SPOX: Herr Waldmann, Sie haben in Ihrer Karriere 20 WM-Rennen gewonnen, standen unzählige Male auf dem Podium und holten zehn Pole-Positions. Erinnern Sie sich eigentlich noch, wann Sie zum ersten Mal auf einem Motorrad saßen?
Ralf Waldmann: Das ist eine gute Frage (schmunzelt). Wenn ich mich richtig erinnere, müsste das mit fünf gewesen sein. Damals habe ich mein Moto-Go-Kart, das ich zwei Jahre davor bekommen habe, gegen ein Motorrad getauscht. Das war der Beginn einer großen Liebe, die bis heute anhält.
SPOX: Sie sind im Laufe der Zeit in die Fußstapfen Ihres Vaters getreten, der ebenfalls Rennfahrer war. Wie hat er Sie unterstützt?
Waldmann: Von meinen ersten Rennen wusste er gar nichts. Das ging aber nicht lange gut. Zum Glück war mein Vater sehr stolz, als er es herausgefunden hat. Er kannte diesen "Virus", mit dem ich mich angesteckt hatte, zur Genüge. Deswegen durfte ich während meiner Lehre in seinem Betrieb auch immer die Firmenwagen als Transportmittel für meine Motorräder ausleihen.
SPOX: Es heißt, Sie hatten bis zu Ihrem 27. Lebensjahr gar kein eigenes Auto, sondern nur Motorräder. Stimmt das?
Waldmann: Das ist tatsächlich wahr. Ich habe mein Geld und meine komplette Freizeit in den Motorradsport gesteckt. Das war mir viel wichtiger als ein eigenes Auto.
SPOX: Das zahlte sich aus. 1986 feierten Sie Ihr Debüt in der Motorrad-WM auf dem Hockenheimring. Hatten Sie als 20-Jähriger Respekt vor den alten Hasen?
Waldmann: Eigentlich habe ich mir deswegen nichts geschissen. Ich wollte einfach nur Motorradfahren. Natürlich war es auch ein großes Abenteuer. Ich kann mich noch an das Training erinnern, bei dem insgesamt 88 Starter gemeldet waren. Es war die Hölle los. Im Rennen bin ich auf Platz 20 gefahren, damit war ich ganz zufrieden.
SPOX: Ging es nach Ihrem guten Debüt so erfolgreich weiter?
Waldmann: Die ersten Jahre waren schwer. Ich hatte damals nur kleine Sponsoren und musste deswegen mit veraltetem Material fahren. Meine Maschine habe ich sogar selber gewartet. Um diesen Nachteil auszugleichen, bin ich auf der Strecke noch mehr Risiko gegangen. Das ging manchmal in die Hose, aber das gehört dazu, wenn man sich nach oben kämpfen will. Das hat sich aber gebessert, als die Sponsoren mein Talent erkannten.
SPOX: In den 90er Jahren haben Sie sich vor allem durch die Duelle mit Max Biaggi einen Namen gemacht. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zweikämpfe?
Waldmann: Es war immer ein sehr verbissenes, aber auch faires Duell. Ich habe ihn erst zuletzt bei der Superbike-WM getroffen, weil ich dort mit Max Neukirchner arbeite. Er hat mich am Start gesehen, mich angelacht und wir haben ein bisschen über die gute, alte Zeit geredet.
SPOX: In den entscheidenden Phasen hatte Biaggi das bessere Ende immer auf seiner Seite. Sie werden häufig als der erfolgreichste Pilot, der nie Weltmeister wurde, bezeichnet. Wurmt Sie das?
Waldmann: Ach, irgendjemand muss nun mal Zweiter werden (lacht). Das gehört dazu, ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Damals war es natürlich schwerer. Ich bin in ein Loch gefallen, weil es nie zum großen Wurf gereicht hat. Aber das ist lange vergessen.
SPOX: Was war Biaggi für ein Typ?
Waldmann: Extrem ehrgeizig, aber auch extrem gut. Er ist mit über 40 immer noch Rennen gefahren und hat brutal Gas gegeben. Davor muss man den Hut ziehen. Am Ende seiner Karriere bin ich sogar zu einem kleinen Biaggi-Fan geworden, so komisch sich das mit unserer Vorgeschichte auch anhören mag.
SPOX: Nach Ihren beiden Vize-Weltmeistertiteln in der 250er Klasse wechselten Sie 1998 in die Königsklasse. Allerdings konnten Sie dort Ihre Erfolge nicht wiederholen. Bereuen Sie den Schritt zu den 500ern?
Waldmann: Nein, damals gab es gar keine andere Möglichkeit für mich. Ich stand vor der Wahl: entweder in die Königsklasse wechseln oder aufhören. Außerdem habe ich viele interessante Erfahrungen gemacht. Ich bin damals beim Team von Kenny Roberts gefahren, einer echten Legende. Das war eine andere Welt. Die Amerikaner mit ihrem grenzenlosen Optimismus haben mich begeistert. Es kann noch so schlecht laufen, den Mut verlieren die nie. Das ist die typische Lebensmentalität der US-Boys.
