10. Todestag von Robert Enke - Teresa Enke im Interview: "Es schmerzt nicht mehr, an ihn zu denken"

Teresa Enke lebt heute mit ihrer Adoptivtocher in Köln. Mit ihrer Robert-Enke-Stiftung besucht sie regelmäßig die Bundesliga-Stadien, Schulen und Veranstaltungen und arbeitet präventiv
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Roberts Biograf, der Autor Ronald Reng, hat in einem Zeitungskommentar einst angeprangert, dass Robert Enkes Name immer dann missbraucht wird, wenn sich jemand im Fußballzirkus danebenbenimmt. Stimmen Sie zu?

Enke: Ja. Man sollte Robby und seinen Fall nicht für jede Art von Unsportlichkeit und Unmenschlichkeit hernehmen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Er wurde auch im Fußball nicht schlecht behandelt. Es kann keiner etwas dafür. Viele behaupteten ja, der Fußball sei schuld gewesen, der ganze Druck. Natürlich kann das eine Rolle spielen, aber jeder Mensch hat einen gewissen Druck im Leben. Sie bei Ihrer Arbeit, ich, jeder. Klar ist: So eine öffentliche Stellung in der Gesellschaft macht es nicht einfacher, aber trotzdem ist es nicht in Ordnung, wenn permanent behauptet wird: 'Wo bleibt die Menschlichkeit, haben wir aus dem Fall von Robert Enke nichts gelernt?' Er wurde nicht von Fans niedergemacht. Einmal wurde es mit der Presse etwas unschön, als es um die Nummer eins im DFB-Team ging und sie den Zweikampf mit Rene Adler anheizten. Aber das gehört dazu.

SPOX: Finden Sie?

Enke: Wir wollen als Stiftung den Fußball nicht verändern. Wir wollen erreichen, dass man sich für Schwäche nicht mehr schämen muss oder für verrückt erklärt wird. Aber Robert hat nichts mit Rassismus, mit Unsportlichkeit zu tun. Dafür sollte man ihn nicht hernehmen. Er sollte für die Krankheit Depression stehen und in anderem Zusammenhang für Menschlichkeit, für die Liebe zu seiner Tochter.

SPOX: Würden Sie eigentlich sagen, dass Leistungssportler besonders gefährdet sind für eine Depression?

Enke: Nein, nicht mehr als andere Gruppen, ob das jetzt hochrangige Manager sind oder andere Berufsgruppen. Die haben auch Druck. Das einzige, was Leistungssportler abgrenzt, ist der öffentliche Druck. Profifußballer sind ja so etwas wie die modernen Gladiatoren und wenn jemand Schwäche zeigt, dann hatte man zu Roberts Zeit Bedenken, nicht mehr ernst genommen zu werden. Was Sportler befürchten müssen, ist, dass Leute denken: Wenn der im Tor steht und einen Fehler macht, dann hat das mit seiner Depression zu tun. Aus dem Grund haben Leistungssportler mehr Druck. Aber wenn sie behandelt wurden und genesen sind, dann ist es ähnlich wie etwa nach einem Meniskusriss.

SPOX: Können Sie skizzieren, wie dieses Versteckspiel eines Leistungssportlers mit Depression aussieht? Robert hat ja noch wenige Tage vor seinem Suizid in der Bundesliga gespielt.

Enke: Mit meinem heutigen Wissen ist klar, dass man sich als Angehöriger die größten Sorgen machen muss, wenn der Betroffene wieder Selbstständigkeit erlangt, morgens eigenständig aufsteht, Frauen sich wieder schminken, einen Alltag wieder herstellen.

SPOX: Dann ist die Gefahr eines Suizids am größten?

Enke: Dann sollten zumindest die Alarmglocken angehen. Bei Robert war es damals genauso, nur wusste ich es nicht einzuordnen. Er ist die zwei Tage vor seinem Suizid selbstständig aufgestanden und hat gesagt, er fahre jetzt zum Training. Ich hatte mich einfach gefreut, dass es wieder bergauf zu gehen scheint.

SPOX: Und wie war es davor im Alltag?

Enke: Es gab verschiedene Phasen. In den Phasen, die ganz schlimm waren, da war er im Bett und offiziell krank. Er konnte nicht aufstehen, nicht sprechen. Zunächst kann jemand noch Emotionen zeigen: wütend sein, weinen. Am Schluss sind gar keine Emotionen mehr da. Ich habe ihn morgens geweckt, er hat dann ganz wenig gegessen und ich habe ihn immer zum Training begleitet, weil ich Angst hatte. Dort hat er sich stets zusammengerissen und normal trainiert.

SPOX: Die Mitspieler haben also von all dem nichts mitbekommen?

Enke: Sensiblere Spieler, die mehr Kontakt zu Robert hatten, wie Hanno Balitsch etwa, haben schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber die dachten, er wolle vielleicht den Verein wechseln oder habe private Probleme. Nach dem Training habe ich ihn abgeholt und er hat sich ins Bett gelegt. Gegen Abend wird es mit Depressiven immer etwas besser, weil sie wissen, der Tag neigt sich dem Ende entgegen und es geht in Richtung Bett und der Tag ist geschafft. Das ist natürlich ganz schrecklich.

SPOX: Mit dem Wissen von heute hätten Sie also besser auf seine plötzliche Selbständigkeit reagieren können?

Enke: Ich hätte es trotzdem nicht verhindern können, aber ich wäre noch sensibler gewesen und hätte viele Situationen besser verstanden. Wenn man als Betroffener mehr über die Krankheit weiß, kann man mitunter auch positive Dinge negativer beurteilen. So ist es Robby damals gelungen, mir zu verstehen zu geben, es ist alles in Ordnung. Das stimmte halt nicht.