SPOX: Nikola, bevor wir anfangen, sollen wir das Interview auf Deutsch oder doch lieber auf Französisch machen?
Nikola Karabatic: (lacht) Lieber Deutsch. Es tut mir ganz gut, wenn ich mal wieder ein bisschen mehr Deutsch spreche, damit ich die Sprache nicht verlerne.
SPOX: Wie stark schätzen Sie Deutschland derzeit ein?
Karabatic: Deutschland ist sehr stark. Sie spielen gut zusammen, stehen sehr gut in der Abwehr und haben ein gutes Tempospiel. Im Prinzip fehlt es ihnen nur ein bisschen, dass sie mal einen großen Sieg gegen eine Top-Mannschaft schaffen und sich eine Eigendynamik entwickelt. Gegen Spanien hätten sie diesen Sieg schaffen können, aber dann haben sie auf sehr bittere Art und Weise verloren, wie ich gehört habe.
SPOX: Das kann man wohl sagen.
Karabatic: Dennoch. Ihr habt eine gute Mannschaft. Auch eine neue Mannschaft. Die alten Stars sind nicht mehr dabei, oder der Trainer hat sie nicht mehr mitgenommen wie im Fall Toto Jansen. Markus Baur, Christian Schwarzer - diese ganze Generation, die alles gewonnen hat, ist nicht mehr dabei. Jetzt muss sich diese neue Generation einen Namen machen. Das ist nicht einfach, aber sie haben das Potenzial dazu, da bin ich sicher. Sie müssen nur das Vertrauen bekommen. Auch in sich selbst.
SPOX: Wo liegen aus ihrer Sicht die Stärken der deutschen Mannschaft?
Karabatic: Deutschland hat eine wirklich starke Rückraum-Linie mit vielen gefährlichen Spielern. Mimi Kraus, auch wenn er noch nicht so gut ins Turnier gefunden hat, ist ein Spieler, der jederzeit alleine im Eins-gegen-eins die Entscheidung bringen kann. Oder Holger Glandorf. Wenn er dieses Vertrauen hat, ist er sehr gefährlich. Das gleiche gilt für Pascal Hens auf der anderen Seite. Deutschland hat Spieler, die von jeder Position werfen können. Dazu kommen die starken Torhüter. Silvio Heinevetter hat in Berlin sehr, sehr gut gespielt. Wie gesagt: Das ist eine gute Mannschaft.
SPOX: Haben Sie noch Kontakt zu einigen deutschen Spielern, die Sie aus Kieler Zeiten kennen?
Karabatic: Ich habe vor allem noch Kontakt zu Dominik Klein. Wir telefonieren nicht jede Woche, aber wir bleiben in Kontakt. Ich verfolge nach wie vor, was der THW macht. Wenn ich kann, schaue ich mir auch die Spiele an. Ich habe noch viele Freunde in Kiel.
SPOX: War der Wechsel nach Montpellier die richtige Entscheidung?
Karabatic: Für mich war es auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Ich fühle mich sehr wohl in Montpellier. Die französische Liga ist sicher nicht so stark wie die Bundesliga, aber ich fühle mich wohl. Meine Familie ist dort, ich spiele mit meinem Bruder Luka zusammen, und ich genieße das Leben und die Sonne. Ich fühle mich rundum wohl.
SPOX: Aber in der französischen Liga müssen Sie sich doch oft unterfordert vorkommen, oder nicht?
Karabatic: Das stimmt schon. Wir haben vielleicht vier oder fünf gute Mannschaften. Gegen die müssen wir kämpfen, der Rest besteht doch aus recht leichten Gegnern. Aber ich habe immer noch die Nationalmannschaft und die Champions League - da kommen genug große Spiele für mich zusammen. Außerdem ist es auch gut für meinen Körper, wenn ich die Belastung etwas herunter schrauben kann. In der Bundesliga war das schon sehr hart, du musst in jedem Spiel alles geben, dazu kam das Tempospiel, das wir beim THW aufgezogen haben. Das war am Ende wirklich viel, was der Körper aushalten musste. Auch deshalb war der Wechsel gut für mich.
SPOX: Könnten Sie sich dennoch grundsätzlich vorstellen, noch einmal in die Bundesliga zurückzukehren?
Karabatic: Im Handball oder im Sport generell soll man niemals nie sagen. Man kann nicht planen, was in einigen Jahren sein wird, insofern kann ich es nicht ausschließen. Aber zurzeit fühle ich mich in Montpellier wie schon erwähnt sehr wohl. Und wenn Montpellier als Verein weiter ehrgeizige Ziele verfolgt und noch ein paar große Spieler verpflichtet, dann will ich nicht weg aus Montpellier.
SPOX: In der Bundesliga hätten Sie dann auch wieder die Belastung, die Sie schon angesprochen haben. Wissen Sie eigentlich, wie viele Spiele Sie in den letzten Jahren so gemacht haben?
Karabatic: Ganz genau weiß ich das nicht, aber in der Bundesliga war der Rhythmus wirklich krank. In Kiel habe ich unglaublich viele Spiele absolviert. Du spielst einfach immer, selbst wenn du ein bisschen verletzt bist. Das war schon extrem.
SPOX: Trotzdem läuft es in der Nationalmannschaft seit einigen Jahren absolut perfekt. Frankreich ist amtierender Olympiasieger, Frankreich ist amtierender Europameister, Frankreich ist amtierender Weltmeister. Wo kommt die Motivation für weitere Titel her?
