Nach seinem denkwürdigen Auftritt beim Diamond-League-Meeting in London, wo er über 100 m in 9,87 Sekunden siegte und so schnell lief wie seit fast zwei Jahren nicht mehr, sprach da nicht mehr der frustrierte, fast kleinmütige Bolt der vergangenen Wochen. Es war der alte Bolt, der sich jene zur Brust nahm, die öffentlich an ihm gezweifelt hatten: Selbstbewusst bis an die Schmerzgrenze, exzentrisch, großmäulig.
"Ich fürchte niemanden", sagte Bolt und stellte rund einen Monat vor der WM in Peking (22. und 30. August) unmissverständlich klar: "Ich bin bereit loszulegen, und ich bin bereit zu gewinnen." Sie sollten sich warm anziehen, die Gatlins, die Powells, die Gays, die während der langen Formkrise und der vielen Wehwehchen des sechsmaligen Olympiasiegers mit Topzeiten in Reihe aufgemuckt hatten: "In Peking ist für mich alles möglich."
Usain Bolt vor der WM: Der Blitz ohne Donner?
Quasi in 9,87 Sekunden könnte sich Bolts gesamte Saison gedreht haben. In zweimal 9,87 Sekunden vielmehr, denn so schnell war er in London binnen 60 Minuten jeweils im Vor- und im Endlauf. Das ist zwar deutlich langsamer als sein Weltrekord (9,58) oder auch die Jahresweltbestzeit von Justin Gatlin (9,74). Nur: Die Art und Weise, in der Bolt an der Stelle seiner drei Olympiasiege von 2012 aus der Krise stürmte, ist höchst bemerkenswert.
Die äußeren Bedingungen waren hundsmiserabel: kühles Regenwetter, dazu Gegenwind, 0,8 Meter pro Sekunde im Finale, gar 1,2 im Vorlauf. Und dann Bolts Lauf: zweimal ein völlig verhunzter Start, dann ein Rennen mit der Brechstange anstatt Technik und Lockerheit - und im Vorlauf ein Austrudeln nach 80 Metern. "Der Start war mies, alles andere okay. Ich bin zufrieden, muss aber weiter hart arbeiten", sagte er.
Bolt mit Ambitionen
Damit hat der zuletzt so formschwache sechsmalige Olympiasieger rechtzeitig vor den Weltmeisterschaften (22. bis 30. August) Justin Gatlin den Fehdehandschuh hingeworfen.
In Peking könnte es nun wirklich zum ersehnten Giga-Duell zwischen Bolt und dem seit 2013 ungeschlagenen Amerikaner kommen. Der schien zuletzt angesichts einer Saisonbestmarke von 9,74 Sekunden außer Reichweite - am Freitagabend hat sich dies geändert.
Bolt ist bereits wieder die Nummer sechs der Weltrangliste, dabei soll es aber nicht bleiben. Landsmann Asafa Powell (9,81) ist schon wieder in Reichweite, die Saisonbestzeit von Ex-Weltmeister Tyson Gay (USA) hat er egalisiert. Das WM-Finale am Abend des 23. August könnte wahrlich ein großes werden.
Bolt war nach seinem enttäuschenden 200-m-Auftritt von New York Anfang Juni (20,29) abgetaucht, hatte die Starts bei den nationalen Meisterschaften sowie in Paris und Lausanne abgesagt, stattdessen verzweifelt an seiner Form gearbeitet. Es sieht so aus, als seien seine Bemühungen nicht vergebens gewesen.
Bolt gab Rätsel auf
Nicht auszudenken, wie schnell Bolt schon wieder wäre, wenn alles gepasst hätte. Und spätestens da fängt es an, erstaunlich zu werden: Anfang Juli noch war Bolts Form eine Katastrophe. 10,13 Sekunden über 100 m hatte er bis dahin zustande gebracht, nach einem für seine Verhältnisse lächerlichen 200-m-Lauf in London (20,29) tauchte Bolt völlig entnervt ab, verzichtete auf die nationalen Trials sowie die Starts in Lausanne und Paris, zog sich ins Training zurück.
Welche Wundermittel und -Methoden Coach Glenn Mills gefunden hat, um seinen Schützling in diesen sieben Wochen zurück auf Top-Niveau zu bringen - und dies ohne sichtliche Verbesserung in Sachen Technik und Laufstil? "Harte Arbeit, Hingebung, mich selbst pushen. Nur darum geht es", sagte Bolt. Und auch dies war an die Zweifler gerichtet.