SPOX: In Ihrer Hochzeit waren Sie in Deutschland so etwas wie der Motorrad-Schumi, auch wenn Ihnen die WM-Titel fehlten. Haben Sie sich von der Öffentlichkeit genügend wertgeschätzt gefühlt?
Waldmann: Die Formel 1 war und ist eine ganz andere Hausnummer. Der Motorradsport ist nun mal eine Randsportart. Aber Schumi hatte sich diese Aufmerksamkeit auch verdient. Er hat damit nicht nur die Formel 1, sondern den kompletten Motorsport nach vorne gebracht. Davon haben auch die Motorradfahrer profitiert. Ich darf mich also nicht beschweren, gerade im Vergleich zur heutigen Zeit.
SPOX: Haben es Stefan Bradl, Sandro Cortese und Co. schwerer?
Waldmann: Auf jeden Fall. Bradl fährt in der MotoGP gegen die Weltspitze, trotzdem ist er kaum jemandem ein Begriff. Es fällt nun mal alles mit der Präsenz in den Medien. Aber wenn ein Fußball-Stammtisch wichtiger ist als ein Motorradrennen, dann sehe ich auch in der Zukunft schwarz.
SPOX: Vielleicht würde ein WM-Titel Bradls in der MotoGP helfen. Wie schätzen Sie seine Chancen ein, in den nächsten Jahren den Thron zu besteigen?
Waldmann: Ich würde es ihm wirklich wünschen. Aber ich habe die Befürchtung, dass Marc Marquez zu Bradls Biaggi werden könnte. Der Kerl ist ein Phänomen und fährt den Arrivierten mit seinen 20 Jahren um die Ohren.
SPOX: Einer, der gegen Marquez auch das Nachsehen hat, ist Valentino Rossi. Merkt der Italiener langsam das Alter?
Waldmann: Das ist ein ganz normaler Prozess. Irgendwo gibt es immer einen, der schneller ist als man selbst. Außerdem lässt im Laufe der Zeit einfach die Motivation und Risikobereitschaft nach. Marquez macht sich keine Gedanken und ist überzeugt, unsterblich zu sein. Rossi macht sich in seinem Alter dagegen mehr Gedanken und geht vielleicht nicht mehr das letzte Risiko.
SPOX: Rossi ist in diesem Jahr 34 geworden. Sie feierten mit 43 ein kleines Comeback und bestritten 2009 ein Rennen für das Kiefer Racing Team als Ersatz für den Russen Vladimir Leonov. Konnten Sie nicht loslassen?
Waldmann: Ich würde es eher als eine Herzensangelegenheit bezeichnen. Es war ein Traum, vier Jahre nach meinem Rücktritt noch mal auf einer 250er Maschine zu sitzen. Ich habe es einfach genossen, auch wenn ich nicht mehr mein altes Niveau erreichen konnte. Aber ich war auch kein Verkehrsrisiko (schmunzelt).
SPOX: Das war damals der Große Preis von Großbritannien. Sie kehrten also wieder an den Ort Ihres vielleicht besten Rennens zurück.
Waldmann: Donington 2000?
SPOX: Genau. Haben Sie das Rennen noch vor Augen?
Waldmann: Klar, auf Youtube war es lange Zeit ein echter Renner. Ich habe mich damals kurz vor dem Start für Regenreifen entschieden, obwohl mein Team dagegen war. Am Anfang des Rennens bin ich zurückgefallen, weil die Piste langsam abtrocknete. Ich bin sogar fast überrundet worden. Als es dann aber wieder zu regnen begann, holte ich Sekunde um Sekunde auf. Die anderen sind geschwommen. In der letzten Runde habe ich mir noch Olivier Jacques und damit den Sieg geschnappt. Das war der helle Wahnsinn, ich bin mit den Messer zwischen den Zähnen gefahren, weil ich mich einige Wochen davor mit meiner Reifenwahl verspekuliert habe. Das sollte mir nicht noch mal passieren.
SPOX: Zum Abschluss ein trauriges Thema. Auch in diesem Jahr gab es wieder einige Todesfälle im Motorradsport. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, die Rennen noch sicherer zu machen?
Waldmann: Das ist schwer, irgendwann ist eine Grenze erreicht. Alles darüber ist ein Risiko, das man gehen muss. Die Rennstrecken an sich sind eigentlich extrem sicher. Wenn ich da an Monaco denke, dann setzt sich die Formel 1 eigentlich den größeren Gefahren aus. Auch in den kleineren Formel-Serien passiert genügend, nur bekommt man davon meistens nicht so viel mit.
SPOX: Müssen die Fahrer diese Unfälle einfach ausblenden?
Waldmann: Es gibt keine andere Möglichkeit. Wenn man das nicht mehr ausblenden kann, muss man die Stiefel an den Nagel hängen, so hart das klingen mag.
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