SPOX: Herr Baldi, am Mittwoch fordert Alba Berlin im Rahmen der Global Games den NBA-Meister San Antonio heraus. Sie überraschten mit der Aussage, dass Ihnen als Kontrahent die Spurs sogar lieber seien als die Dallas Mavericks mit Dirk Nowitzki. Warum?
Marco Baldi: 2012 gab es nichts Besseres, als dass Dirk im Karriere-Peak mit seinem Team in Berlin antrat. Nachdem wir das schon erlebt haben, kommt jetzt die sportliche Steigerung mit dem amtierenden Champion. Und auch persönlich finde ich es fantastisch. Ganz offen gesagt: NBA-Basketball verfolge ich frühestens ab den Playoffs. Allerdings sind die Spurs eines der wenigen Teams, die mich wirklich interessieren, weil mir die Art und Weise gefällt, wie sie spielen. Sie verkörpern den europäischsten Basketball aller NBA-Teams und sind damit extrem erfolgreich.
SPOX: Sie sind ein mehrfach ausgezeichneter Marketing-Experte: Die Spurs werden als die "weltbeste Mannschaft" beworben - doch welcher Claim passt zu Alba?
Baldi: "Die hungrigste Mannschaft." Unter dem Leitspruch gehen wir ins Rennen. Uns haben mit Jan Jagla, Sven Schultze, Levon Kendall und David Logan einige routinierte Spieler verlassen. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als auf junges Blut zu setzen. Selbst unsere Leistungsträger wie Reggie Redding oder Leon Radosevic, beide Mitte 20, besitzen noch nicht die Erfahrung, mehrere Jahre auf allerhöchstem Level zu spielen. Da messen wir uns mit anderen Kalibern, nehmen wir Bayerns Dusko Savanovic oder Ulms Maarty Leunen. Daher liegt unser Fokus auf zwei Attributen: hohe mannschaftliche Geschlossenheit sowie die höchste Intensität. Angesichts unseres Programms mit der Euroleague und der BBL wird es nicht leicht, das so durchzuziehen. Aber das wird unsere einzige Chance sein, um in Europa halbwegs bestehen zu können, es vielleicht in die Top 16 zu schaffen und in der BBL in der Spitze mitzuhalten. Man muss klar sagen: Es gibt in Deutschland Mannschaften mit mehr Talent, mehr Erfahrung und mehr Abgebrühtheit. Wir müssen die mit der höchsten Intensität und Geschlossenheit sein.
SPOX: Ist dieses Eingeständnis womöglich eine neue Stärke von Alba? Es war zu spüren, dass der Klub nach der Dynastie zwischen 1996 und 2003 lange nach einer neuen Identität gesucht hat.
BBL-Favoritencheck: Die Bayern-Jagd ist eröffnet
Baldi: Vorweg: Es lässt sich nicht alles an Titeln messen. Dass Dynastien enden wie die von Leverkusen, hatte tiefgehende, strukturelle Gründe wie das Bosman-Urteil. Bei uns war es ähnlich und lässt sich nicht einfach auf die Frage reduzieren: Titel oder kein Titel? Uns hat in unserer gesamten Geschichte ausgezeichnet, dass wir immer ein ernsthafter Kandidat für ganz vorne waren. Nachdem wir die Erwartungen nicht immer erfüllen konnten, haben wir uns selbstkritisch hinterfragt und festgestellt, dass wir uns in der Vergangenheit an der Quadratur des Kreises versuchten. Wir wollten alles auf einmal: Wie gewinnen wir die deutsche Meisterschaft? Wie qualifizieren wir uns für die Euroleague? Wie bekommen wir die Halle voll? Wie geben wir dem Publikum einen Local Hero als Liebling und Star? Wie bilden wir zeitgleich Talente für das höchste Niveau aus? Und wie schreiben wir dabei die schwarze Null? Das waren einfach zu viele Ziele auf einmal, daher vollzogen wir letztes Jahr einen Schnitt.
SPOX: Und jetzt?
Baldi: Die schwarze Null muss immer stehen, das ist die Grundvoraussetzung. Darüber hinaus legen wir den Fokus auf die Entwicklung von Profis, die bereits ein bestimmtes Niveau erreicht haben und die Förderung unseres Nachwuchsprogramms. Wir wollen, dass unser Leitspruch "Mit Leib und Seele für Berlin" wirklich gelebt wird. Deswegen haben wir beispielsweise mit Akeem Vargas und Jonas Wohlfarth-Bottermann deutsche Spieler länger unter Vertrag genommen, die - nicht despektierlich gemeint - eher aus der zweiten Reihe kommen und mit uns den Weg gehen wollen.
SPOX: Dazu passt, dass Alex King zum Kapitän ernannt wurde?
Baldi: Alex ist zwar schon 29 Jahre alt, aber auf seine Art jung. Er gehörte früher nie zu den Supertalenten und spielt noch nicht so lange auf dem Top-Level. Daher ist er heiß und will den nächsten Schritt gehen, Verantwortung übernehmen, das Team anführen. Er symbolisiert das Hungrige.
SPOX: Ist trotzdem die Strategie, eher unbekannte deutsche Spieler zu verpflichten wie Vargas, Wohlfahrt-Bottermann und Martin Seiferth, aus der Not geboren?
Baldi: Die Frage ist irrelevant, weil uns ohnehin keine andere Wahl bleibt. Bei Niels Giffey haben wir mitgeboten, weil sein Profil perfekt zu uns passt. Er ist besonders für uns und soll ein Anker unseres Programms werden. Wobei: Selbst bei Niels hat uns Bamberg weit getoppt, was das Finanzielle anbelangt. Ich sage es ohne Bitterkeit und negativen Touch: Wenn Bamberg oder Bayern unbedingt einen deutschen Spieler wollen, können wir nicht mithalten. Dem müssen wir uns stellen. International sind wir es schon lange gewohnt, dass sich Panathinaikos oder ZSKA am Markt bedienen und wir so lange warten. Jetzt ist es national ähnlich mit den zwei wirtschaftlichen Schwergewichten. Wir erkennen das neidlos an und agieren mit unseren Mitteln.
SPOX: Immerhin gelang es Ihnen 2013, mit Ismet Akipinar den vielleicht talentiertesten deutschen Point Guard nach Berlin zu locken. Jetzt steht er vor seiner ersten kompletten Profi-Saison. Ist er bereit, hinter Clifford Hammonds wichtige Backup-Minuten zu bekommen?
Baldi: Ich sehe aktuell keinen anderen in Deutschland, der in seinem Jahrgang auf der Position so viel Potenzial mitbringt wie Ismet. Er hat das Talent für eine so komplexe Position, ist dazu extrem fleißig und hat im Sommer Muskeln aufgebaut. Jetzt kann er physisch in der BBL bestehen. Und was nicht vergessen werden darf: In jedem Trainingsspiel, bei jedem Angriff, muss er den Ball gegen Cliff Hammonds vortragen. Es ist für einen jungen Spieler die Höchststrafe und kann frustrieren - gleichzeitig gibt es keine bessere Schule.
Seite 1: Baldi über die Spurs und das Ende einer Dynastie