf den Rücken? Ganz klar Porthos, Partylöwe und Muskelpaket. "Wir haben dank unseres Teamspirit diese Medaille geholt", sagte Anna-Maria Wagner? Spirit? Dann nimmt sie die Rolle des Musketiers/Geistlichen Aramis ein. Eduard Trippel ging mit einer Schulterverletzung ins Gefecht - genau wie Athos vor seinem ersten angestrebten Duell mit D'Artagnan. Und den übernimmt dann Seidl himself. "Den Tag wird keiner von uns in seinem Leben mehr vergessen." Genau wie bei D'Artagnans Eintritt in die Musketiergarde.

Hand aufs Herz: Waren die obigen Absätze "am Ende des Tages" eigentlich völlig sinnlos? Und ob. Aber in dieser Hinsicht bin ich Kardinal Richelieu: Wer soll mich aufhalten? Musik ab!

Tennis: Gefühlt habe ich in den letzten Tagen viel zu Novak Djokovic geschrieben. Gefühlt hat der aber auch alle zwei Stunden gespielt. Da er jetzt im Einzel und im Mixed endgültig ausgeschieden ist, soll es nun das endgültig letzte Mal sein. Aber seine Entscheidung, im Mixed-Spiel um Bronze nicht anzutreten, muss ich hier noch schnell verteidigen. Es war auf den ersten Blick schon "verdächtig", dass er das Einzel um Bronze knapp verlor und dann plötzlich an der Schulter verletzt war. Auf der anderen Seite: Wenn es nicht mehr geht, dann geht es eben nicht mehr. Und beim Djoker ging absolut nichts mehr.

Die Hitze und Feuchtigkeit in Tokio waren einfach nur unmenschlich. "Ich kann das Match beenden, aber ich kann auch sterben", sagte Daniil Medvedev zu seinem Stuhlschiedsrichter, Paula Badosa wurde im Rollstuhl vom Court gebracht. Djokovic hatte vor dem Mixed drei Matches und über acht Sätze in gut 24 Stunden gespielt. Irgendwann ist Schicht im Schacht. Man sollte deshalb nicht zu vorschnell urteilen, dass ihm die Entscheidung leichtgefallen sei: "Nina (Stojanovic) tut mir leid, weil wir nicht um eine Medaille kämpfen konnten, aber mein Körper sagte 'genug'. Ich habe mit Medikamenten gespielt, mit abnormalen Schmerzen und Erschöpfung. Ich habe alles gegeben."

So. Von jetzt an nur noch Zverev.

Leichtathletik: Warum niemand darauf gekommen ist, die Temperatur auf den Tennisplätzen durch Elaine Thompson-Herah, Shelly-Ann Fraser-Pryce und Shericka Jackson zu drücken, ist im Nachhinein ein großes Rätsel. Wo die drei Jamaikanerinnen aufeinander treffen, bricht nämlich eine veritable Eiszeit aus. Sensationeller Dreifachsieg im 100-m-Sprint, doch statt sich miteinander zu freuen, würdigten Fraser-Pryce und Jackson die Siegerin keines Blickes. Ein Siegerfoto mit gezwungenem Lächeln, mehr war nicht drin. Okay, ihr seid natürlich auch Konkurrentinnen, aber das war schon mehr als auffällig. "Einer für alle und alle für einen" kennen die Jamaikanerinnen definitiv nur aus dem Fernsehen.

Man vergleiche das mal mit den Schweden Daniel Stahl und Simon Pettersson, die ein paar Minuten zuvor einen schwedischen Doppelsieg im Diskus eingetütet hatten. Die nahmen sich fast huckepack, so ausgelassen tollten sie nach dem Triumph herum.

Frühstück des Tages: Rührei mit Reis oder Brot

Mehr gibt's nämlich nicht für die deutschen Springreiter in ihrem Hotel. "Wir sind nicht wegen des Hotels oder wegen des Essens hier, und ich möchte nicht jammern", sagt Bundestrainer Otto Becker, was ja aller Ehren wert ist. Aber trotzdem irgendwie ... karg. Überhaupt sind die Behausungen in Japan für viele Sportler ein Schock. "Einkaserniert" fühlt sich Bahnrad-Weltmeisterin Emma Hinze, "die Zimmer sind klein, die Unterkünfte unterirdisch", sagte Teamkollege Maximilian Levy. Hey, so geht es vielen der knapp 14 Millionen Einwohner Tokios schon ihr ganzes Leben. Viel Platz ist eben selten.

