Es läuft die 50. Spielminute in der Kristianstad Arena. Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät: Deutschland: 21. Spanien: 18. Nur noch zehn Minuten trennen das DHB-Team von einem wirklich großen Sieg, der die WM in Schweden erst so richtig lancieren könnte und das Wort Halbfinale aussprechbar machen würde.
Juan Antonio Garcia setzt sich auf Linksaußen durch, aber er scheitert am überragenden Johannes Bitter im deutschen Tor. Es spricht jetzt eigentlich alles für einen deutschen Sieg.
Obwohl es 2-Minuten-Strafen en masse hagelte und Sebastian Preiß und Lars Kaufmann nach ihrer dritten Hinausstellung bereits Rot sahen, scheint Deutschland nichts aufhalten zu können. Auch dass Michael Kraus erneut von der Rolle ist, wird weggesteckt.
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Es sah so gut aus
Weil Jogi den Kasten zunagelt. Und weil der Leitspruch von Heiner Brand, dass jeder Spieler im Kader während des Turniers gebraucht wird, mit Leben erfüllt wird. Durch die unzähligen Strafen ist der Bundestrainer zu vielen Wechseln gezwungen - Leute spielen im Mittelblock, die da noch nie zusammen gespielt haben. Aber es macht alles nichts.
Es ist zu spüren, dass die Mannschaft diesen Sieg unbedingt will. Holger Glandorf ist richtig aufgeladen, wechselt sich sogar später dann einmal selbst aus, weil er einfach nicht mehr kann.
Neuling Jacob Heinl steht in seinem ersten großen internationalen Spiel seinen Mann - und Adrian Pfahl springt für den mit muskulären Problemen ausgewechselten Christian Sprenger ein.
Selbst der slowenische Offizielle Leon Kalin am Schiedsrichtertisch, seit dem Ägypten-Spiel nicht als Freund der deutschen Mannschaft bekannt, staucht diesmal die spanische Seite zusammen. Es läuft. Dachte man.
Der Kollaps
Was aber dann folgte, verdient nur ein Wort: Kollaps. Und was für einer.
"Ich hatte das Gefühl, dass wir es schaffen, aber dann ist das Spiel mit der Abwehrumstellung der Spanier urplötzlich gekippt. Als Torhüter steht man machtlos hinten drin. Ich habe versucht, die Jungs aufzubauen und ihnen Mut zu machen, im Angriff draufzuhauen. Solange wir nicht werfen, können wir auch keine Tore machen. Aber das haben wir nicht gemacht. Am liebsten wäre ich selbst mit nach vorne gelaufen und hätte geworfen", sagte Bitter nach dem Spiel im Gespräch mit SPOX.
Die Bitter-Show... wertlos
Dass der HSV-Keeper eine so überragende Leistung brachte und man diese quasi verschwendete, macht die Sache nur umso bitterer. Er erhielt das Vertrauen von Brand, etwas überraschend vor Silvio Heinevetter, und pushte das Team von hinten heraus unglaublich an.
Während eines Spiels zu beobachten, wie Bitter das Torwartspiel durchlebt, ist eine Show an sich. Aber es half am Ende eben alles nichts.
Versagt im entscheidenden Moment
Weil eine simple Anweisung des spanischen Trainers Valero Rivera das Spiel drehte. Als Spanien auf eine extrem offensive Deckung umstellte, mit einem "Indianer da vorne" (O-Ton Michael Haaß), brach das deutsche Angriffsspiel in sich zusammen. Die Kontrolle war auf einmal komplett weg. Strukturiertes Spiel? Nicht mehr vorhanden.
Aber warum nur? Das DHB-Team war genau auf diese Variante vorbereitet. "Das haben wir schon Anfang Januar im Trainingslager in Ahrensburg angesprochen", erklärte Brand nach dem Spiel. Wochenlang wurde das Spiel gegen so eine Abwehr geübt, aber als es darauf ankam, konnte man nichts von dem umsetzen.
