Marko Pesic lobt Bundestrainer Henrik Rödl: "Denkt auch an die Vereine"
SPOX: Hemmt das auch das Potenzial der Nationalmannschaft, was die Strahlkraft angeht?
Pesic: Mit Sicherheit, wobei ich sie trotzdem auf einem guten Weg in dieser Hinsicht sehe. Henrik Rödl macht einen extrem guten Job und ist jemand, der auch in schwierigen Situationen immer konstruktiv nach Lösungen sucht und dem einfach viel am deutschen Basketball liegt. Deswegen glaube ich, dass er mittelfristig sehr viel Erfolg haben wird. Es ist für die Vereine sehr wichtig, eine Person am Ruder zu haben, bei der man weiß, dass es nicht nur um eine Sache geht, sondern um das große Ganze. Rödl denkt auch an die Vereine und mit diesem Wissen ist man viel eher bereit, konstruktiv zusammen zu arbeiten. Leider kann ich aber trotzdem nicht sagen: Henrik, du kannst Danilo [Barthel] und Maodo [Lo] im November haben, weil dann alle anderen Verbände aufschreien. Zumal wir sogar in derselben Gruppe sind wie Serbien. Das wäre wirklich Wettbewerbsverzerrung.
SPOX: Der Kalender für die Top-Teams wird dabei sogar noch üppiger werden, wenn nächstes Jahr die EuroLeague mit noch weiteren Teams aufgestockt wird. 80 Spiele sind dann wohl eher die Regel. Wird es dadurch noch schwerer realisierbar?
Pesic: Es wäre alles machbar, wenn es einen einheitlichen Kalender gäbe. Geht nicht, gibt's nicht. Es gibt ja keine Probleme, sondern nur Lösungen. Man könnte ja beispielsweise eine oder zwei Wochen länger spielen, um den Kalender zu entzerren, wie es in Spanien oder Italien sowieso schon gemacht wird. Man kann das ausdehnen. Es kann ja super funktionieren, wenn es einheitliche Fenster gibt, wenn Spieler dadurch Abwechslung haben und auch mal eine andere Rolle übernehmen. Wenn man will, findet man immer eine Lösung. Aber dafür muss der Kalender vereinheitlicht werden, wie im Fußball.
Marko Pesic: "Jetzt ist Dennis Schröder der beste Aufbauspieler in Europa"
SPOX: Unabhängig davon: Wie bewerten Sie die Entwicklung in Deutschland über die letzten Jahre, auf Vereins- und Verbandsebene?
Pesic: Grundsätzlich sehe ich die Entwicklung in Deutschland sehr positiv, das reflektieren auch die Leistungen der Jugendnationalmannschaften und die Qualität der A-Nationalmannschaft. Man könnte an den Rahmenbedingungen in den Altersgruppen von 13 bis 16 vielleicht noch etwas ändern. Mein Sohn ist jetzt in der U14. Dort trainiert er viermal die Woche, dazu gibt es am Wochenende meistens zwei Spiele. Er ist bis 16 Uhr in der Schule, dann muss er trainieren, Hausaufgaben machen und so weiter - da bleibt nicht viel Zeit. Da sind Bedingungen in anderen Ländern, die traditionell viele gute Spieler ausbilden, wie Serbien, Spanien, Litauen oder Kroatien, einfach völlig anders. In Deutschland hast du in dieser Altersgruppe kaum die Möglichkeit, den Sprung vom Talent zum Qualitätsspieler zu machen, weil einfach die Zeit fehlt, um mehr zu trainieren und individuell gezielt an Schwächen zu arbeiten. Das ist anderswo nicht so und da könnten wir die Entwicklung mit einer anderen Lösung noch weiter voranzutreiben. Trotzdem: Es geht auf jeden Fall in die richtige Richtung, gerade im U18- und U20-Bereich. Und was wir jetzt in der A-Nationalmannschaft haben, gab es so noch nie. So eine Konzentration von Talent und Qualität in der Breite ist enorm. Auf der Eins gab es lange ein Vakuum, jetzt ist Dennis Schröder der beste Aufbauspieler in Europa. Dahinter fehlt es etwas an Tiefe, aber auf allen anderen Positionen ist das schon ein großartiges Aufgebot. Man muss da schon Einiges falsch machen, damit wir bei der nächsten EM nicht mal um eine Medaille mitspielen.