Inselbegabung des Tages: Jamaika

Zehn der letzten zwölf Goldmedaillen über die 100 Meter (Männer und Frauen) hat die Karibik-Insel eingesackt, der historische "Rivale" USA ist mittlerweile nur noch der kleine Bruder, den man in den Schwitzkasten nimmt und mit ihm das "Warum haust du dich denn selbst?"-Spiel spielt. Die 200 Meter der Frauen sollten übrigens auch an Fraser-Pryce oder Thompson-Herah gehen.

Doppelschlag des Tages: JuVaughn Harrison

22 Jahre alt ist das Sprungwunder aus Huntsville, Alabama. Am Samstag qualifizierte sich Harrison mit einem Satz über 8,15 Meter für das Weitsprung-Finale. An sich jetzt nichts Ungewöhnliches. Hätte er sich nicht schon am Freitag für das Finale der Hochspringer qualifiziert! Man kann kaum ausdrücken, wie verrückt das ist, bis auf das "Sprung" im Namen haben die beiden Disziplinen nämlich herzlich wenig gemeinsam. Das ist nicht wie die 100 und 200 Meter, oder im Freistil und Delphin gut sein. Wenn man seine Starts so sieht: Wahrscheinlich hat Caeleb Dressel mit Harrison trainiert.

Zwerg des Tages: San Marino

Na gut, eigentlich Alessandra Perilli. Die holte nämlich nach Bronze am Samstag auch noch Silber im Trap ( oder auch "Tontaubenschießen"). Die einzigen beiden Medaillen, die San Marino (34.000 Einwohner) je gewonnen hat. Die Enklave ist auf die Bevölkerung bezogen das kleinste Land, das je eine Medaille gewonnen hat. Und wenn Nauru (11.000), Tuvalu (12.000) oder gar der Vatikan (800) nicht plötzlich im 7er-Rugby oder Speedklettern aufdrehen, wird das auch eine ganze Weile so bleiben.

Grafik des Tages: 100-m-Sprint

Schaut Euch das an: So habt Ihr ein Sprintrennen wahrscheinlich noch nie aufbereitet gesehen. Ich zumindest nicht. Das muss Pflicht werden!

Sprüche des Tages

"Wenn ich hier bei Olympia dope, dann ist das so, wie wenn ich mit dem Auto besoffen am Polizeirevier vorbeifahre." (ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt über die nigerianische Topsprinterin Blessing Okagbare, die wegen Dopings gesperrt wurde)

"Glücklicherweise sind wir nicht bei den Kreismeisterschaften und haben neun Bahnen in dem Riesending hier." (ARD-Experte Frank Busemann nach erfolgreichem Protest der USA und der Dominikanischen Republik für das Mixed-Finale über 4x400 m und die Starterlaubnis für Deutschland)

"Jetzt hat mein Leben schon einen Sinn." (Stabhochspringer Oleg Zernikel nach der erfolgreichen Qualifikation für das Finale)

"Wir müssen uns erneut mit der Pandemie befassen. Die Pandemie wird bis dahin nicht in der ganzen Welt vorbei sein, also müssen wir realistisch sein und die richtigen Maßnahmen finden." (IOC-Präsident Thomas Bach über Corona-Winterspiele 2022 in Peking)

"Ich schicke immer abends ein Foto in unsere Gruppe, welche Farbe am nächsten Tag dran ist, damit wir ein bisschen ordentlich aussehen." (Bundestrainer Otto Becker über den Olympia-Dresscode der Springreiter)

"Vielleicht sechs, acht, wenn es ganz gut läuft. Vor allem hochwertige Medaillen, wir wollen auf Gold gehen." (DKV-Sportdirektor Jens Kahl will mit den Kanuten abräumen)

Zahlen des Tages

10.61: Siegerzeit von Elaine Thompson-Herah über die 100 Meter, trotz Gegenwind. Die schnellste Zeit bei Olympischen Spielen und die zweitschnellste überhaupt nach dem Weltrekord von Florence Griffith-Joyner (10.49) aus dem Jahr 1988.

17: Medaillen für Team Deutschland (3-4-10). Rang elf im Medaillenspiegel.

154: Absolvierte Wettbewerbe. 185 Goldmedaillen werden noch vergeben.

336: Punkte von Carmelo Anthony bei Olympischen Spielen. Diese amerikanische Bestmarke wurde von Kevin Durant im zweiten Viertel gegen Tschechien geknackt.

1093: Punkte vom Brasilianer Oscar Schmidt bei Olympischen Spielen im Basketball.

5:28: Ergebnis von Südafrikas Wasserballern gegen Griechenland. Torverhältnis nach vier Partien: 11:92.

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