Karabatic: Ich denke, das Schöne an unserer Mannschaft ist, dass wir Titel gewinnen und diesen Erfolg danach in eine Schublade stecken und sie zumachen. Wir vergessen unsere Titel zwar nicht, aber wir blicken dann wieder nach vorne und wollen noch mehr erreichen. Wenn du so viel gewinnst, wirst du immer noch ehrgeiziger. Du gewöhnst dich ans Gewinnen und willst einfach nicht mehr verlieren. Wir sind nicht satt, sondern haben großen Hunger auf weitere Erfolge.
SPOX: Ich könnte mir vorstellen, dass in der Heimat auch weitere Titel erwartet werden. Selbst der zweite Platz wäre für Frankreich ja eine Enttäuschung.
Karabatic: Das stimmt. Wir haben die Leute mit unseren Erfolgen verwöhnt und sie haben sich daran gewöhnt, dass wir gewinnen. Wenn wir jetzt ohne Titel nach Hause kommen würden, wäre das sicher komisch für die Franzosen. Aber wir wissen, dass wir nicht jede WM, EM und jedes olympische Turnier gewinnen können. Das ist Sport, da kann alles passieren. Wir wollen diesen Moment, an dem wir nicht mehr gewinnen, aber gerne einfach immer weiter auf das nächste große Turnier verschieben. Wir denken gar nicht über eine mögliche Niederlage nach. Wir nehmen ein Spiel nach dem anderen und wollen unser Bestes geben. Wenn es dann nicht klappen sollte, dann klappt es eben nicht. Aber wir sind motiviert und wollen solange es nur irgendwie geht auf unserem Top-Niveau bleiben.
SPOX: Ein Problem sind bei dieser WM ohne Frage die Ausfälle von Guillaume Gille und Daniel Narcisse. Es kommen zwar einige Talente nach, aber kann Frankreich solche Ausfälle elementar wichtiger Spieler verkraften?
Karabatic: Das werden wir sehen. Wenn William Accambray und Xavier Barachet gut spielen, haben wir eine Chance, bis zum Ende des Turniers dabei zu bleiben. Wenn sie aber nicht gut spielen, wird es schwer für uns. Der Ausfall von Daniel Narcisse tut uns sehr weh, er war wirklich extrem wichtig für uns. Auch Guillaume Gille fehlt uns natürlich. Uns fehlen zwei Spieler, die sowohl in der Abwehr als auch im Angriff spielen konnten. Und es fehlt uns ihre Erfahrung. Die ganze Rotation ist durcheinander gekommen, deshalb müssen einige neue Spieler zeigen, dass sie uns helfen können. Dann haben wir eine Chance.
SPOX: Was würden Sie denn als die größte Stärke des französischen Teams bezeichnen?
Karabatic: Wir sind sehr ehrgeizig. Und wir sind sehr stark im Kopf, glaube ich. Wenn wir gewinnen, denken wir nicht, dass wir die Größten sind. Wir stellen uns immer wieder selbst in Frage und wollen in jedem Spiel aufs Neue zeigen, was wir können. Jedes Spiel geht wieder von null los. Und im Spiel selbst definieren wir uns auf jeden Fall über unsere Abwehr. Das ist unsere größte Stärke. Unsere Identität.
SPOX: Es ist ja interessant, dass Frankreich einfach alles gewinnt, aber nicht den Welthandballer stellt. Filip Jicha hat die Wahl gewonnen. Einverstanden damit?
Karabatic: Filip hat die Champions League gewonnen, insofern hat er es schon verdient. Er hat auch wirklich gut gespielt, auch wenn er mit der Nationalmannschaft von Tschechien keinen großen Erfolg hatte. Ich weiß nicht, vielleicht hätten sie schon noch mehr Franzosen in Betracht ziehen können. Luc Abalo hat beispielsweise vor zwei Jahren die WM und die Champions League mit Ciudad Real gewonnen. Er hätte eine Nominierung verdient gehabt. Aber die Wahl von Filip ist schon in Ordnung.
SPOX: Mal eine ganz andere Frage: Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn Sie nicht Handballer geworden wären?
Karabatic: Das ist eine schwere Frage. Es gab keine andere Wahl für mich als Handball. Schon mit 9 Jahren war ich mir sicher, dass ich unbedingt Handballer werden will. Ich war da sehr klar im Kopf und es gab dafür auch gar keine Alternative. Ich weiß ehrlich nicht, was ich gemacht hätte, wenn es mit dem Handball nicht geklappt hätte.
SPOX: Sie leben Handball, wie schalten Sie in Ihrer wenigen Freizeit mal ab?
Karabatic: Es ist gar nicht so einfach, wirklich vom Handball loszukommen. Man ist ständig nur am trainieren und spielen. Man kommt eigentlich nicht davon los. Aber ich versuche trotzdem, viele verschiedene Dinge zu machen. Ich gehe ins Kino und bin viel im Internet unterwegs.
SPOX: Und was hat es mit dieser Lego-Geschichte auf sich?
Karabatic: (lacht) Das war nur einmal. Ich habe einmal den Eiffelturm gebaut, aber das war es dann auch. Ich habe auch mal ein bisschen gemalt, aber das war keine große Kunst. Nichts Besonderes.
SPOX: Besonders ist aber Ihre Herkunft. Erklären Sie doch noch mal allen, wie das in Ihrer Familie aussieht.
Karabatic: Es ist schon interessant, das ist richtig. Ich bin in Serbien geboren, meine Mutter ist Serbin, mein Vater Kroate, und mein Bruder ist in Straßburg geboren. Und ich habe vier Jahre in Deutschland gelebt. Ich fühle mich als Europäer. Ich bin stolz, dass ich in Serbien geboren bin, ich bin aber auch stolz, dass ich Familie in Kroatien habe. Ich bin einfach stolz auf die Mischung.