Damit könnte die 29-Jährige, die in Russland als Staatsfeindin gilt, schon bei der kommenden EM in Amsterdam eine mit Spannung erwartete Rückkehr auf die Laufbahn feiern. Auch ein Start bei den Olympischen Spielen in Rio rückt näher.
"Es ist ein wichtiges Zeichen des internationalen Sports, dass Julia Stepanowa für ihr Risiko, Missstände in ihrem Land aufgezeigt zu haben, nicht weiter abgestraft, sondern ihr Mut honoriert wird", sagte Clemens Prokop, Präsident des DLV dem SID.
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Der mögliche Start der 800-m-Läuferin in Amsterdam "hat Symbolcharakter", sagte Prokop: "Julia Stepanowa, die über Doping-Praktiken in Russland gesprochen hat, darf wieder Wettkämpfe bestreiten. Andere Athleten aus dem System aber nicht."
80 russische Athleten werden geprüft
Die IAAF hatte am 17. Juni den Bann für Russlands Leichtathleten verlängert und damit auch ihr Olympia-Aus beschlossen, gleichzeitig für einzelne Athleten aber auch eine Hintertür geöffnet - und sich dabei ausdrücklich auf Kronzeugin Stepanowa bezogen. Nun begründete die zuständige Doping-Prüfungs-Kommission der IAAF ihre Entscheidung auf Grundlage der Regel 22.1A(c) mit Stepanowas "außergewöhnlichem Beitrag zum Schutz und zur Förderung sauberer Athleten".
Zudem teilte der Verband mit, dass mehr als 80 russische Athleten - darunter auch Stabhochsprungstar Yelena Isinbayeva - Anträge für Ausnahmeregelungen gestellt hätten. Diese würden geprüft.
Neben Doping-Gegnern wie Stepanowa kommen dafür aber nur russische Athleten, die im Ausland leben und verlässlich getestet werden, als Einzelstarter infrage. Russlands Leichtathleten hatten zudem angekündigt, in der nächsten Woche vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS ziehen zu wollen, um ein Olympia-Startrecht einzuklagen.
Für Stepanowa, die wegen Dopings ab März 2011 rückwirkend für zwei Jahre gesperrt wurde, ist dagegen der Weg zurück auf die große Bühne seit Freitag frei. Am Mittwoch, drei Tage nach ihrem 30. Geburtstag, werden die Augen der Leichtathletik-Welt beim Start der Vorläufe über 800 m in Amsterdam dann auf der jungen Mutter liegen. "Egal wie schnell sie in Amsterdam laufen wird, Hauptsache ist, dass sie dabei ist", sagte Prokop.
IAAF setzt IOC unter Druck
Stepanowa und ihr Mann Witali, ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA, hatten 2014 den Skandal um systematisches Doping in der russischen Leichtathletik mit ihren Aussagen in der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping" ins Rollen gebracht. Danach verließen die Stepanows aus Angst um ihr Leben Russland und setzten sich an einen geheimen Ort in den USA ab.
Die IAAF und Coe setzten mit ihrer Entscheidung für ein Startrecht von Stepanowa zudem IOC-Boss Thomas Bach unter Druck. Der Deutsche hatte in dem Fall bisher auf Zeit gespielt. Am Freitag hieß es in einer Mitteilung: "Wie bereits mitgeteilt, wird das IOC den Fall von Frau Stepanowa sorgfältig prüfen, sobald sämtliche Informationen vorliegen, die von der IAAF angefordert wurden."
Bisher schloss Bach einen Start Stepanowas unter neutraler Flagge in Rio aus, doch das russische Olympische Komitee dürfte die "Verräterin" kaum für Brasilien nominieren.
Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschuss im Deutschen Bundestag, sieht Bach indes in der Bringschuld. "Ich denke, Präsident Thomas Bach kommt hier eine ganz entscheidende Rolle zu, er muss sich positionieren", sagte Freitag dem SID. Es sei Aufgabe des IOC, in grundsätzlichen Angelegenheiten sportpolitische Leitlinien vorzugeben.
Der DOSB freute sich derweil über Stepanowas Startberechtigung. "Whistleblower müssen gestärkt werden, denn sie werden zur Glaubwürdigkeit und zur Optimierung des Anti-Doping-Kampfes dringend gebraucht", teilte der Verband mit.