"Man hätte es ruhig, souverän und klar runterspielen können, aber so weit sind wir dann wohl doch noch nicht", gab Haaß gegenüber SPOX ehrlich zu. Den Kopf habe man verloren, keine Mittel mehr gefunden. Es scheint eine klare Erkenntnis, dass es nun mal genau das ist, was Deutschland aktuell noch von Mannschaften wie Spanien trennt.
Selbst Brand, der normalerweise immer positive Dinge heraushebt, wollte angesichts der riesigen Chance, die man vertan hat, nur wenige positive Dinge finden. Der Bundestrainer bemängelte vor allem die vielen technischen Fehler seines Teams.
"Am Ende abgekackt"
Aber auch Brand muss sich einige Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel, ob er Uwe Gensheimer und vor allem Pascal Hens nicht zu lange auf der Bank ließ. Sven-Sören Christophersen machte zwar in der Abwehr einen guten Job, aber im Angriff schien der Berliner mit der Komplexität der Aufgabe und der Situation an sich überfordert.
"Schwer zu sagen, ob ich der Mannschaft hätte helfen können. Vielleicht. Die Frage muss der Bundestrainer beantworten. Er wollte wohl Smöre drin lassen, weil er gut gedeckt hat, und er wollte dann den langen Wechsel nicht machen. Es ist schon ein herber Rückschlag. Es war ein Schlüsselspiel, es war mehr drin, aber Spanien war abgezockter und wir haben am Ende abgekackt", meinte Kapitän Hens nach dem Spiel gewohnt deutlich.
Im Gegensatz zu den meisten anderen sah Hens den Grund aber nicht in der Taktik-Umstellung der Spanier. "Das hatte damit überhaupt nichts zu tun. Es war einfach so, dass wir auf die Anzeigetafel geschaut haben und angefangen haben nachzudenken. Wir haben vergessen, weiter Handball zu spielen und wollten nur noch verwalten. Vorne waren wir dann zu halbherzig und haben nicht mehr genügend Druck gemacht", sagte Hens.
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Frankreich die Stirn bieten
So muss man jetzt mit einer Niederlage leben, die extrem weh tut. Und man muss nach vorne schauen. Auf Frankreich. Auf ein Spiel am Mittwoch, bei dem man gegen den WM-Topfavoriten nichts zu verlieren hat. Man muss sich keine Sorgen machen, dass die Mannschaft wegbrechen könnte. Der Kampfgeist war trotz aller Enttäuschung bei allen Spielern schon kurz nach der Pleite wieder erkennbar.
Selbst Kraus, der zu sehr mit sich selbst beschäftigt wirkt und sichtbar unzufrieden ist, rang sich zu der Aussage durch, dass man Frankreich "jetzt die Stirn bieten" wolle. Dass das deutsche Team das will, ist klar. Dass es das bis zu einem gewissen Grad auch kann, ebenso.
Nur noch Platz sieben als Ziel?
Aber diese WM scheint sich viel mehr zu einem Realitätschecks zu entwickeln. Ein Realitätscheck mit folgenden Grundgedanken: Gegen Frankreich wird man wohl kaum eine Chance haben. Das Halbfinale wäre dann endgültig abgehakt.
An ein theoretisch noch denkbares Aus im letzten Vorrunden-Spiel gegen Tunesien sollte man nicht zu viele Gedanken verschwenden.
Deutschland muss in die Hauptrunde einziehen und dann geht es darum, den im Hinblick auf Olympia 2012 wichtigen siebten Platz zu sichern. Mit Sicherheit kein Selbstläufer, aber absolut machbar.
Und sollte zum Abschluss der siebte Platz zu Buche stehen, dann sollte Handball-Deutschland auch so realistisch sein und sagen: Wir haben das bestmögliche Team an den Start gebracht und das Resultat erzielt, das dem aktuellen Leistungsvermögen entspricht.
Ein siebter Platz darf dann keine Enttäuschung sein. Dass wahrscheinlich nicht mehr drin ist, haben die letzten zehn Minuten des Spanien-Spiels klar gezeigt.
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