SPOX: Es erscheint, als ob es dem deutschen Fußball nicht wichtig genug ist.
Kuntz: Ja. Schönes Stadion, viele Fans, tolle Atmosphäre - als Traditionsverein ist man weiterhin sympathisch. Doch das reicht nicht, um Maßnahmen auszulösen, die die Wettbewerbsfähigkeit solcher Klubs verbessern würden. Denn die Bundesliga wird angenommen und boomt in allen Bereichen, ganz egal ob Paderborn und Ingolstadt oder Düsseldorf und Nürnberg in der Liga spielen. Doch in zehn, 15 Jahren wird man dann seinen Enkeln erklären müssen, wie es früher war, als 50 Gäste-Fanbusse am Stadion ankamen und während des Spiels für eine großartige Unterstützung des Gastvereins gesorgt haben. Wir schauen zu Recht mit Neid auf die TV-Einnahmen der Engländer, aber sollten auch einen Blick darauf haben, weshalb die Engländer mit Neid zu uns schauen: Stehplätze, erschwingliche Eintrittspreise und eine supertolle Stimmung in den Stadien.
SPOX: Ist der Gedanke an das glorreiche Früher, als noch echte Kerle als Identifikationsfiguren jahrelang für denselben Klub spielten, ein Problem im gegenwärtigen Kaiserslautern?
Kuntz: Ja.
SPOX: Weil sich die Leute nicht damit abfinden können, dass diese Zeiten endgültig vorbei sind?
Kuntz: So ist es. Natürlich war das Spiel in den 1980er und 1990er Jahren anders, da hat man am Betzenberg den Gegner auch mal Richtung Trainerbank getreten. Diesen Fußball gibt es aber nicht mehr. Und es war damals, als der FCK in der Bundesliga war, für einen Spieler auch sicherlich einfacher zu sagen, ich bleibe jetzt ein paar Jahre hier. Wohin hätte einer, der mit dem FCK um die Meisterschaft mitspielt, auch wechseln sollen?
SPOX: Warum ist die Vergangenheit noch derart in den Köpfen des FCK-Publikums verankert?
Kuntz: Ganz viele Leute jedweden Alters identifizieren sich so stark mit unserem Klub und seinem Schicksal, dass sie all das, was ihm widerfährt, selbst spüren. Bei Misserfolg fühlt es sich für sie an, als ob sie vom FCK im Stich gelassen wurden.
SPOX: Sind das für Sie dann auch Fußball-Romantiker?
Kuntz: Natürlich, zu einhundert Prozent. Viele Leute kommen alle 14 Tage zum Heimspiel und vermissen einen Hans-Peter Briegel, Hannes Bongartz, Pavel Kuka, Axel Roos, Miro Klose oder Harry Koch - weil sie für die Werte standen, mit denen sie sich identifiziert haben. Die Identifikation mit der Gegenwart ist dagegen bis zu einem gewissen Maß abhandengekommen. Das liegt auch daran, dass der Fußball nun von einer anderen Generation gespielt wird und sich dieser Sport einfach extrem verändert hat. Das sollte man jedoch sehen und akzeptieren können. Ich glaube, die emotionale Bindung zum FCK ist so stark, dass sie die aktuellen Sachlagen überlagert.
SPOX: Die Briegels und Kukas werden niemals wieder kommen.
Kuntz: Das ist Teil des Problems. Wenn man als Verein erst in den letzten zehn Jahren eine tragende Rolle im Profifußball gespielt hat, gibt es diese Erinnerung an das Früher beim eigenen Publikum auch nicht. Wir haben Zuschauer, die noch Fritz Walter spielen sahen und genau wissen, welche deutschlandhistorische Bedeutung die Weltmeister von 1954 hatten. Die Helden von damals hatten eine völlig andere Einstellung zu ihrem Beruf als die heutigen Spieler, doch die werden viel mehr gehypt.
