SPOX: Herr Roller, haben Sie Mitte des zweiten Viertels des Frankreich-Spiels noch daran geglaubt, dass wir heute über das deutsche Viertelfinale gegen Spanien sprechen würden?
Roller: Überhaupt nicht. Es war für mich ein absolut klassischer Fehlstart mit zu viel Respekt vor dem Gegner. Die Rebound-Überlegenheit und die allgemeine Verunsicherung haben mir das Gefühl gegeben, dass es wohl nichts mehr wird und die Mannschaft höchstens noch ein bisschen Erfahrung für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio sammeln kann. Umso erfreulicher war die zweite Halbzeit, in der die Mannschaft, wie schon im kompletten Turnier, nicht auseinandergefallen ist und mit einem überragenden Daniel Theis die Franzosen doch noch in die Schranken weisen konnte.
SPOX: Selbst Rollenspieler wie Lucca Staiger oder Robin Benzing versenkten auf einmal ihre Würfe. Woran haben Sie das festgemacht?
Roller: Es war wichtig, dass von der Bank und von den Rollenspielern Impulse kamen. Vielleicht nicht durchgehend, aber dafür gibt es jemanden wie Dennis Schröder, der auf dem Feld viel Verantwortung, vor allem im Scoring, schultert. Der macht sein Ding, aber es ist unheimlich wichtig, dass auch die anderen ihn unterstützen, wie zum Beispiel Staiger gegen Frankreich, bei dem endlich der Knoten geplatzt ist. Auch ein Johannes Thiemann hat mir sehr gut gefallen. Es ist einfach wichtig für das deutsche Team, so wie es zusammengestellt ist, dass immer wieder andere in die Bresche springen. Was mir aber schon in der Vorrunde gefallen hat, ist die Kompaktheit in der Verteidigung. Das ist meiner Meinung nach die Essenz des deutschen Spiels und letztlich auch der Grund, weshalb die Franzosen geschlagen werden konnten.
SPOX: Kopfschmerzen bereitete dagegen das Rebounding. Auch gegen die Franzosen waren es wieder 13 zweite Gelegenheiten, die zugelassen wurden. Mit Spanien kommt nun aber das beste Team am offensiven Brett.
Roller: Richtig, das ist nun eine schwierige Aufgabe, wenn es jetzt gegen die Gasol-Brüder oder Willy Hernangomez geht. Dieses Team ist offensichtlich anders zusammengestellt als wir. Die Herausforderung für das deutsche Spiel ist, dass wir eine Garde langer Spieler haben, die international eher auf der Vier als auf der Fünf anzusiedeln sind. Der einzige klassische Center ist Tibor Pleiß und der ist nicht dabei. Spieler wie Theis, Jo Voigtmann oder Isaiah Hartenstein sind zwar gute Rebounder, aber eher Vierer. Allerdings stehen andere Teams so auch vor Herausforderungen in Sachen Agilität oder Wurfstärke. Ob das für den DBB ein Vor- oder Nachteil ist, wird sich zeigen.
SPOX: Sie haben ihn angesprochen. Das spanische Offensiv-Spiel läuft fast komplett über Pau Gasol im Post. Wie würden Sie ihn verteidigen lassen?
Roller: Ich weiß es nicht! Gegen ihn und Juan Carlos Navarro habe ich selbst noch gespielt. Die sind jetzt beide 37 Jahre alt, also würde ich sagen: 'Gib ihnen Feuer!' Pau ist einfach der Dreh- und Angelpunkt. Die Spanier wollen ihn in jedem Angriff mindestens einmal den Ball berühren lassen, weil sie wissen, dass er immer die richtige Entscheidung treffen kann. Man muss ihn so spielen, dass er den Ball nicht bekommt oder ihn nicht direkt am Zonenrand erhält und es ihm zuvor so schwer wie möglich gemacht haben. Ein Vorteil ist, dass das deutsche Team jünger ist und frischere Beine hat. Aber wenn Gasol dann den Ball hat, muss man ihn und die anderen auf dem Feld ganz ehrlich spielen.
SPOX: Die Türken haben es teilweise mit dem Doppeln versucht und Rubio offen gelassen. Der trifft aber von der FIBA-Dreierlinie doch recht solide. Sollte Coach Chris Fleming es dennoch damit versuchen?
Roller: Vielleicht. Lieber lasse ich Rubio als Gasol im Lowpost werfen. Von den Quoten her ist da ein Fehlwurf wahrscheinlicher. Dennoch kann das deutsche Team niemanden einfach freistehen lassen. Die 87 Punkte pro Spiel zeigen auch, wie hoch die Qualität dieser Mannschaft ist. Der Gegner kann sich nie auf einen einzigen Spieler konzentrieren. Immerhin haben die Türken Spanien deutlich unter ihrem Turnierschnitt gehalten, auch wenn sie selbst nur 56 Punkte gemacht haben. Das ist das Problem, wenn man gegen Spanien spielt. Diese Offensiv-Power muss eingeschränkt werden, um ein Low-Scoring-Game zu spielen und im besten Fall auch noch das Tempo des Spiels zu diktieren.
SPOX: Also die Pace nach unten, auch wenn die absoluten Leistungsträger schon in einem gesetzten Alter sind?
Roller: Das spanische Tempo muss langsam sein, gerät der DBB in eine Run'n'Gun-Situation, wird man das Spiel nicht gewinnen, selbst wenn Staiger oder Benzing einen guten Tag haben. Auf eine Dauer von 40 Minuten wird das nicht reichen.