"Ich bin sicher kein Alleinherrscher"

Ralf Rangnick arbeitete lange hinter den Kulissen in Leipzig und Salzburg
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SPOX: Andererseits: In Ulm und Hoffenheim gelang jeweils der Durchmarsch, als ausschließlich Sie die Zügel in den Händen hielten. Funktionieren Sie als "Alleinherrscher", dem keine Knüppel zwischen die Beine geworfen werden können, einfach am besten?

Rangnick: Ich bin sicher kein Alleinherrscher, und das ist auch eine viel zu negative Formulierung. Viel mehr Teamwork als in den letzten drei Jahren bei uns geht fast nicht. Ich stimme Ihnen aber zu: Bei diversen Stationen meiner Karriere habe ich die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich sein kann, wenn man relativ wenig Entscheidungsträger und damit kurze Wege hat. Dadurch ist man in der Lage, schneller zu agieren. Deshalb ist es sicherlich kein Zufall, dass ich nach Hoffenheim nun mit RB Leipzig wieder einen Arbeitgeber habe, bei dem es mit wichtigen Entscheidungen sehr schnell gehen kann.

SPOX: In dieser Rolle konnten Sie sowohl in Leipzig, als auch in Salzburg viele Dinge verändern.

Rangnick: Genau. Wir haben nach und nach Positionen umbesetzt oder welche geschaffen, die es vorher noch gar nicht gab. Wenn ich mir allein schon das Thema Ernährung an beiden Standorten anschaue: Da sind wir in der gesamten Fußballbranche sehr weit vorne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Vereine gibt, bei denen die Spieler noch nachhaltiger und gesundheitsbewusster ernährt werden als bei uns.

SPOX: Hat das auch mit ihrer eigenen Geschichte von vor vier Jahren zu tun, als Sie beim FC Schalke 04 vorzeitig aufgrund eines Burnout-Syndroms ausgeschieden sind?

Rangnick: Natürlich. Damals habe ich am eigenen Leib gespürt, was dazu gehört und vor allem passiert, wenn man sich vernünftig ernährt. Da spielen sehr viele Themen mit hinein, unter anderem die Regenerationsbeschleunigung. Wir stellen bei unseren Spielern auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten fest, ob das nun im Bereich Gluten oder Laktose ist. Es ist ja mittlerweile fast die Norm, dass Menschen solche Unverträglichkeiten aufweisen.

SPOX: Früher hätte man Ihnen vorgeworfen: Der Kontrollfreak Rangnick mischt sich überall ein und überwacht jedes einzelne Detail.

Rangnick: Das stimmt. Wenn ich früher als Trainer versucht habe, mich bei solchen Themen einzubringen, wurde mir bisweilen unterstellt, dass ich mich um alles kümmern und am liebsten auch den Rasen selbst mähen würde.

SPOX: Aber?

Rangnick: Es ist in meinen Augen nun einmal so, dass die Rahmenbedingungen für Hochleistungsfußball einfach stimmen müssen. Nehmen wir das Beispiel Trainingslager: bei einem ehemaligen Verein hatte ich mich bei der Planung und Organisation auf andere Leute verlassen, nur um dann vor Ort festzustellen, dass die Trainingsbedingungen zwei Klassen schlechter waren als bei uns zu Hause. Seitdem habe ich mich eben auch immer gerne darum gekümmert, um sicher zu stellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.

SPOX: Dennoch mutet das Arbeitspensum, das man als Sportdirektor von zwei Vereinen und jetzt als Trainer und Sportdirektor eines einzelnen Klubs abreißt, fast schon wieder grenzwertig an. Tun Sie sich schwer damit, Dinge zu delegieren?

Rangnick: Ich habe in den letzten drei Jahren bereits einiges delegieren müssen, da ich nicht zeitgleich an beiden Standorten sein konnte oder auch einmal zu Hause in Backnang war. Wir haben mittlerweile auch auf den relevanten Positionen richtig gute Leute. Ich muss seitdem darauf setzen können, dass diese Leute ihren Job gut erledigen. Und das tun sie. Daher habe ich auch festgestellt, dass ich kein Problem damit habe zu delegieren.

SPOX: Früher fiel es Ihnen aber deutlich schwerer?

Rangnick: Ja, das ist sicherlich eine Veränderung, die ich an mir im Vergleich zu früher festgestellt habe.

