Tom überlegt lange, sehr lange, bevor er in ruhigem Ton antwortet: "Nein, frustriert bin ich nicht mehr. Ich kann nicht darüber frustriert sein, dass ich an meinen Traum geglaubt habe." Dann schweigt er.
Tom ist Anfang 30 und heißt eigentlich anders. Er hat vor etwas mehr als einem Jahr einen neuen Weg eingeschlagen und möchte diesen unbeschwert und ohne dümmliche Kommentare oder Nebengeräusche beschreiten. Diesen öffentlichen Stress wolle er sich in Berlin nicht antun, sagt er zu Beginn. Also bleibt er im Gespräch mit SPOX anonym. Tom ist in die Hauptstadt gezogen, um zu studieren. Bis er fertig ist, dauert es noch drei Jahre, bis "ich dann richtiges Geld verdiene, wohl noch etwas länger".
Tom ist ehemaliger Fußball-Profi. Aber nicht die Marke Bundesliga-Star, wie sie auf den TV-Bildschirmen der Nation glänzen. Und auch keiner von einem der zahlreichen Traditionsvereine, die aufgrund der neuen Kräfteverhältnisse mittlerweile in Liga zwei oder drei um Punkte und Anerkennung kämpfen.
Gut, Tom hat einige wenige Einsätze in der 3. Liga vorzuweisen. Den Löwenanteil seiner Karriere brachte er nach vielen Einsätzen in der Junioren-Bundesliga aber in der Regionalliga und der Oberliga zu. In Letzterer waren es über 150 Spiele. "Zwischenzeitlich dachte ich, dass es für Liga drei perspektivisch reichen würde", sagt er und tatsächlich wechselte er mit 22 Jahren dorthin. Aber richtig viel Geld verdient hat er nach eigenen Angaben nie. Und rasch wurde er auch wieder ausgemustert.
"Nach dem Abitur habe ich alles auf die Karte Profi-Fußball gesetzt. Ich habe genug verdient, um davon leben zu können, mit Anfang 20 sogar besser als die meisten meiner Freunde. Nur während die studiert oder eine Ausbildung absolviert haben, habe ich nur Fußball gespielt", beschreibt er eine jahrelang andauernde, etwas zu bequeme Situation. Die Zeit für Studium oder Ausbildung hätte er gehabt. Eigentlich. Mit Mitte 20 dann verlor er die Perspektive auf höherklassigen Fußball. Drei Jahre später zog die eigene Einsicht nach. Er hörte zum Ende der Saison auf und schrieb sich zum Wintersemester an einer Universität ein.
Verband vertragsloser Fußballer hat viel zu tun
Tom ist mit seinem Lebenslauf beileibe kein Einzelfall. Er steht stellvertretend für die andere Seite der Medaille Profifußball. Eine verstaubte und von der Öffentlichkeit weitestgehend nicht beachtete Seite. Viele Fußballer wie Tom haben gegen Ende ihrer Laufbahn Probleme finanzieller und mentaler Natur. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Gesprochen wird darüber in der Scheinwelt Profifußball, wie über so viele andere heikle Themen ebenfalls, viel zu selten.
Einer, der von Berufs wegen transparent mit dieser Problematik umgeht, ist Ulf Baranowsky, der Chef des Verbands der Vertragsfußballer in Deutschland (VDV). Er und sein Team kümmern sich um beide Seiten: Da sind zum einen die Lizenzspieler, die in den ersten beiden Profiligen aktiv sind und parallel eine Lizenz-Vereinbarung mit der deutschen Fußballliga (DFL) eingegangen sind. Und dann sind da Fußballer wie Tom, sogenannte Vertragsspieler, die in allen Ligen professionell tätig sein dürfen. Während bei Lizenzspielern ein höheres Mindestgehalt gilt, ist bei Vertragsfußballern lediglich der Mindestlohn zu beachten.
Die Sommerpause ist für Baranowsky naturgemäß eine intensive Phase, gilt es doch, arbeitslos gewordene Profis wieder in Lohn und Brot zu bringen. Das praktizierte in der Vergangenheit keine Organisation in Europa so erfolgreich wie der deutsche VDV.
Medienwirksame Mini-EM: Neururer überrascht
Vor zwei Wochen richten sein Team und er medienwirksam eine Mini-Europameisterschaft für vertragslose Fußballer in Duisburg aus. Mittendrin der deutsche Kader des alljährlichen VDV-Camps für vertragslose Fußballer. Die Gegner: Teams aus Belgien und Österreich und als Sparringspartner der kurzfristig eingesprungene Regionalligist KFC Uerdingen. Das Ziel ist klar. Die Vertragslosen sollen Matchpraxis erhalten und sich den zahlreich anwesenden Scouts für eine neue Festanstellung empfehlen.
Da als Trainer ausgerechnet der langzeitarbeitslose Kulttrainer Peter Neururer verpflichtet wurde, kann sich auch das Medienaufkommen sehen lassen. Am Rande des Events, da ist auf den 62-Jährigen zunächst Verlass, lästert er der Reihe nach über seine alten Arbeitgeber. Die Reporter notieren fleißig mit, die Aufnahmegeräte laufen. Die Aufmacher in den nordrhein-westfälischen Tageszeitungen des Folgetages scheinen gerettet.
Dass ausgerechnet Neururer beeindruckende Worte für die Situation finanziell in Nöte geratener Profis findet, überrascht da fast. Gegenüber SPOX bekennt er: "Ich habe in meiner Karriere eine ganze Menge Profis mit Geldsorgen erlebt, leider! Im Fußball leben wir in einer unglaublichen Scheinwelt. Und nicht selten bricht diese Scheinwelt schon während einer Karriere zusammen."
Neururer: "Geldsorgen werden unter den Tisch gekehrt"
Ein Problem der Gesellschaft und speziell des Fußballs sei, dass Probleme unter den Tisch gekehrt werden, wenn Menschen Schwäche zeigen. "Ob das jetzt Geldsorgen sind, eine vermeintlich falsche sexuelle Neigung oder der mentale Aspekt. Diese Scheinwelt kann brutal werden, wenn du raus bist und die Karriere beendest. Dann verlierst du nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die finanziellen Vergünstigungen", so Neururer.
Baranowsky weiß, dass die Öffentlichkeitsarbeit über das Camp und die Probleme, mit denen diese Sportler zu kämpfen haben, groß geschrieben werden müssen. Bereits von 2011 bis 2015 gewährte er dem Dokumentarfilmer Mehdi Benhadj-Djilali uneingeschränkten Zugang zum Camp. Der Regisseur dankte es mit einer der sehenswertesten Langzeit-Dokumentationen im Sport über die Schicksale von vier ehemaligen Fußballprofis, darunter Christian Mikolajczak, der heute bei der Berufsfeuerwehr Oberhausen arbeitet.
Mikolaijczak und seine Kollegen besuchen heute in regelmäßigen Abständen die deutschen Nachwuchsleistungszentren (NLZ). Dort zeigen sie den aufstrebenden jugendlichen Kickern "ihren" Film und der verfehlt seine Wirkung meist nicht, heißt es.