SPOX: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Deutschen eher wenige Aufbauspieler produzieren im Vergleich zu den größeren Positionen?
Pesic: Ich glaube, dass das daran liegt, dass die Grundlagen für Spielverständnis und dafür, wie man das Spiel liest, eher im Alter von 10 Jahren aufgenommen werden können als mit 16. Bei uns lernen aber viele Jugendliche den Sport erst später kennen und wie ich schon gesagt habe, ist dann auch nicht die Zeit da, um Verständnis wirklich zu vertiefen. Wir hatten in Deutschland noch nie so einen Aufbau wie Stefan Jovic. Die Spieler, die wir in den letzten 20 oder 25 Jahren hatten, waren fast immer Scoring Point Guards oder Shooting Guards, die auf der Eins eingesetzt wurden. Auch Dennis ist ja ein Scoring Point Guard. Spieler wie Jovic, Ricky Rubio, Nick Calathes, die das Spiel lesen und entwickeln können, haben wir nicht, weil wir das Spielverständnis im kritischen Alter bisher nicht so fördern können, wie es in beispielsweise Serbien möglich ist.
Marko Pesic über NBA-Reiz, Talentförderung und FCBB-Ambitionen
SPOX: Fehlt es da an der Basis bei den Jugendtrainern vielleicht auch am Sachverstand?
Pesic: Schwer zu sagen. Sicherlich spielt die Entwicklung der Jugendtrainer eine große Rolle und man muss viel dafür investieren, das ist bei uns im Verein auch eine absolute Priorität. Da geht es nicht nur ums Finanzielle, sondern um die Ausbildung, Mentoren und so weiter. Die Frage ist aber auch, in welchem Umfeld und unter welchen Bedingungen die Trainer arbeiten. Es ist eine Kombination vieler Dinge. Um das aber nochmal zu betonen: Ich habe etwas angesprochen, was wir verbessern können, aber ansonsten sind die Bedingungen in allen Bereichen wirklich gut und besser als jemals zuvor im deutschen Basketball.
SPOX: Gilt das auch für den FC Bayern? Wie wollen Sie Ihr Team mittelfristig zwischen NBA-Reiz, Talentförderung und EuroLeague-Ambitionen weiterentwickeln?
Pesic: Es geht für uns vor allem darum, Identifikation zu schaffen und ein Umfeld zu kreieren, in dem ein Spieler länger bleiben und sich entwickeln will, wie jetzt beispielsweise Danilo Barthel, der bei uns als amtierender Finals-MVP verlängert hat. Ich weiß nicht, ob er in zwei Jahren in die NBA gehen wird. Wenn er sich so weiterentwickelt, wird er vielleicht die Möglichkeit haben. Jemand wie Niccolo Melli aber hat zum Beispiel in den letzten Jahren auch mehrfach NBA-Angebote ausgeschlagen, weil ihm die Situation in Europa besser gefiel. Wir versuchen jetzt, das Grundgerüst von Jahr zu Jahr zusammenzuhalten, was uns in den letzten beiden Jahren ganz gut gelungen ist. Natürlich wird das nicht unbedingt leichter, wenn man sieht, dass jetzt zum Beispiel auch in der G-League mehr Geld investiert wird und damit noch mehr Spieler angelockt werden sollen. Aber wir arrangieren uns mit dem, was wir selbst tun können - wir wollen Bedingungen schaffen, in denen sich Spieler wohlfühlen und Potenzial sehen. Dass sich Petteri Koponen jetzt für uns entschieden hat, zeigt, dass auch wir dabei auf einem guten Weg sind. Es bleibt aber ein ständiger Prozess.