SPOX: Auch wenn Sie weiterhin delegieren müssen: Immerhin stehen Sie jetzt wieder auf dem Trainingsplatz. Vor einem Jahr sagte Alexander Zorniger im SPOX-Interview, er wolle die Leipziger Spielweise in die 2. Liga implementieren und schauen, wo man möglicherweise nachjustieren müsse. Wie wird Leipzigs Fußball unter Ihnen aussehen?

Rangnick: Die Spielidee bleibt weiterhin dieselbe. Nichtsdestotrotz geht es darum, sie immer wieder zu verfeinern und zu verbessern. Zuletzt und auch in Zukunft war und wird es nie so sein, dass man sagt: Das war jetzt das perfekte Spiel. Selbst wenn wir dem perfekten Spiel nahe kommen würden, heißt das noch lange nicht, dass es uns auch eine Woche später gelingen würde, wieder so zu spielen. Unsere Analyse drehte sich vielmehr um die Frage: Warum sind wir in der letzten Saison nicht aufgestiegen, woran lag es in erster Linie?

SPOX: Auf welche Punkte sind Sie gestoßen?

Rangnick: Wir haben zunächst einmal auswärts verhältnismäßig wenig Punkte geholt, im Schnitt sogar knapp unter einem. Mit einer solchen Bilanz muss man zu Hause fast alles gewinnen, um insgesamt noch auf einen Zweier-Schnitt zu kommen. Dort setzen wir an: Wir müssen auswärts im Stile einer Heimmannschaft auftreten, agieren statt nur zu reagieren und uns nicht wie teilweise im Vorjahr geschehen beeindruckt zurückziehen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, insgesamt einfach mehr Tore zu erzielen. Die Torgefahr hing bisher zu sehr von Yussuf Poulsen ab, auf den sich dann die Gegner konzentrieren konnten. Wir brauchen mehr Spieler, die Tore schießen und Spiele entscheiden können.

SPOX: Was würde denn passieren, wenn auch am Saisonende 2015/2016 nicht der Aufstieg stünde?

Rangnick: Der Mai 2016 interessiert mich nicht. Mich interessiert, was morgen, übermorgen, im nächsten Spiel und in der nächsten Trainingswoche passiert. Wir wollen mit dem Bewusstsein zum ersten Auswärtsspiel beim FSV Frankfurt fahren, so gut vorbereitet zu sein, dass wir im Rückblick sagen: viel besser hätten wir es nicht machen können. Alles andere ist momentan völlig egal.

SPOX: Mit Verlaub, aber das klingt doch arg nach Understatement.

Rangnick: Warum stellen Sie eine solche Frage an jemanden, der vor drei Jahren hier her gekommen ist, als Leipzig mit einem Zuschauerschnitt von 1700 in der 4. Liga spielte und der an seinem allerersten Arbeitstag gesagt hat, dass das Stadion irgendwann vielleicht zu klein wird, weil wir einmal in die Bundesliga aufsteigen werden? Da brauchen Sie mich doch jetzt nicht zu fragen, welche Ziele wir haben.

SPOX: Zumindest aber geht die breite Öffentlichkeit davon aus, dass in Leipzig nach dieser Saison nur der Aufstieg in die Bundesliga akzeptiert wird.

Rangnick: Wir werden nicht aufsteigen, nur weil wir gebetsmühlenartig wiederholen, auch aufsteigen zu wollen. Der Aufstieg ist für uns kein Muss und erst Recht keine Pflicht. Er wäre auch nicht völlig normal. Unser Ziel ist es, jeden Tag mit der Mannschaft so zu arbeiten, als ob es der letzte wäre.

SPOX: Als Zorniger sagte, er wolle nicht aufsteigen, aber Sie, war er wenig später entlassen.

Rangnick: Die einvernehmliche Trennung von ihm hat überhaupt nichts damit zu tun gehabt, dass er nicht aufsteigen wollte oder dergleichen. Daran lag es zu null Komma null Prozent. Auch mit unserer Zielsetzung oder dem Ehrgeiz, wann wir was erreichen wollen, hatte das in keiner Weise etwas zu tun. Wir werden irgendwann in die Bundesliga aufsteigen. Ich kann Ihnen aber jetzt nicht sagen, ob das nächsten Mai sein wird oder aber erst in einer der nachfolgenden Spielzeiten.

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