Nach einer druckvollen Anfangsphase verflachte das deutsche Spiel so ab der 30. Minute etwas. Das DFB-Team dominierte gegen harmlose Niederländer zwar weiterhin, große Torchancen oder allzu kreative Aktionen blieben nun aber aus. Und wie reagierten die Fans? Minutenlang ließen sie die Laola-Welle durch die Münchner Arena schwappen, ehe sie ihre Mannschaft beim Stand von 0:0 mit viel Applaus in die Kabine verabschiedeten.
Ganz wunderbar unterstreichen diese Beobachtungen die positive Grundstimmung, die das DFB-Team aktuell umgibt. Als Debütant Jamie Leweling vom VfB Stuttgart Mitte der zweiten Halbzeit zum entscheidenden 1:0 gegen die Niederlande traf, sangen die Fans: "Die Nummer 1 der Welt sind wir!" Kurz vor Schluss hieß es: "Oh, wie ist das schön!"
Wie schon nach der Länderspielphase im September lässt sich auch nach den beiden knappen, aber souveränen Siegen gegen Bosnien und Herzegowina und die Niederlande resümieren: Die EM-Euphorie hält an, die Bindung zwischen der jahrelang verspotteten Nationalmannschaft und ihren mittlerweile versöhnten Fans verfestigt sich weiter. Bundestrainer Julian Nagelsmann hat innerhalb eines Jahres eine nachhaltige Trendwende geschafft - sportlich und atmosphärisch.
DFB-Team: Das Selbstverständnis ist zurück
Das DFB-Team tritt mittlerweile mit einem ganz anderen Selbstverständnis, einer ganz anderen Siegesgewissheit auf als noch unter Hansi Flick und in der Anfangszeit unter Nagelsmann. Der EM-Halbfinalist Niederlande trat Deutschland äußerst abwartend, fast schon ängstlich gegenüber. "Die anderen merken, dass wir einen besseren Fußball spielen", sagte Kapitän Joshua Kimmich. "Ich habe den Respekt gespürt."
Zudem hat sich das DFB-Team eine besondere Resilienz angeeignet, bricht auch in schwierigen Situationen, rostigen Stadien wie im bosnischen Zenica oder knappen Spielen nicht mehr ein. "Wir wollen es wieder selbstverständlicher gestalten, Spiele zu gewinnen", sagte Kimmich. "Das war es in den letzten Jahren nicht." Behilflich dabei ist, dass den Länderspielen zwischen Turnieren wieder eine größere Relevanz beigemessen wird, von Fans wie Spielern.
Es war ein kluger Schachzug von Nagelsmann, im Sommer die Bedeutung der hierzulande lange belächelten (im Ausland aber deutlich ernster genommenen) Nations League explizit zu betonen. Nach vier von sechs Spielen hat sich das DFB-Team vorzeitig für das Viertelfinale qualifiziert. Bei einem Einzug ins Halbfinale könnte im kommenden Sommer das Final-Four in Deutschland steigen. Nur ein Jahr nach der gelungenen EM würde ein Hauch von Turnier-Atmosphäre aufkommen.
DFB-Team: Nagelsmanns System funktioniert personalunabhängig
Die wohl wichtigste Erkenntnis dieser Länderspielphase lautet aber: Nagelsmanns mutiges, attraktives System funktioniert personalunabhängig.
Mit Keeper Manuel Neuer, den beiden Mittelfeldstrategen Toni Kroos und Ilkay Gündogan sowie Thomas Müller verabschiedeten sich nach der überzeugenden EM vier tragende Säulen. Bei den September-Länderspielen überzeugte schon die erweiterte EM-Startelf ohne das Legenden-Quartett.
Nun in München waren die Legenden (bis auf den verhinderten Kroos) zwar zurück, aber nur zur feierlichen Verabschiedung. Weil für diese Länderspielphase zudem sieben Spieler absagten, musste Nagelsmann seine Mannschaft großräumig umbauen - und dennoch gelangen zwei Siege. Wie das möglich ist? "Wir haben ein funktionierendes System und funktionierende Abläufe", sagte Kimmich. Der neue Kapitän war neben Antonio Rüdiger einer von nur zwei Spielern, die sowohl beim EM-Aus gegen Spanien als auch jetzt gegen die Niederlande in der Startelf standen.
Nachdem gegen Bosnien Alexander Nübel, Tim Kleindienst und Jonathan Burkardt zu ihren ersten DFB-Einsätzen gekommen waren, debütierten gegen die Niederlande Oliver Baumann und Siegtorschütze Leweling. Die jungen Mittelfeldspieler Aleksandar Pavlovic (20, FC Bayern) und Angelo Stiller (23, VfB Stuttgart) standen erstmals in der Startelf.
DFB-Team: Die Stuttgarter Undav und Mittelstädt drängen in die Stammelf
Ohne explizite Glanzlichter zu setzen, boten sich Pavlovic und vor allem Stiller mit ordentlichen Auftritten für weitere Einsätze auf der Doppelsechs an. Nagelsmanns mutiges Experiment gegen hochkarätige Konkurrenz machte Hoffnung. Bis zur WM 2026 dürften Pavlovic und Stiller die beiden zuletzt gesetzten Routiniers Pascal Groß (33) und Robert Andrich (30) ernsthaft herausfordern.
In der Offensive meldete sich Serge Gnabry mit zwei soliden Startelf-Auftritten zurück. Leweling empfahl sich nicht nur wegen seines Treffers für weitere Nominierungen. Sein Stuttgarter Kollege Deniz Undav darf sich nach seinem Doppelpack gegen Bosnien künftig Chancen auf die Stammelf ausrechnen. Aber wohl eher nicht auf der Zehn, wo der von Nagelsmann hochgeschätzte Kai Havertz wohl weiterhin gesetzt ist. Sondern als Alternative zu Niclas Füllkrug im Sturmzentrum. Kleindienst bot sich unterdessen nicht für weitere Einsätze an.
Wie im Sturm tobt auch links hinten ein offener Konkurrenzkampf. David Raum gefiel bei den beiden Länderspielen im September, musste nun aber verletzt passen. Maximilian Mittelstädt, der seinen Stammplatz im Laufe der EM verloren und im September keine Sekunde gespielt hatte, machte es nun ähnlich gut. An der Seite des gesetzten Abwehrchefs Antonio Rüdiger überzeugten in der Innenverteidigung sowohl Jonathan Tah (gegen Bosnien) als auch Nico Schlotterbeck (gegen die Niederlande). Kimmich, Wirtz und - sofern fit - Jamal Musiala sind unumstritten gesetzt.
Die beiden Debütanten-Keeper Nübel und Baumann bekamen wegen der guten Defensivarbeit wenig zu tun, wenngleich Baumann gegen die Niederlande in der Schlussphase einmal stark parierte. Wer den verletzten Marc-André ter Stegen in den kommenden Spielen vertreten wird, erscheint völlig unklar.