SPOX: Heißt: Einige Zuschauer gehen seit Jahren mit immer gleichen Erwartungen auf den Betzenberg, ohne dabei die aktuelle sportliche Entwicklung zu berücksichtigen?
Kuntz: Es gibt bei uns viele Zuschauer, die alle Erfolge der letzten 30 Jahre hautnah miterlebt haben. Erklären Sie aber einmal 17 Jahre später, dass nie mehr ein Aufsteiger Deutscher Meister wird. Dann heißt es: Wieso das denn, wir haben es doch auch geschafft, was sind schon 17 Jahre? Man kommt alle 14 Tage auf den Betzenberg und möchte seinen alten FCK sehen, wie man ihn kennt und liebt - am besten garniert mit einem Sieg. Ein Verein, der vor 20 oder 30 Jahren noch keine Rolle spielte, hat dahingehend einen Vorteil, dass der Fokus der Leute wenn überhaupt nur auf die jüngste Vergangenheit gerichtet ist.
SPOX: Was also wünschen Sie sich von diesen Zuschauern?
Kuntz: Darin liegt die ganz schwere Aufgabe eines Traditionsvereins: den Leuten verständlich zu machen, sich gedanklich anzupassen. Dass wir uns in der Gegenwart in einer neuen Zeitrechnung befinden, in der die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kaum noch mit Klubs konkurrenzfähig sind, die Mäzene oder große Sponsoren hinter sich wissen.
SPOX: Wie steht denn in Ihren Augen die Identifikation mit dem FCK im Widerspruch mit dem natürlichen Egoismus, der heutzutage auf Spielerseite bisweilen vorherrscht?
Kuntz: Auch das hat sich geändert: Früher gab es hier teilweise aus der Region stammende Spieler, die über mehrere Jahre hinweg im Verein waren und zum Stadtleben gehörten. Heutzutage wechselt mit Willi Orban ein Kind des Vereins zu einem von den Anhängern nicht akzeptierten Liga-Rivalen. Es gibt kaum einen stärken Dolchstoß in den Stolz eines FCK-Fans. Man muss es ihnen dann nachsehen, wenn als Reaktion kommt: Das hätte ein Briegel nie gemacht! Damit haben sie auch recht, nichtsdestotrotz müssen wir das akzeptieren - ob wir wollen oder nicht.
SPOX: Weil die Spieler bei den heutigen wirtschaftlichen Möglichkeiten häufiger als früher versuchen, das Maximale herauszuholen?
Kuntz: Was soll denn auch ein Verein, der sich mit allen verfügbaren Mitteln bis an die finanzielle Decke streckt, einem Spieler sagen, der woanders das Vierfache verdienen kann? Bleib' doch bitte beim FCK, weil... - da hat man einfach sehr wenige Argumente. Und das ärgert die Fans. Kurzum: Ich bin Fußball-Romantiker und habe genau deshalb ganz viel Verständnis und Gefühl für die Fans, aber auch das Problem, diese Haltung bei den Leuten kompatibel mit der Realität zu machen. Derjenige, der sich zu sehr an der Vergangenheit festkrallt, verliert.
SPOX: Addiert man Ihre Zeit als Spieler und Vorstandsvorsitzender, kommt man auf 13 Jahre beim FCK. Gab es gerade in Ihrer aktuellen Funktion seit dem Dienstantritt im April 2008 auch einmal eine Phase, in der Sie dachten: Wofür mache ich das eigentlich alles?
Kuntz: Ja, denn man ist ja auch nur bis zu einem gewissen Grad strapazierfähig. Mit dem Großteil der vielen Entscheidungen, die man treffen muss, macht man es nie allen recht. Die Interessen innerhalb eines Traditionsvereins können so konträr sein, dass es unheimlich schwer ist, alle zu 100 Prozent zu erreichen. Früher als Spieler hat man einfach das entscheidende Tor geschossen - und bis auf die Gästefans haben alle gejubelt. (lacht)
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