Das Center-Spiel in Europa ist ein anderes als jenes in den USA. Natürlich ist Athletik auch diesseits des Atlantiks kein Hindernis, doch ist sie eben nicht Hauptmerkmal. Zur Jobbeschreibung des europäischen Pivoten zählen vielmehr versierte Fußarbeit, intelligente Bewegungen inner- und außerhalb des Zonenrands und das Wissen um all die Feinheiten des Spiels. Ein sicherer Wurf aus der Mitteldistanz wird ebenfalls gern genommen.
Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass sich der amerikanische Center grundsätzlich einzig und allein auf seine Kraft verlässt, seinen Gegner lediglich zu überpowern versucht und grundsätzlich relativ wenig versteht, worum es beim Basketball eigentlich geht. Nur besitzen europäische Center eben lediglich in Ausnahmefällen diese unglaubliche Athletik eines Dwight Howard oder Anthony Davis. Sie müssen sich anders behelfen. Durch Finesse. Durch intelligentes Spiel. Oder eben durch Größe.
Denn das bringt die Position des Centers nun mal mit sich - sowohl hier als auch dort, eigentlich überall. Ist ein Fünfer groß, besitzt er einen gottgegebenen Vorteil. You can't teach hight, eben. Ante Tomic beispielsweise misst 2,18 Meter und gilt als vielleicht bester Center der Euroleague. Regelmäßig dominiert der Kroate die Zone, ist Barcas effektivster Spieler (Index Rating 18,57, Rang 7 in der Euroleague).
Ein überraschend effizienter Gigant
Gleichzeitig widersprechen die Zahlen jedoch dem Eye-Test. Rein statistisch steht Tomic nämlich nicht nur nicht an der Spitze der Euroleague, er ist "nicht einmal" der beste Center Europas. Dieser Titel geht - noch mal: rein statistisch - nämlich an einen, mit dem wohl die wenigsten gerechnet hatten. An einen, dessen Statur eher auf Grobmotorik denn auf effizientes Spiel unter den Körben schließen lassen würde. An Boban Marjanovic.
Gigantische 2,21 Meter misst der Serbe, weiß selbige allerdings beeindruckend effizient einzusetzen. Mit einem Index Rating von 25,57 führt Marjanovic die Euroleague an. Deutlich vor dem zweitplatzierten Teilzeitmagier Milos Teodosic (20,6). Noch deutlicher vor Tomic oder dem legendären Vassilis Spanoulis (18,57, Rang 9).
Nun verraten Statistiken nie die ganze Wahrheit. Sie können als Anhaltspunkt dienen, als Stütze der einen oder anderen These, aber nie als etwas Absolutes. Dazu ist der Basketball mit all seinen Nuancen und Feinheiten schlicht zu komplex. In Marjanovic' Fall verraten die Zahlen jedoch zwei Dinge. Erstens zeigen sie auf, welch - nicht nur rein wörtlich - großen Berg Maik Zirbes bei Roter Stern Belgrad vor sich hat. Und zweitens zeugen sie von einer Entwicklung, die so nur schwer zu erwarten war.
Auf Umwegen zum Durchbruch
Bis ins Jahr 2013 hinein glich Marjanovic' Karriereweg dem eines Suchenden. Nach soliden vier Jahren bei Hemofarm in Serbien wechselte der Fünfer sein Team wie Shawn Kemp einst seine Abendbegleitung. In Moskau wurde Coach Dusko Vujosevic, der Marjanovic unbedingt verpflichten wollte, kurz nach dessen Ankunft entlassen. Es folgten Leihen, fixe Wechsel, Halbjahresengagements. Konstant blieb lediglich die Inkonstanz. Von Arbeitsplatz. Von Wohnort.
Erst der Wechsel zurück in die Heimat, zunächst zu Radnicki Kragujevac und schließlich zu Mega Vizura, wo Marjanovic auf den heutigen Bayern-Playmaker Vasilije Micic traf, ließ Marjanovic ein wenig zur Ruhe kommen.
Jedenfalls geistig. Denn auf dem Court blühte der Center auf, dominierte und wurde am Ende der Saison zum MVP in Serbien gekürt. Endlich war der Beweis erbracht. Boban Marjanovic ist zwar selbst für einen Basketballer ungewöhnlich groß, nur weiß er seine Größe eben auch gewinnbringend einzusetzen - und unterscheidet sich so von all den Hünen, deren sportlicher Wert sich allein in Zentimetern und weniger in Leistung ausdrückt.
Summer League mit Dennis Schröder
Marjanovic' Wert war mittlerweile dagegen soweit angestiegen, dass ihn die Atlanta Hawks sogar in der Summer League vorspielen ließen. An der Seite von Dennis Schröder. Lediglich 12 Minuten Spielzeit in zwei Partien, dazu durchschnittlich 3 Punkte, 1,5 Rebounds sowie 0,5 Assists waren schlussendlich allerdings nicht genug für ein NBA-Engagement.
