Es war kaum zu glauben, aber in den vergangenen zwei Wochen ist tatsächlich ein Hauch von Euphorie um die deutsche Nationalmannschaft entstanden. Okay, keine richtige Euphorie im ursächlichen Sinne. Aber immerhin so viel Euphorie, wie sie unter den aktuellen Umständen halt entstehen kann: nach drei verkorksten Turnieren hintereinander und dem verheerenden Jahr 2023 samt abschließenden Pleiten in den Prestige-Duellen mit der Türkei und Österreich.
Woher der Euphorie-Hauch? Julian Nagelsmann hat einen Kader des Momentums mit frischen Neulingen nominiert und gleichzeitig ein Startelf-Gerüst für die anstehende Heim-EM geschaffen. Die Entscheidungen des Bundestrainers riefen bei den Fans überwiegend positive Reaktionen hervor. Genau wie die Vorstellung der EM-Bekleidung von adidas.
Das weiße Heim-Trikot erfreute Traditionalisten, das rosa Auswärts-Trikot sorgte dank sicherlich einkalkulierten Debatten für riesige Aufmerksamkeit - und vor allem für den besten Verkaufsstart eines DFB-Auswärtstrikots in der Geschichte. Auch das begleitende Werbevideo mit dem Slogan "Typisch deutsch" kam ziemlich gut an.
Spätestens am Donnerstag, zwei Tage vor dem Testspiel gegen Frankreich war alle aufkeimende Euphorie aber schon wieder verflogen. Nach Jungspund Aleksandar Pavlovic und Rückkehrer Manuel Neuer musste sich auch noch der überraschend nominierte Jan-Niklas Beste vom 1. FC Heidenheim verletzt abmelden. Und dann verkündete der DFB völlig überraschend das Ende der über 70 Jahre andauernden Zusammenarbeit mit adidas. Ab 2027 wird der Verband vom US-amerikanischen Unternehmen Nike ausgestattet.
Nike statt adidas: Aufschrei unter Fans und Politikern
Obwohl sich ganz nüchtern betrachtet lediglich das Firmen-Logo rechts oben auf der Brust ändert und drei Stoffstreifen verschwinden, löste diese Entscheidung einen Sturm der Entrüstung aus.
Bei einer Bild-Umfrage sprachen sich von 400.000 Teilnehmern 85 Prozent gegen den Ausrüster-Wechsel aus. Es wurde brachial deutlich, wie emotional viele Fans die traditionelle Zusammenarbeit zwischen DFB und adidas betrachten. Große Triumphe werden auch mit ihren Trikots verbunden, Trikots mit dem jeweiligen Ausrüster.
Tatsächlich vereinten sich sogar Politiker aller Parteien in ihrer Kritik. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) hätte sich "mehr Standortpatriotismus" gewünscht, laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wurde "ein Stück Heimat vernichtet", der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz nannte den Ausrüster-Wechsel "unpatriotisch". Die Liste an Politiker-Aussagen ließe sich ausführlich weiterführen. Gemeinsam haben sie nicht nur den Tenor, sondern auch eine ordentliche Prise Populismus. Ganz unabhängig davon, dass schon Fotos kursieren, die Habeck beim Joggen mit einer Nike-Hose zeigen.
Oliver Bierhoff, Nike und die Akademie: Eine gewisse Tragik-Komik
Ja, mit Blick auf den Standort und die gemeinsame Geschichte wäre eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit adidas sicherlich romantischer - unter den aktuellen Umständen aus DFB-Sicht aber fahrlässig gewesen. Nachdem frühere Ausschreibungen nichts mit einem transparenten, fairen Wettbewerb zu tun hatten, nahm der DFB diesmal "das mit Abstand beste wirtschaftliche Angebot" an, wie Dr. Holger Blask, Vorsitzender der DFB-Geschäftsführung betonte.
Außerdem verschrieb sich Nike explizit der "Förderung des Amateur- und Breitensports sowie der nachhaltigen Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland". Dem Vernehmen nach kassiert der Verband von Nike künftig 100 Millionen Euro pro Jahr, adidas bezahlt aktuell etwa die Hälfte. Der DFB muss auch im Interesse seiner 7,3 Millionen Mitgliedern handeln. Ihnen aufgrund von historischer Folklore den Verzicht auf jährlich 50 Millionen Euro zu erklären, wäre schwierig gewesen.
Überhaupt hat der hochverschuldete DFB die nun generierten Mehreinnahmen bitter nötig. Gerichtsverfahren und das schlechte Abschneiden der A-Nationalmannschaft bei den zurückliegenden Turnieren, vor allem aber auch die explodierenden Baukosten des DFB-Campus rissen ein tiefes Loch in das Budget. (All das den Mitgliedern zu erklären, ist übrigens auch schwierig.)
