Sportlich gab es auf dem Weg zur Medaille zunächst keine großen Hürden zu überwinden. In der ersten Runde konnten die Marokkaner Karim Alami und Younes El Aynaoui aufgrund einer Verletzung nicht antreten. Im Achtelfinale waren die Griechen Anastasios Bavelas und Konstantinos Efraimoglou (6:1, 6:3, 6:4) nicht mehr als Sparringspartner.
Zwischenmenschlich blieb es zwischen Becker und Stich allerdings kompliziert. "Boris und ich haben uns ausschließlich zum Training und zu den Matches getroffen", bestätigte Stich, dass die beiden während des gesamten Wettbewerbs nie gemeinsam an einem Tisch saßen.
Beide waren nicht einmal dazu bereit, sich im persönlichen Gespräch über die Taktik für das kommende Match auszutauschen. Also musste Pilic als personifizierte Telefonleitung herhalten. Der Davis-Cup-Kapitän pilgerte unermüdlich als Nachrichtenüberbringer von Beckers Zimmer zu Stichs Zimmer und wieder zurück. Das Problem: Stich wohnte im Olympischen Dorf, während Becker in einem Hotel außerhalb logierte.
"Das hat mich Jahre meines Lebens gekostet", sagte Pilic einst über das Verhalten der Tennis-Diven: "Ich bin zwischen den Zimmern hin- und hergependelt und musste viel lügen, um alles im Lot zu halten."
Dritter Satz: Das Endspiel ist längst ein Thriller. Bis zum 6:6 bleibt alles in der Reihe, doch bei den Aufschlagspielen von Norval geben Becker/Stich einmal ein 0:40 und einmal ein 15:40 durch Leichtsinnsfehler aus der Hand. Als Becker eine weitere Breakchance kläglich mit einer Rückhand ins Netz vergibt, rastet er aus. "Leck mich am Arsch", brüllt der damals 24-Jährige. Pilic versucht von der Tribüne aus, das DTB-Doppel zu beruhigen. Mit Erfolg: Becker/Stich steigern sich von Minute zu Minute. Und siehe da: Sie kommunizieren sogar plötzlich miteinander, klatschen sich außerdem ab. Beim Stand von 6:5 im Tiebreak verwandelt Becker eiskalt einen Vorhand-Volley zum Satzgewinn. Zwischenstand: 7:6 (7:5), 4:6, 7:6 (7:5).
Becker: "Stich war der Stratege, ich die Kampfmaschine"
Zumindest auf dem Platz funktionierten Becker/Stich mittlerweile als Team. Das wurde beim Viertelfinal-Drama gegen das an drei gesetzte Weltklasse-Doppel Sergio Casal/Emilio Sanchez, das 1988 in Seoul Silber geholt hatte, deutlich.
Die Spanier wurden frenetisch von ihren Landsleuten angefeuert, trotzdem setzten sich Becker/Stich nach 3 Stunden und 59 Minuten um kurz vor Mitternacht mit 6:3, 4:6, 7:6 (11:9), 5:7 und 6:3 durch.
Keine 20 Stunden später mussten sich die Deutschen schon wieder durch den Sand wühlen. Wieder wurde das Match zu einem Krimi, den Becker/Stich nach 3 Stunden und 58 Minuten gegen die Argentinier Javier Frana/Christian Miniussi mit 7:6 (7:3), 6:2, 6:7 (4:7), 2:6 und 6:4 für sich entschieden. Das Endspiel war damit erreicht, Silber sicher.
"Pilic hat es geschafft, uns zu vereinen", begründete der damals 23-jährige Stich das immer besser werdende Verständnis zwischen ihm und Becker. Becker beschrieb die Erfolgsformel so: "Michael hat die bessere Technik, ich den größeren Willen. Er war der Stratege, ich die Kampfmaschine."
Becker/Stich: Der Weg zur Goldmedaille
Runde | Gegner | Ergebnis |
1. Runde | Karim Alami/Younes El Aynaoui (Marokko) | w.o. |
Achtelfinale | Anastasios Bavelas/Konstantinos Efraimoglou (Griechenland) | 6:1, 6:3, 6:4 |
Viertelfinale | Srgio Casal/Emilio Sanchez (Spanien) | 6:3, 4:6, 7:6, 5:7, 6:3 |
Halbfinale | Javier Frana/Christian Miniussi (Argentinien) | 7:6, 6:2, 6:7, 2:6, 6:4 |
Finale | Wayne Ferreira/Piet Norval (Südafrika) | 7:6, 4:6, 7:6, 6:3 |
Vierter Satz: Direkt im ersten Spiel wird es kurios, es steht 0:30 bei Aufschlag Ferreira. Beckers Vorhand-Longline-Return schlägt perfekt ein - 0:40. Eigentlich! Doch Ferreira beschwert sich beim Stuhlschiedsrichter, weil der Ball beim Aufschlag platt gegangen sei. Es gibt minutenlang Diskussionen, der Oberschiedsrichter wird gerufen und entscheidet tatsächlich: Der Punkt wird wiederholt. Tiriac winkt ab und greift zur x-ten Zigarette (Barbara ist längst geschlagen). Ferreira hält dem anschließenden Pfeifkonzert der deutschen Fans nicht stand, Becker/Stich schnappen sich das Break. Das DTB-Duo lässt bei eigenem Aufschlag in der Folgezeit nichts mehr anbrennen. Nach 3 Stunden und 25 Minuten nutzen Becker/Stich ihren ersten Matchball. Endstand: 7:6 (7:5), 4:6, 7:6 (7:5), 6:3.
Stich: Heimflug statt Siegesfeier
Becker und Stich wussten sofort, wem sie die Goldmedaille zu verdanken hatten. Nach dem Shakehands mit Ferreira/Norval eilten beide zu Pilic und nahmen ihn in den Arm. Wer nun aber dachte, das Doppel Becker/Stich würde dem deutschen Tennis auch in Zukunft goldene Momente bescheren, wurde nur wenige Stunden später enttäuscht.
Anstatt mit allen Beteiligten wie geplant die Goldmedaille zu feiern, flog Stich noch am Abend zurück nach Deutschland. "Nach dem Sieg war mir irgendwie danach, relativ schnell nach Hause zu kommen", erklärte Stich viele Jahre später: "War es ein Fehler? Definitiv!"
Nachgefeiert wurde bislang nicht, obwohl Stich dies bereits im April 2020 angekündigt hat: "Ein gemeinsames Essen wird es mit Sicherheit geben. Boris und ich sind beide total entspannt, was die Vergangenheit angeht. Wir wissen, dass wir einander viel zu verdanken haben und uns trotz aller Konkurrenz gegenseitig befruchtet haben."