Zukunftsängste verspürte Marjanovic sicherlich dennoch nicht. Schließlich hatte er bereits vor seinen Auftritten in Vegas bei Roter Stern Belgrad unterschrieben und stand so vor seiner allerersten Euroleague Saison. Selbige diente jedoch nur als erster Schritt, 10,8 Punkte (62,1 Prozent FG) sowie 7,7 Rebounds und MVP-Ehren am 10. Spieltag lediglich als Vorgeschmack.
Dominanz in der Euroleague
Denn in dieser Saison tritt Marjanovic tatsächlich so dominant auf wie es seine Größe verspricht. Er ist tatsächlich dieser Gigant, von dem wohl jeder Coach träumt. Ob nun in Europa oder den USA. Nach sieben Spielen ist Boban Marjanovic der dominanteste Rebounder der Euroleague (10,1 Rebounds), legt im Schnitt ein Double-Double auf und ist siebtbester Scorer (17,29).
Der mobilste ist er angesichts seiner Masse natürlich nicht. Ein wenig behäbig wirkt es mitunter, wenn sich der Center durch die Zone bewegt - offensiv wie defensiv. Während 0,86 Blocks bei 2,21 Metern eher in die Kategorie "geht besser" fallen, macht sich die mangelnde Geschwindigkeit am vorderen Ende des Courts jedoch deutlich weniger negativ bemerkbar.
Vielmehr macht Marjanovic' Kombination aus Größe und guter Fußarbeit den Serben zum Albtraum einer jeden Defense. Der Center weiß, wie er sich effektiv in Richtung Ring bewegen muss - auch nach dem Pick-and-Roll, wo er schlicht nicht mehr zu stoppen ist. Oder sind aus dem Stegreif weitere Spieler bekannt, die nahezu aus dem Stand dunken können?
Allein auf das Stopfen angewiesen ist Marjanovic allerdings nicht. In Ringnähe besitzt er einen unglaublich weichen Touch, legt den Ball häufig elegant durch die Reuse. Dazu trifft er den Wurf aus der Mitteldistanz und setzt seine Mitspieler dank durchaus vorhandener Passing-Skills immer wieder effektiv ein.
Zirbes: "Der beste Center"
Dass Maik Zirbes angesichts eines derartigen Arbeitsprofils zunächst einmal nicht an seinem Big-Man-Kollegen vorbeikommt, verwundert wenig. Verloren oder gar unglücklich wirkt der ehemalige Bamberger, der vor dieser Saison zu Roter Stern wechselte, deshalb allerdings nicht. "Er ist der beste Center gegen den ich bis jetzt gespielt habe", erklärte Zirbes im Gespräch mit "Sport1". "Er ist nicht nur riesig, auch seine Fußarbeit ist außerordentlich. Ich lerne in jedem Training von ihm."
Zirbes' Plan scheint also durchaus aufzugehen. Im Sommer suchte er eine neue Herausforderung, wollte neues kennen- und erlernen, löste seinen Vertrag bei den Brose Baskets deshalb auf. In Serbien, jenem Land, das bereits so viele herausragende Basketballer hervorgebracht hat, sah er einfach "die bessere Option und Perspektive."
Dass die Spielzeit ein wenig leiden könnte, hat Zirbes wahrscheinlich in Kauf genommen. Am Ende kommt der Nationalspieler in der Euroleague bislang dennoch auf knapp 12 Minuten und legt dabei 2,3 Rebounds sowie 4,7 Punkte bei starken Quoten (65,2 Prozent FG) auf. Solide Zahlen. Gleichwohl keine, die Zirbes aus der Masse herausstechen lassen. Zufrieden ist der Nationalspieler dennoch.
Zirbes hat Spaß - trotz gnadenloser Härte
Denn er wird von Coach Dejan Radonjic behandelt wie jeder andere bei Roter Stern. Nämlich gnadenlos. Zumindest auf dem Court: "Das Training ist härter als alles was ich bisher erlebt habe", erzählte der Center "Sport1". "Wenn du denkst, es geht nichts mehr, wirst du so lange getriezt, bis du wieder kannst." Im Grunde werde ihm "jeden Tag in den Arsch getreten. Im Training ist das Lachen komplett raus. Aber es macht trotzdem unfassbar Spaß".
Spaß dank Fleiß. Neue Erfahrungen. Regelmäßige Auftritte in der Euroleague. Dazu Roter Sterns leidenschaftliche Fans. Es scheint, als habe Maik Zirbes mit seinem Wechsel nach Belgrad die richtige Entscheidung getroffen. Zumal er dort aus nächster Nähe beobachten kann, wie Boban Marjanovic all die Attribute eines Centers europäischer Schule mit einer für Fünfer nahezu unerlässlichen Komponente kombiniert. Für den maximalen Ertrag, versteht sich. Denn, noch mal: Größe kann man einfach nicht erlernen!
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