Die Planung und somit letztlich auch die Kostenexplosion des Campus' hat zu großen Teilen der langjährige DFB-Manager Oliver Bierhoff zu verantworten. In einer Verbands-Mitteilung wurde er einst als "Architekt der Akademie" betitelt. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik-Komik, dass ausgerechnet die auch dadurch entstandene Geldnot nun lange nach seinem Abschied den Ausrüster-Wechsel des DFB begünstigte. Tatsächlich erfüllte sich damit nämlich eine große Vision Bierhoffs.
Noch relativ frisch im Job, strebte das ehemalige Nike-Testimonial Bierhoff bereits 2006 einen Ausrüster-Wechsel an. Nike bot schon damals mehr Geld, auch aufgrund des öffentlichen Drucks entschied sich der DFB dennoch für eine Verlängerung der Zusammenarbeit mit adidas und somit den Verzicht auf höhere Einnahmen. Die nun vollzogene Kehrtwende begrüßte Bierhoff wenig verwunderlich.
Wie bei der WM-Doku und bei der Flick-Entlassung: DFB beweist unglückliches Timing
So rational nachvollziehbar der nun verspätet vollzogene Wechsel trotz aller populistischer Kritik daherkommt, so unglücklich ist das Timing. Die Verkündung erstickt die gerade aufkeimende Euphorie und sorgt kurz vor den Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande für völlig überflüssige Unruhe.
In einer ausführlichen Mitteilung schilderte der DFB am Freitag zwar den exakten Hergang. Trotzdem bleibt die Frage, warum diese heikle Angelegenheit mit entsprechender Planung und anderen Deadlines nicht wann anders kommuniziert werden konnte. Und die Frage, warum diese detaillierten Informationen nicht direkt mit der Verkündung am Donnerstag mitgereicht wurden, sondern erst nach dem öffentlichen Aufschrei.
Tatsächlich passt dieses Vorgehen zu den Eindrücken der jüngeren Vergangenheit. Es ist nicht das erste Mal, dass der DFB äußerst unglückliches Timing beweist. So war es auch schon, als im September ausgerechnet am Tag vor dem Testspiel gegen Japan die entlarvende WM-Graugänse-Dokumentation ausgestrahlt wurde. Leichtsinnig hatte der Verband die Entscheidung über den Veröffentlichungszeitpunkt Amazon überlassen. "Ganz ehrlich: Kann man da keinen besseren Termin finden? Das ist typisch DFB", klagte damals Rekordnationalspieler Lothar Matthäus.
Ähnlich wie nun über die Formulierung "Typisch deutsch", ließe sich mittlerweile auch ein Video über "typisch DFB" zusammenschneiden. Das nächste unglückliche Timing erfolgte nur wenige Tage nach der Doku-Ausstrahlung und der darauffolgenden Niederlage gegen Japan. Und zwar, als es darum ging, Flicks Entlassung zu kommunizieren. Veröffentlicht wurde die Meldung ausgerechnet während dem Finale der Basketball-WM. Die DBB-Auswahl gewann den Titel, die Schlagzeilen aber gehörten dem DFB.
Fragwürdig erscheint im Zuge des nun vollzogenen Ausrüster-Wechsels auch der Umgang mit dem langjährigen Partner adidas. Wie die Firma mitteilte, sei sie erst am Tag der Verkündung vom DFB über die Entscheidung informiert worden. Pikant ist vor diesem Hintergrund auch der Umstand, dass der DFB-Tross während der Heim-EM ausgerechnet in der adidas-Zentrale in Herzogenaurach residieren wird.
DFB-Team: Der Kader für die Länderspiele im März
Position | Spieler |
Tor | Oliver Baumann (TSG Hoffenheim), Bernd Leno (FC Fulham), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) |
Abwehr | Waldemar Anton (VfB Stuttgart), Benjamin Henrichs (RB Leipzig), Joshua Kimmich (Bayern München), Robin Koch (Eintracht Frankfurt), Maximilian Mittelstädt (VfB Stuttgart), David Raum (RB Leipzig), Antonio Rüdiger (Real Madrid), Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) |
Mittelfeld | Robert Andrich (Bayer Leverkusen), Chris Führich (VfB Stuttgart), Pascal Groß (Brighton & Hove Albion), Ilkay Gündogan (FC Barcelona), Toni Kroos (Real Madrid), Jamal Musiala (Bayern München), Florian Wirtz (Bayer Leverkusen) |
Angriff | Maximilian Beier (TSG Hoffenheim), Niclas Füllkrug (Borussia Dortmund), Kai Havertz (FC Arsenal), Thomas Müller (Bayern München), Deniz Undav (VfB Stuttgart) |